Durch die Handykamera sind die Pokemon in der realen Umgebung zu sehen

Ich checke gerade die Arbeits-Mails, da steht plötzlich meine Kollegin Britta neben mir. Sie strahlt, zeigt mir ihr Handy und präsentiert stolz ihre Bilder vom Wochenende. Darauf sind keine ausschweifenden Parties oder hübsch drapiertes Essen zu sehen – sondern Pokémon. Das sind die kleinen Monster, die in den 90er-Jahren Millionen Jugendliche in ihren Bann zogen und auf Namen wie Pikachu, Jigglypuff oder Squirtle hören.

Gerade gibt es einen regelrechten Hype um die knuddeligen Dinger. Schuld ist die App Pokémon Go, die erst seit wenigen Tagen zum Download steht. Die App hebt sich gleich durch mehrere Dinge von der Konkurrenz ab. Zum einen durch die starke Marke mit einer großen Fan-Basis, die auch über die Jahre nicht kleiner geworden ist. Zum anderen: Wer ein Pokémon in der App fangen will, muss sich dafür in der echten Welt bewegen: Per GPS wird der Smartphone-Standort des Spielers in die digitale Spielewelt übertragen. Über die Handykamera werden die Pokémons in das Straßenbild eingeblendet und können schließlich mit einem Swipe in der App gefangen werden (siehe Video).

„Ich will Video-Spiele spielen, aber es regnet“

Wer also – wie ich – nach der Arbeit normalerweise faul auf der Couch sitzt, um sich von einer App berieseln zu lassen, der kommt hier nicht weit. Umso überraschender ist es, dass Pokémon Go gerade unter der vermeintlich faulen und soziophoben Spielerschaft auf so ein großes Interesse stößt. Von den Spielern kommen auf Reddit Sprüche wie „Ich habe mich das erste mal seit Monaten wieder bewegt“ oder „Ich will Video-Spiele spielen, aber es regnet“.

Meine eigene Pokémon-Go-Statistik verwundert mich selbst: Ich habe in den vergangenen Tagen über zwanzig Kilometer zurückgelegt – nur für diese App. Und damit befinde ich mich verglichen mit anderen Spielern gerade mal im Mittelfeld. Teilweise startete ich die App bereits 7 Uhr morgens, um noch bei leeren Straßen auf Pokémon-Jagd zu gehen. Denn tatsächlich ist es nicht ganz ungefährlich, wenn mich das Spiel dazu bewegen möchte, ein Monster auf einer befahrenen Straße zu fangen, oder mich um Mitternacht in dunklen Ecken aufzuhalten. Medienberichten zufolge sollen Kriminelle in den USA die App bereits nutzen, um Spieler an abgelegenen Orten auszurauben.

Der richtige Hype kommt erst noch

Was an dieser App macht so süchtig? Es ist das Gefühl, ganz am Anfang bei etwas Großem dabei zu sein. Es ist das Sammelfieber, immer wieder auf ein Pokémon zu treffen, das ich verbessern oder meiner Sammlung hinzufügen möchte. Es sind die echten Freunde, die ebenfalls spielen, mit denen man mithalten möchte und mit denen es gemeinsam mehr Spaß macht. Es sind die drei Teams – blau, rot, gelb – , die sich in der digitalen Spielewelt duellieren und die Zugehörigkeit geben. Und natürlich sind es die Erinnerungen an meine Kindheit, als alles noch ganz einfach war.

Dabei steht der Hype erst ganz am Anfang: Denn die App ist in fast keinem AppStore öffentlich zugänglich und nur über Hintertürchen zu erhalten. Dennoch arbeiten die Server bereits jetzt am Limit und fallen häufig aus. Und wir reden hier nicht von semi-professionellen App-Entwicklern, die kein Geld für richtige Hardware haben. Wir reden von Nintendo und Niantic, einem Google-Unternehmen, die zu den Größten der Branche gehören. Was erst passiert, wenn das Spiel in den nächsten Tagen weltweit veröffentlicht wird, lässt sich kaum ausmalen.

Es geht um viel Geld

Der Hype ist auch in der Business-Welt angekommen: Restaurants werben damit, dass bei ihnen besonders seltene Pokémon gefunden werden können. Andere geben für Mitglieder bestimmter Teams Rabatt auf Pizzen. Im Walmart gibt es Starter-Packs für Pokémon-Go-Neulinge bestehend aus Süßigkeiten oder Ersatzakkus. Und die ersten Spieler rätseln darüber, ihren Lebensunterhalt mit dem Leveln fremder Accounts oder dem Verkauf seltener Pokémons zu verdienen.

Eine Gruppe verdient schon gewaltig mit Pokémon Go: die Macher der App. Für kleinere Beträge können Spieler schneller in der App aufsteigen. Und das wird von den Spielern fleißig genutzt. Ich selbst habe noch kein echtes Geld für dieses Spiel ausgegeben, aber irgendwann wird es sicher soweit sein. Auch meine Kollegin Britta würde derzeit noch kein Geld ausgeben, sagt sie, fügt aber mit einem Schmunzeln hinzu: „Wenn ich meine ersten Duelle hinter mir habe und mein Pikachu schneller wachsen soll, kann sich das schnell ändern.“

Bild: Britta Kiwit/Gründerszene