So stellt sich die Berliner Initiative Radbahn die urbane Mobilität der Zukunft vor: Oben fährt die U-Bahn. Unter ihrem Dach ist Platz für Radfahrer und Fußgänger. Dieses grüne Band soll sich einmal durch die Berliner City ziehen.
So stellt sich die Berliner Initiative Radbahn die urbane Mobilität der Zukunft vor: Oben fährt die U-Bahn. Unter ihrem Dach ist Platz für Radfahrer und Fußgänger. Dieses grüne Band soll sich einmal durch die Berliner City ziehen. So stellt sich die Berliner Initiative Radbahn die urbane Mobilität der Zukunft vor: Oben fährt die U-Bahn. Unter ihrem Dach ist Platz für Radfahrer und Fußgänger. Dieses grüne Band soll sich einmal durch die Berliner City ziehen.

Flugtaxis, selbstfahrende Carharing-Flotten, Fahrrad-Highways – oder doch die alte U-Bahn? Für die Mobilität der Zukunft gibt es viele Visionen. Doch welche wird sich in der Realität durchsetzen? Um die konkurrierenden Systeme ist ein Verteilungskampf entbrannt, der von drei Faktoren bestimmt wird: Der öffentliche Raum ist knapp, der Mut der Politik zur Veränderung schwach und wirtschaftliche Interessen sind groß.

Taxi-Lobby läuft Sturm

Mobilitätsanbieter bekommen das zu spüren: Der Taxidienst Uber aus den USA, der sich bei seinem Marktstart in Berlin, Hamburg, Frankfurt und München kaltschnäuzig über geltende Gesetze hinweggesetzt hatte, wurde 2014 und 2015 fast komplett vom deutschen Markt gefegt. Volkswagens Carpooling-Dienst Moia, bei dem sich mehrere Passagiere ein Fahrzeug teilen, spürte 2018 den Druck der Taxi-Lobby, die gegen Modellprojekte in Hannover und Hamburg Sturm lief. Erfolglos: Der Hamburger Senat segnete den Pilotversuch mit 1000 Fahrzeugen ab.

Daimler ist da klüger als die Mitbewerber. Die Stuttgarter verbündeten sich vorab mit den örtlichen Verkehrsunternehmen und hatten damit einen möglichen Konkurrenten auf ihrer Seite. Ihre Mobilitätstochter Moovel bietet den Pooling-Dienst Flex Pilot in Stuttgart und Karlsruhe an, das Joint Venture ViaVan demnächst in Berlin.

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Radfahrer erstreiten Mobilitätsgesetz

Den wohl heftigsten Kampf liefert sich die Radfahrer-Lobby mit den Behörden – vor allem in Berlin. Dort hat sie nach einem Volksbegehren ein Gesetz erstritten, das kurz vor der Verabschiedung steht und Berlin binnen zehn Jahren zur Fahrradstadt machen soll. Auf den Straßen ist davon noch nicht viel zu sehen – außer den Radfahrerpulks, die sich zwischen Fahrzeugkolonnen hindurchquetschen.

Der rot-rot-grüne Senat hat außer Ankündigungen erst wenig Zustande gebracht. Es wird über geschützte Radstreifen debattiert, sie werden aber nur zögerlich gebaut. Im Split der Verkehrsmittel entfallen in Berlin 13 Prozent auf Radfahrer. Geplant sind 20 Prozent. Zum Vergleich: In Münster liegt der aktuelle Radfahrer-Anteil am Gesamtverkehr bei 39 Prozent, in Karlsruhe, wo das Fahrrad vor 200 Jahren erfunden wurde, immerhin 25 Prozent.

Tödliche Unfälle ohne Airbag und Knautschzone

Dass Radfahrer in Deutschlands Städten besser geschützt werden müssen, zeigt die amtliche Unfallstatistik: Im Jahr 2016 verunglückten 393 Radfahrer tödlich, 81.274 wurden verletzt. Radfahrer sind anders als Autos ohne Airbag und Knautschzone unterwegs.

Es geht auch anders, die Politik muss sich nur trauen: Das zeigt ein Blick in Metropolen wie Kopenhagen mit seinen Fahrradstraßen, wo bereits ein Drittel des urbanen Verkehrs mit Zweirädern bewältigt wird – angestrebt sind 50. Dort wird schon seit Jahren bei allen Bauprojekten an den Radverkehr gedacht. Breite Radstraßen und Spuren geben den Fahrern Sicherheit. Ähnlich in Amsterdam, wo der Radverkehr prozentual ungefähr so stark gestiegen ist, wie der Autoverkehr abgenommen hat. Dort werden Fahrräder inzwischen zum Ordnungsproblem: Die Behörden bauten 250.000 Fahrrad-Stellplätze und beseitigen rigoros illegal abgestellte Räder, damit die Stadt nicht komplett verstopft.

Wenig Entlastung durch Sharing

Carsharing und andere Mobilitätsdienstleistungen haben bislang wenig zur Entlastung des urbanen Verkehrs beigetragen. Marktführer Car2Go spricht von einem Carsharing-Anteil von „deutlich unter einem Prozent des urbanen Verkehrs“. Konkreter wird das Verkehrsberatungsunternehmen Civity. Die Ausleihdauer von Carsharing-Fahrzeugen sei in gut laufenden Städten auf bis zu vier Stunden pro Tag gestiegen – gegenüber 2014 ein Anstieg um den Faktor vier. Dennoch: Carsharing könne nur eine Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs sein – niemals ein Ersatz, sagt Michael Kuhn, Kommunikationschef von Daimlers Mobility-Ableger Moovel, zu dem Car2Go gehört.

Ähnlich interpretiert auch die Civity-Studie diese Zahlen. „Wir haben den Begriff der motorisierten Bequemlichkeitsmobilität im Nahbereich geprägt“, sagt Studien-Autor Stefan Weigele. Carsharing habe allenfalls eine homöopathische Wirkung im gesamten Verkehrsgeschehen.

Carsharing-Vermittler DriveNow will die ernüchternden Zahlen so nicht stehen lassen: Das inzwischen mit Car2Go fusionierte Unternehmen sagt in einem Thesenpapier voraus, dass „in zehn Jahren ein Drittel aller Fahrten über geteilte Mobilität“ erfolgen werden und dass Carsharing der Elektromobilität zum Durchbruch verhelfen werde. Im Übrigen wird das heutige Sharing als Vorläufer des Teilens autonomer Fahrzeuge in der Zukunft gewertet. Car2Go sieht in einem Whitepaper das Carsharing als Testfeld für die Einführung der Elektromobilität.

Die Zeit der Freiluftlabore

Überhaupt scheinen viele Neuerungen im Verkehrsgeschehen Freiluft-Labore für zukünftige Dienstleistungen zu sein, mit dem vorrangigen Ziel, Daten zu generieren. Der chinesische Bikesharing-Anbieter Mobike etwa rühmte sich bei seinem Deutschland-Start in Berlin Ende 2017, täglich von seinen Nutzern 30 Terabyte Mobilitätsdaten zu sammeln. Es hat den Anschein, dass das Vermieten von Zweirädern hier zweitrangig ist. Jedenfalls legt der nachlässige Umgang mit den Zweirädern in Städten diese Vermutung nahe.

Auch wenn Uber, Google und Tesla von der autonom-elektromobilen Weltrevolution träumen: Über kurz oder lang werden herkömmliche Verkehrsmittel die tragenden Säulen der urbanen Mobilität bleiben. Sie sind schnell und transportieren viele Menschen auf engem Raum. Das zeigt sich am deutlichsten in Berlin: Im Jahr 2017 stellten die lokalen Verkehrsbetriebe BVG einen Rekord von 1.064 Millionen Fahrgästen auf, das sind mehr als 2,9 Millionen Fahrten pro Tag. Sie erreichte damit einen Anteil am Gesamtverkehr von 27 Prozent.

Für Verkehrsplaner Stefan Weigele dürfen solche Zahlen nicht über den aktuellen Handlungsbedarf hinwegtäuschen, um seine Akzeptanz dauerhaft zu sichern. „Der ÖPNV braucht dichtere Liniennetze und deutlich kürzere Taktzeiten und damit mehr Fahrer und mehr Fahrzeuge.“ Erforderlich sei ferner ein „radikaler Vorrang für Busse und Trams im Straßenraum“. Es könne nicht sein, dass eine Straßenbahn mit bis zu 300 Fahrgästen an Bord von fünf abbiegenden Autos an einer Ampel ausgebremst werde. „Es wird Flächenkonflikte geben. Die Politiker trauen sich da nicht ran.“

Ein positives Beispiel ist hier Wien: Die Bürger sollen dort bis 2025 etwa 80 Prozent der Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Rad oder zu Fuß zurücklegen, während der derzeitige Anteil des motorisierten Individualverkehrs auf 20 Prozent zurückgehen soll.

Dieser Text erschien zuerst in der Welt am Sonntag.

Bild: Reindeeer Renderings /Radbahn