Es ist immer so eine Sache, wenn ein Geldgeber in ein Unternehmen investiert, zu dessen Thema er dann wenig später selbst eine Gründung aufbaut. Dass es auch in der deutschen Internetszene leider nicht unüblich ist, erst günstig in ein Startup zu investieren und dann basierend auf den so gewonnenen Einsichten selbst zu gründen, zeigen verschiedene Beispiele der Vergangenheit. Auch im Falle der Hanse-Ventures-Gründung Pflege.de (www.pflege.de) stellt sich durch ein vergangenes Investment von Jochen Maaß nun die Frage nach der Investoren-Moral, wenn sich Gründung und Investment überschneiden.

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Pflegehilfe sucht sich Copycat-Investoren aus

Es ist die Geschichte einer Unternehmensgründung, die – wie so viele vor ihr – eigentlich ganz anders gedacht war, als es die Realität dann mit sich brachte. Mit dem Wunsch nach schnellem Wachstum und Weiterentwicklung der eigenen Geschäftsidee startete ein junges Startup die Suche nach Investoren – was am Ende steht, ist ein Gründerteam aus zwei Brüdern, das mit einem gebootstrappten investorfreien Unternehmen wesentlich besser dasteht als mit der Unterstützung seiner Geldgeber. Ein Gründerteam, das unter dem Strich hilfreiche Erfahrungen sammelte und die Einsicht gewann, dass es auch ohne Investoren geht. Denn diese sind jetzt damit beschäftigt, einen direkten Konkurrenten zu entwickeln – Ergebnis offen.

Zur Vorgeschichte: Im Februar 2009 stieg Jochen Maaß, der heute als Partner beim Hamburger Inkubator Hanse Ventures (www.hanse-ventures.de) tätig ist, in seiner Funktion als Business-Angel bei Pflegehilfe, einem Startup aus dem beschaulichen Neuendettelsau, ein. Pflegehilfe (www.pflegehilfe.org) ist ein Portal, auf dem Nutzer sich über Pflegeeinrichtungen für Senioren und betreutes Wohnen weiterbilden können. Der wirtschaftliche Gedanke des Konzepts ist einfach: Nutzer informieren sich über Pflegeeinrichtungen und kommt es zum Einzug eines durch Pflegehilfe vermittelten Nutzers, zahlt die jeweilige Pflegeeinrichtung eine Provision an Pflegehilfe – eine Art advanced Lead-Generation-Modell, wenn man so will.

Zu den Aufgaben von Jochen Maaß bei Pflegehilfe sollten im Gegenzug für die übertragenen Anteile die Vermittlung von Investorenkontakten und Starthilfe in Sachen Suchmaschinenoptimierung (SEO) zählen. Zumindest ersteres gelang: Im Februar und März 2009 traten laut Handelsregister zahlreiche Geldgeber dem Gesellschafterkreis von Pflegehilfe bei – zu einer Bewertung, die durchaus attraktiv gewesen sein soll. Jene Bewertung, könnte den entscheidenden Knacks im Investorenverhältnis bei Pflegehilfe bedeutet haben. Als die Investorenschaft realisierte, dass sich Pflegehilfe erst am Anfang seines Schaffens befand und damit zu hoch bewertet war, sollen viele der Geldgeber verärgert gewesen sein, erzählt ein Beteiligter von damals.

Pflege.de entsteht als Konkurrenz

Ein Blick ins Handelsregister zeigt, dass die Geduld der Pflegehilfe-Investoren wohl auch entsprechend gering war. Zum 31. Dezember 2010 kaufte das Gründerteam die Anteile aller Investoren zurück – wohl eine Kompromisslösung zwischen einem Team, das nach wie vor an die Idee glaubt und Investoren, die diesen Glauben bereits verloren haben.

Pflegehilfe-Gründer Johannes Haas wollte sich gegenüber Gründerszene nicht zu den Gesellschafter-Bewegungen der Vergangenheit äußern, gibt aber zu Papier, dass sich auf den Rückkauf der Anteile verständigt wurde und alle Parteien im Positiven auseinander gegangen seien. Weniger positiv gestimmt dürfte Haas wohl aber über die neue Konkurrenz sein, die anschließend entstand: Jochen Maaß brachte mit seinem Inkubator Hanse Ventures einfach das nächste Startup im gleichen Markt an den Start. So entsteht mit Pflege.de ein direkter Konkurrent zum ehemaligen Investment.

Heute findet sich Pflegehilfe nicht nur ohne Investoren wieder, sondern sieht sich auch einem neu entstandenen Mitbewerber gegenüber, dem das Insiderwissen der Investoren aus der Pflegehilfe-Zeit entsprechend geholfen haben dürfte. Dass es keine akkuraten Wettbewerbsklauseln für solch einen Fall zu geben schien, ist sicherlich ohnehin ein Versäumnis, vor allem ist es aus Investorensicht aber moralisch diskussionswürdig, ob in solch einer Form direkte Konkurrenten zum ehemaligen Portfolio gegründet werden sollten.

Jochen Maaß gibt auf Anfrage von Gründerszene zu Protokoll: „Pflege.de ist erst nach meinem Ausstieg bei Pflegehilfe gegründet worden und läuft sehr erfolgreich an. So ist bereits eine dreistellige Zahl an Partnerverträgen geschlossen worden. Ohnehin konkurrieren die beiden Angebote lediglich in Teilbereichen. Ein „unmoralischer Wissenstransfer“ hat hier nicht stattgefunden und wäre aus Sicht von Hanse Ventures auch nicht erwünscht.“

Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Neugründung verwunderlich, da die Investoren aufgrund der Insiderinformationen ja gewusst haben, wie schwierig und langwierig der Pflegemarkt ist. Längst nicht jedes Pflegeheim möchte mit entsprechenden Onlineanbietern kooperieren, sind einige doch bereits voll ausgelastet oder haben moralische Bedenken ob eines „Kopfgeldes“. Der Erfolg der Neugründung scheint dementsprechend beschränkt zu sein. Am 8. September waren auf der Webseite Pflege.de lediglich zehn Pflegeanbieter als „Pflege.de Partner“ angegeben. Das scheint angesichts der zahlreichen Konkurrenz nicht zu reichen, wenn dieser Markt erfolgreich beackert werden soll.

Pflegehilfe geht es ohne seine Investoren besser als mit

Trösten dürfte Pflegehilfe der Umstand, dass es der Firma ohne seine Investoren besser geht als mit, auch wenn dennoch harsche Kürzungsmaßnahmen vorgenommen werden mussten: So wurde die Belegschaft von etwa zehn Beschäftigten auf insgesamt fünf Mitstreiter reduziert. Gegenüber Gründerszene gab Johannes Haas zu verstehen, dass Pflegehilfe derzeit besser performe als je zuvor und insbesondere seinen Google-Traffic verzehnfacht habe – ein Umstand, der kein gutes Licht auf Jochen Maaß wirft, bedenkt man, dass dieser seine Anteile für entsprechende SEO-Versprechen erhalten haben soll und zuvor mit Artaxo (www.artaxo.com) eine Suchmaschinenagentur gründete.

Derzeit will es Pflegehilfe laut eigenen Angaben auf 1.000 Pflegeeinrichtungen bringen und erwarte für 2011 einen fünfstelligen Gewinn. Wirtschaftlich bei fünf Mitarbeitern kein atemberaubendes Ergebnis, aber Beleg dafür, dass sich ein Startup auch sehr solide bootstrappen lässt. Von den deutschlandweit 12.000 Pflegeheimen deckt Pflegehilfe also inzwischen einen guten Prozentsatz ab und hat mit Seniorplace (www.seniorplace.de) einen Platzhirschen als Hauptkonkurrenten. Insgesamt scheint die junge Firma wieder auf Expansionskurs und schreibt insgesamt drei Stellen aus, um sich mittelfristig deutlich zu verstärken.

Was lässt sich aus dem Investoren-Intermezzo der Pflegehilfe also für andere motivierte Gründer ableiten? Es bedarf nicht immer dicker Investoren-Geldbörsen, um die eigene Idee zu einem Unternehmen auszubauen – wenn es wie bei Pflegehilfe ohne Geldgeber sogar besser geht als mit, ist dies sicherlich umso ironischer (und unrühmlicher für die Investorenschaft). Manchmal ist gut gebootstrapped eben doch eine gute Alternative und jenseits dessen gilt offensichtlich auch in Investorenfragen: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet.“

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Bildmaterial: Jerzy  / pixelio.de