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Meeting mit Roboter bei Time Matters

Es ist eine Szene wie aus einem Science-Fiction-Film. Ein Monitor auf zwei Stelzen mit kleinen Rädern saust durch den Konferenzraum. Die Anwesenden blicken ihn erfreut an: „Hallo Nico, wie war Dein Urlaub?“ rufen sie ihm zu. Das Gefährt rollt etwas näher heran. Auf dem Bildschirm oben ist ein schwarzhaariger Mann im weißen Hemd zu sehen, in seinen Ohren stecken kleine Kopfhörer. „Leider kann ich Euch nicht zur Begrüßung die Hand reichen“, sagt er. Alle lachen.

Nico ist keine Vision und auch keine technische Spielerei. Nico ist Nicolas Preuß, Abteilungsleiter bei der Lufthansa-Tochter Time Matters. Deren Büros befinden sich in Neu Isenburg bei Frankfurt. Doch dort ist Preuß nur selten. Seit zwei Jahren arbeitet er von einem Zimmer im zweiten Stock seines Privathauses im bayerischen Landsberg am Lech aus.

Für seine Mitarbeiter aber saust er als Roboter durch die Flure in Neu-Isenburg und ist so fast jederzeit und überall verfügbar. Für fachliche Fragen – aber auch für einen Plausch über das vergangene Wochenende.

Ängste sind unbegründet

Seit fast 30 Jahren arbeiten Menschen fern von ihrem Büro, im Auto, im ICE oder am Flughafen. Die Digitalisierung macht das mobile Arbeiten nun viel einfacher. Heute macht es für viele Jobs fast gar keinen Unterschied mehr, von welchem Ort aus sie erledigt werden. Und mit der Kommunikation per E-Mail oder Chat ist die Entwicklung längst nicht am Ende, das zeigt das Beispiel Lufthansa.

Für die Arbeitnehmer birgt das ein großes Versprechen: Sie sollen Familie und Beruf viel leichter unter einen Hut bekommen. Doch der Spagat gelingt oft nur durch Entgegenkommen des Arbeitgebers. Vorgesetzte fürchten einen Kontrollverlust. Dabei sind diese Ängste unbegründet. Laut einer Studie der Stanford University sind Telearbeiter im Schnitt gute neun Prozent produktiver als ihre Kollegen im Büro.

„Dennoch gilt dieses oftmals noch als verpönt“, sagt Michael Böttcher von der Lufthansa. Er leitet eine Abteilung, die sich mit der Zukunft der Arbeit beschäftigt und bei der Lufthansa dafür Konzepte entwirft und umsetzt. Es ist ihm ein wichtiges Anliegen, die Heimarbeit endlich salonfähig zu machen.

Er spricht deswegen lieber von Remote-Arbeit. Nur damit würden Unternehmen den Bedürfnissen ihrer Arbeitnehmer gerecht. Die Roboter könnten ein Weg sein, dies zu ermöglichen, hofft der Lufthansa-Manager. Die Logistiktochter dient dem Großkonzern als Versuchslabor.

Für seine Kollegen war es eine große Umstellung, dass Preuß auf einem kleinen Monitor zwischen ihnen hin und her fährt und mit ihnen spricht. Christian Mörtl, Geschäftsführer bei der Lufthansa-Tochter, erinnert sich an seine erste Besprechung mit Preuß: „Als er pünktlich zum vereinbarten Termin um die Ecke gerollt kam und ich mich über den Bildschirm mit ihm austauschte, war dies zunächst ungewöhnlich für mich“, sagt Mörtl. „Doch nach wenigen Minuten war es wie immer: Es war als würde dort tatsächlich Nico stehen.“

Zehn Mitarbeiter nutzen die Roboter

Mittlerweile haben sich auch die anderen Kollegen daran gewöhnt. Seit acht Jahren arbeitet Preuß schon bei der Lufthansa-Tochter. Direkt nach dem Studium begann er hier seine Karriere. Seine Verbundenheit zum Unternehmen ist sehr eng, zur Rhein-Main-Region eher weniger.

Er wollte zurück nach Bayern. Seine Frau hatte dort eine Arbeitsstelle, auch ihre beiden Familien leben dort. Hätte es bei der Lufthansa nicht die Möglichkeit gegeben, von zu Hause aus arbeiten zu können, hätte er womöglich den Arbeitgeber wechseln müssen.

Mittlerweile nutzen etwa zehn Mitarbeiter regelmäßig die Roboter. In der Firma werden sie liebevoll „Beamies“ genannt. Allerdings nur, wenn man nicht erkennen kann, wer den diesen gerade steuert. „Sobald dies klar ist, ist es so als würde sich diese Person tatsächlich im Raum aufhalten“, erzählt Mörtl.

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Die Roboter wurden vor zwei Jahren angeschafft. Der damalige Chef hatte sie auf einer Messe in den USA gesehen und war sofort begeistert. So leistete sich die Lufthansa-Tochter zuerst einen Beamie. In den vergangenen Jahren hat sie aufgestockt. Mittlerweile gibt es drei in Neu-Isenburg, zwei in Amsterdam und einen in den USA. Kosten für alle: rund 25.000 Euro im Jahr.

Für den Logistikkonzern haben sich die Roboter bewährt. Vielleicht weil sie das Image-Probleme der Heimarbeit gezielt ansprechen: „Remote-Arbeiten hat viel mit Vertrauen zu tun. Oft gibt es ein großes, nicht ausgesprochenes Misstrauen, dass der Arbeitnehmer häufigere Pausen einlegt als im Büro. Dies ist aber selten gerechtfertigt. Meist machen Heimarbeiter kürzere Pausen und sind weniger abgelenkt.“

Flexibilisierung leert die Büros

Preuß kann diesen Vorurteilen ganz entspannt begegnen, wenn er sich in der Mittagspause zu Hause in seiner Küche etwas kocht oder sich in den nahe gelegenen Ortschaften etwas zu Essen besorgt, sagt er kurz „Ciao“ und verabschiedet sich per Roboter. Nach Ende der Pause rollt er dann wieder durch die Abteilung.

Ein weiterer Knackpunkt ist laut Böttcher, dass die Flexibilisierung der Arbeit die Büros deutlich leerer mache. Gerade an Montagen und Freitagen seien oft viele Plätze unbelegt. „Das wird in vielen Unternehmen noch immer schwer akzeptiert“, sagt Böttcher.

Auch hier helfen die Roboter, die trotz abwesender Mitarbeiter für Leben auf dem Flur sorgen. Nicht selten sieht man in den Büros der Lufthansa-Tochter zwei Beamies, die sich miteinander unterhalten. Preuß beispielsweise hat sich heute morgen schon mit einer Kollegin, die von Hamburg aus arbeitet, auf dem Flur in Neu Isenburg ausgetauscht.

Als erster im Konferenzraum

Aber natürlich kommen die Roboter des öfteren an ihre Grenzen. So hat Preuß schon den ein oder anderen Auffahrunfall hinter sich. Verletzt wurde aber niemand: nur den Flipchart hat er ein paar mal umgestoßen. Zudem fehlen ihm auch Arme, um Türen zu öffnen. Hier sind die Ferngesteuerten auf Hilfe angewiesen – die sie von ihren Kollegen aber auch immer bekommen. „Für mich öffnen sich die Türen immer von selbst“, sagt Preuß.

Beschwerlich wird es für ihn aber trotzdem, wenn er längere Strecken zurücklegen will. Dann greift er auch ab und zu zum Telefon oder behilft sich eines Tricks: Er wählt sich auf einen zweiten Roboter ein, der in der Nähe seines Ziels gerade stationiert ist. So schafft Preuß es auch, bei einem plötzlichen Wechsel des Konferenzraums immer als erster da zu sein. Nur von den Keksen, die zur Besprechung gereicht werden, kann er nie kosten.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt Online.