Verlage suchen händeringend nach neuen digitalen Erlösquellen und hoffen auf „Paid Content“ als „Heilsbringer“. In den vergangenen Wochen haben Verlage wie Axel Springer, die F.A.Z. oder die NZZ kommuniziert, Bezahlmodelle für ihre digitalen Content-Produkte einzuführen.

Paid Content

Im April 2010 meinte der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, „jeder Verleger sollte sich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs dafür danken, dass er mit diesem Gerät [iPad] die Verlagsindustrie rettet.“ Bezahlmodelle seien im digitalen Journalismus unausweichlich.

Wie attraktiv sind allerdings Bezahlmodelle für digitale Content-Produkte wirklich, wie sehen sie aus und inwieweit können sie die strukturellen Herausforderungen für redaktionell getriebene Geschäftsmodelle im Print- und Online-Bereich kompensieren?

Herausforderungen für digitale Content-Produkte

Das Geschäftsmodell einer Vielzahl von Newssites sah über eine lange Zeit vor, mit einer großen dedizierten Online-Redaktion Usern einen attraktiven und sehr aktuellen Content zu bieten, um an Werbekunden ein hochwertiges Umfeld zu „Premiumpreisen“ attraktiv vermarkten zu können. Mit dieser Strategie sind einzelne Anbieter wie VG.no in Norwegen oder aftonbladet.se in Schweden (beides führende Newssites von Schibsted) über lange Zeit sehr erfolgreich gefahren.

Zum Beispiel hat VG Multimedia 2011 ein beachtliches Umsatzniveau in Höhe von 51 Millionen Euro bei einer EBITDA-Marge von 22 Prozent erzielt und Aftonbladet Nya Medier 56 Millionen Euro bei einer EBITDA-Marge von 24 Prozent. Deutschen Newssites jedoch gelingt eine Kommerzialisierung auf diesem Niveau meistens nicht annähernd.

Die Kosten für das Betreiben einer Newssite (und insbesondere für die Erstellung der redaktionellen Inhalte) sind hoch und insbesondere fix. Im Gegensatz zu den skandinavischen Referenzbeispielen erwirtschaften nur wenige deutsche Anbieter eine sowohl relativ als auch absolut gesehen attraktive Profitabilität.

Eine nach dem üblichen Reichweitenmodell kommerzialisierte Newssite generiert typischerweise über 80 Prozent ihres Umsatzes durch Display-Werbung und lediglich Zusatzerlöse durch Restplatzvermarktung sowie Sonstige (zum Beispiel Integrationen und Sponsoring). Dieses Umsatzmodell birgt eine weitere Herausforderung: Der Nettoumsatz durch Display-Werbung ist auch durch die stark abnehmenden Nettopreise im deutschen Online-Werbemarkt unter Druck.

Anbieter, die keine führende Position im Nutzermarkt einnehmen, müssen häufig stagnierende beziehungsweise sogar rückläufige Umsätze verkraften (und dies bei einem insgesamt wachsenden deutschen Online-Bruttowerbemarkt von über zehnt Prozent pro Jahr).

Diese wenig vielversprechende Ausgangssituation veranlasst zahlreiche Verlage aktuell, über neue Erlösquellen für ihre digitalen Content-Produkte und insbesondere die Einführung von Paid Content nachzudenken.
Hintergrund – beispielhafter Umsatz- und Kostensplit für eine reichweiten-kommerzialisierte Newssite (illustrativ):

Nettoumsatz Kosten

Einführung Bezahlmodell

Die Frage nach dem richtigen Bezahlmodell ist komplex und muss spezifisch in Abhängigkeit der Strategie, Art und Positionierung der Newssite beziehungsweise des Contents sowie der Zielgruppe und dem Wettbewerbsumfeld differenziert beantwortet werden. Für eine führende regionale Newssite mit einem hohen Anteil von regionalem Content ergibt sich grundsätzlich eine andere Ausgangssituation als zum Beispiel für eine nationale General-Interest-, Finanz- oder Zeitschriften-Site.

In der Praxis werden insbesondere folgende (nicht trennscharfe) Bezahlmodelle unterschieden:

 Paid Content Überblick Bezahlmodelle

Grundsätzlich kann ein Bezahlmodell umso vielversprechender eingeführt werden, je:

  • relevanter und „unique“ der Content ist
  • notwendiger der Content für die berufliche Ausübung ist
  • geringer die Wettbewerbsintensität ist
  • geringer die Relevanz von Display-Werbung ist

Die Einführung beziehungsweise der Wechsel eines Bezahlmodells stellt eine wesentliche strategische Entscheidung dar. Sobald sich durch eine „Paywall“ die bestehende Nutzung signifikant reduziert, kann die Entscheidung irreversibel sein. Es gibt Beispiele im Markt, bei denen Verlage nach Einführung eines Bezahlmodells über 70 Prozent des Traffics verloren und somit ihr Kommerzialisierungsmodell durch Online-Werbung schwer beschädigt haben.

Aus diesem Grund gilt es im Vorfeld, die Entscheidung im Detail zu analysieren und ganzheitlich abzuwägen. Aus Erfahrung ist insbesondere die Definition des richtigen Preismodells, das Bündeln von relevanten Produktpaketen (zum Beispiel Print, E-Paper, Website und Apps) sowie eine überzeugende Kommunikation des Kundennutzens, neben der technischen Umsetzung an sich, für viele Verlage eine echte Herausforderung.

Internationale Referenzbeispiele für Paid Content

Im internationalen Umfeld werden die Bezahlmodelle von den Verlegern in folgenden Varianten unterschiedlich ausgestaltet:

Paid Content Bezahlmodelle Verleger

Die Newssites der New York Times und Financial Times sind Beispiele für eine erfolgreiche Einführung von Bezahlmodellen.

Beispiel I – New York Times

Die Nytimes.com ist eine global führende Newssite, die hochwertigen und zum Teil „unique“ Content publiziert. Die redaktionellen Inhalte werden gemeinsam mit dem Print-Produkt in einem Newsroom unter einem Chefredaktor produziert.

Nach einer gescheiterten Einführung der Kostenpflicht via „Time Select“ 2005 (mit einem deutlichen Verlust an Nutzern) generierte die New York Times Anfang 2011 online ausschließlich Werbeumsätze. Seit März 2011 ist die Printversion der New York Times über das Onlineangebot sowie die Tablet-Apps nach dem „Metered“-Modell verfügbar.

Die New York Times bietet ein unter allen Verlagsprodukten balanciertes Preis- und Produktmodell an: Das digitale Angebot ist für Printabonnenten kostenlos; es wird lediglich eine Registrierung vorausgesetzt. Für Nutzer des digitalen Angebots entsteht eine Kostenpflicht ab zehn Artikelansichten pro Monat (gemessen über Cookies). Bis dahin ist die Nutzung gratis. Es werden mehrere Produktbundles angeboten.

Eines ist zum Beispiel „all digital access“ für 8,75 US-Dollar pro Woche, das neben dem Times Reader einen vollen Zugang zu allen Inhalten auf der Website, sowie den Smartphone- und Tablet-Apps enthält. Das Produktbundle „Home Delivery“ bietet zusätzlich zu diesen Produkten, das E-Paper und die Zustellung einer gedruckten Zeitung wahlweise am Samstag/Sonntag oder von Montag bis Freitag an. Dieses kostet bei einem umfangreicheren Angebot „nur“ 6,5 US-Dollar pro Woche und liegt damit um 2,25 US-Dollar unter dem Produkt „all digital access“. Hierdurch fördert die New York Times bewusst die Verbreitung und Leserschaft des Print-Produkts.

Auch interessant ist, dass das Bezahlmodell der New York Times als ein sogenanntes „poröses Metered-Modell“ angeboten wird – für die Nutzung über Suchmaschinen oder soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter entsteht keine Kostenpflicht.

Bis Ende Q3 2012 konnten bereits 566.000 bezahlte Digital-Abos abgeschlossen werden. Das entspricht einem geschätzten Jahresumsatz in einer Größenordnung von 73 Millionen US-Dollar und einem Gesamtumsatzanteil der The New York Times Media Group von zirka fünf Prozent. Etwa 95 Prozent der Nutzer beziehen die digitalen Inhalte weiterhin kostenlos.

In gewisser Weise ist der New York Times mit diesem Modell zumindest bisher die „Quadratur des Kreises“ gelungen:

  • Printauflage/-leserschaft und daraus resultierende Vertriebsumsätze konnten zunehmend stabilisiert werden
  • Print-Werbeumsätze entwickeln sich (in Anbetracht der allgemein rückläufigen Marktentwicklung) positiv
  • Die Online-Nutzerschaft sowie die Erträge aus Display-Werbung konnten in etwa stabil gehalten werden
  • „Paid Content“ stellt eine relevante zusätzliche Erlösquelle dar
  • Der Gesamtumsatz konnte in etwa stabil gehalten werden

Beispiel II – Financial Times

Die FT.com hat eine konsequente Kostenpflicht für alle digitalen Inhalte über alle Kanäle im Jahr 2007 eingeführt. Bei der Lancierung war es möglich, 30 Artikel pro Monat gratis und ohne Registrierung zu lesen. Derzeit sind es monatlich acht Artikel; eine Registrierung wird jedoch vorausgesetzt.

Die gesamte Zeitung wird seit Einführung der Kostenpflicht online zugänglich gemacht. Die Einführung der Kostenpflicht erscheint erfolgreich und die Financial-Times-Gruppe generiert aktuell 30 Prozent der Umsätze online, Tendenz steigend. Im Jahr 2013 wird ein Umsatzanteil von 50 Prozent im Onlinebereich erwartet.

Ein maßgeblicher Erfolgsfaktor für dieses Modell stellt der für viele Leser/Berufsgruppen sehr relevante und in weiten Teilen „unique“ Content der Financials Times dar – ein perfekter Fit aus einzigartigen Inhalten und einer affinen, zahlungsbereiten Zielgruppe.

Paid Content – Fazit

Die Beispiele der New York Times sowie der Financial Times zeigen, dass es für Verlage vielversprechende Opportunitäten geben kann, durch „Paid Content“-Modelle zusätzliche und attraktive Erlösquellen zu erschließen. Wobei beide Referenzanbieter zu den internationalen Branchenprimi zählen.

Des Weiteren wird deutlich, wie wichtig es ist, ein Bezahlmodell zu wählen, das die Gesamtstrategie, die individuelle Situation des Verlags sowie die Bedürfnisse der Leser berücksichtigt und welche „verborgenen“ Werte auch in diesem Bereich mit einer konsequenten Strategie gehoben werden können.

Deutsche Verlage wie Axel Springer oder Hubert Burda haben bereits erste Initiativen zur Umsetzung eines „Paid Content“-Modells unternommen. Allerdings ist es für General Interest Sites noch nicht feststellbar, dass ein Bezahlmodell tatsächlich den „Heilsbringer“ darstellen und alleine hierdurch der strukturelle Wandel (im Print und Online) bewältigt werden kann. Die bis dato abgesetzten Abo-Volumen sind typischerweise noch auf einem geringen Niveau.

Paid Content stellt definitiv ein Wachstumsfeld für Newssites dar. Vermutlich aber nicht das Größte. Damit Verlage auch zukünftig hochwertige redaktionelle Inhalte digital anbieten können (und einen attraktiven Gewinn generieren), werden weitere innovative Lösungsansätze und zum Teil mutige Entscheidungen notwendig sein. Die skandinavischen Referenzbeispiele zeigen, wie auch integrierte neue Geschäftsmodelle (zum Beispiel im Bereich der Rubriken, vertikalen Services, KMU-/ Verzeichniswerbung oder E-Commerce) durch eine Newssite als Trafficgenerator innerhalb kurzer Zeit etabliert werden können.

Das Schweizer Newsnet wiederum ist ein Musterbeispiel dafür, wie es gelingen kann, dass auch unterschiedlich positionierte (Regional-)Sites im Bereich der Redaktion sowie im Verlag erfolgreich kooperieren können. Das Konstrukt ermöglicht allen Partnersites, die Qualität, Aktualität und den Umfang an redaktionellen Inhalten deutlich zu erhöhen, eine gesteigerte gemeinsame Reichweite mit nationaler Relevanz zu vermarkten und letztendlich auch Kosteneffizienzen zu heben.

Mit Sicherheit bestehen auch für deutsche Verlage in diesen Bereichen noch erhebliche Wachstumspotenziale, die zumindest bis dato, deutlich über die im Bereich „Paid Content“ hinaus gehen können.

Paid Content Entscheidungskriterien Modelle

Bild: yashima / Flickr