Woman using tablet on couch

Onlinehandel erweist sich als Treibsatz für den Energieverbrauch in den Industrieländern. Das ist das Ergebnis einer Langzeitstudie der Europa-Universität Viadrina und der Leipzig Graduate School of Management über die „Auswirkungen des E-Commerce auf den Energieverbrauch“, die der WELT exklusiv vorliegt.

Danach würde zum Beispiel eine Verdopplung des Onlineanteils am gesamten deutschen Einzelhandel auf 20 Prozent den Energiekonsum des Landes um 5,6 Prozent nach oben treiben.

Wenn es um die Rettung des Weltklimas oder die Luftverschmutzung in den Städten geht, ist der globale Boom des E-Commerce also keine gute Nachricht. Bisher hängen Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen eng zusammen, da erneuerbare Erzeugungsformen nur geringe Anteile an der Deckung des Energiebedarfs haben.

Nach Zahlen des Ölkonzerns BP decken Biomasse-, Solar- und Windstrom zusammen gerade einmal 2,8 Prozent der weltweiten Nachfrage. Dazu kommt, dass Solarzellen oder Windräder bei ihrer Herstellung erst einmal große Mengen Energie verbrauchen.

Feindbild Lieferwagen

Nach Prognosen des Handelsverbands Deutschland (HDE) könnte die 20-Prozent-Marke beim digitalen Einkauf bereits im Jahr 2020 erreicht werden. Im laufenden Jahr dürfte der Umsatz im Onlinehandel demnach um weitere elf Prozent auf 48,8 Milliarden Euro hochschnellen. Das entspricht fast einem Zehntel des gesamten Branchenumsatzes, den der HDE auf 492 Milliarden Euro veranschlagt.

Allerdings ist es der Studie zufolge entgegen einem verbreiteten Bauchgefühl nicht in erster Linie der Transportbereich, der die Ökobilanz des Onlinehandels belastet. „Eine interessierte Öffentlichkeit, die an einem grüneren Profil interessiert ist, sollte zur Kenntnis nehmen, dass es weder die Lieferwagen noch die Pappkartons sind, die für den größten Teil des zusätzlichen Energieverbrauchs verantwortlich sind. Sondern die Nutzung der eigenen Freizeit, sei es unterwegs, sei es im Shopping-Center oder zu Hause“, lautet der programmatische Schlusssatz der Untersuchung.

Die Resultate, so fügen die Autoren hinzu, stünden in einem Kontrast zu der Konzentration der öffentlichen Diskussion auf Verkehrsfragen wie beispielsweise der Förderung von Elektroautos.

Komplizierte Rechnung

Die Wissenschaftler haben sich den Zusammenhang von Onlinehandel und Energieverbrauch in den Jahren 1995 bis 2015 in den USA vorgenommen. „Die prinzipielle Logik der Untersuchung ist auf Deutschland übertragbar“, sagte der Leipziger Forscher Erik Maier, neben dem Wirtschaftswissenschaftler Florian Dost Mitautor der Studie, der WELT.

Die Rechnerei zur Ermittlung der Umweltfolgen ist kompliziert. Entsprechend unterschiedlich fallen die Ergebnisse bisheriger Studien aus. Denn verschiedene Einflüsse können sich gegenseitig ausgleichen oder auch verstärken.

Beispiel Verkehr: Am stärksten fallen beim Thema Energieverbrauch und Onlinehandel die vielen Lieferwagen der Paketdienste auf, die an den Straßenrändern stehen. Doch Käufe im Internet mit direkter Lieferung nach Hause ersetzen auf der anderen Seite viele private Einkaufsfahrten, die ebenfalls Energie kosten, wie auch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag konstatierte.

Nach dem „Weißbuch Nachhaltigkeit“ des Onlinebranchenverbands bevh entfallen allein rund 16 Prozent des Personenverkehrs auf Einkäufe in Läden aus Glas und Stein. Im Durchschnitt sei jede Einkaufsfahrt zu einem Geschäft und zurück immerhin sechs Kilometer lang.

Auf der anderen Seite werden viele Wege in der Stadt energieeffizient mit Bus oder Bahn, mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt – eine exakte Erfassung ist nahezu unmöglich. Jeder könne individuell Einfluss auf sein Verhalten nehmen, sagt Maier: „Wer zum Einkaufen mit dem Fahrrad zum nächsten Supermarkt fährt, verhält sich natürlich umweltfreundlicher als jemand, der mit einem schweren Auto ein klimatisiertes Shopping-Center besucht.“

Das private Verhalten macht den Unterschied

Die Konzentration auf die Umweltfolgen von Zustellung und Transport greife aber generell zu kurz. „Wenn wir etwas über den Zusammenhang von E-Commerce und Energieverbrauch erfahren wollen, dürfen wir nicht nur auf Logistik und Lieferfahrzeuge schauen, sondern wir müssen auch die Auswirkungen von Verhaltensänderungen bei Händlern und privaten Konsumenten berücksichtigen“, betont der Forscher.

Die Auswirkungen den Onlinehandels seien eben nicht auf direkte Effekte wie Verpackung, Lieferung oder Retouren begrenzt.

Das private Verhalten spiele eine wichtige Rolle. Wer mehr online bestelle, verfüge in der Regel auch über mehr Freizeit, die er mit Tätigkeiten verbringe, die häufig wiederum Energie verbrauchen: Er schaut Fernsehen, verbringt die Zeit mit Computerspielen oder macht einen Ausflug mit dem Auto.

Andere Autoren haben darauf hingewiesen, dass niedrigere Preise im Onlinehandel den Konsum beflügeln könnten mit der Folge, dass mehr Ware hergestellt werde – auch dadurch steige der Energiekonsum.

Lückenlose Datendichte in den USA

Doch an vielen anderen Stellen trägt der E-Commerce auch zu Einsparungen bei. Hersteller, Händler und Transporteure könnten dank Datenanalysen heute Ort, Zeit und Menge der Nachfrage nach allen möglichen Produkten sehr genau prognostizieren und damit Überproduktion und die Verschwendung von Energie und Material vermeiden.

Bei der Verteilung der Ware zum Endkunden haben die Profiboten der Onlinehändler zudem ein existenzielles Interesse daran, ihre Wege möglichst effizient zu planen. Dann sinken die durchschnittliche Fahrleistung pro Paket und der Energiekonsum pro Einkauf.

Für eine abschließende Ökobilanz der vielen Plus- und Minuspunkte haben Dost und Maier sich die USA wegen der dort vorhandenen lückenlosen Datendichte ausgesucht. Dabei haben sie nach den Worten von Maier eine ursprünglich in der Biologie entwickelte Methode verwendet. Diese ermögliche Aussagen über ursächliche – und nicht bloß zufällig zeitliche – Zusammenhänge durch die Analyse von Zeitreihen.

Im Kern seien die Ergebnisse der Studie schon deshalb auf Deutschland übertragbar, da die Haupttreiber des Energieverbrauchs in Deutschland und in den USA ähnlich seien. „Wir prüfen, ob wir auch eine Studie für europäische Länder erstellen“, kündigte der Wissenschaftler an. Allerdings sei die Datenlage oft unzureichend.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt Online.

Bild: Getty Images / MoMo Productions