Es gibt Startups, deren Gründer gerne hinter den Kulissen bleiben möchten. Freya Oehle gehört nicht dazu. Mit der Gründung ihres Startups Spottster stellte sie sich 2013 direkt ins Scheinwerferlicht – und trat bis heute nicht heraus. In den vergangenen vier Jahren nahm Freya medial viel Aufmerksamkeit mit. Sie pitchte bei der TV-Show Die Höhle der Löwen, sprach in Interviews über das Gründen und Frausein, stand bei Startup-Events auf der Bühne und verbrachte 72 Stunden auf Richard Bransons Privatinsel in der Karibik. Dort stand sie barfuß am Strand und schaute Barack Obama beim Surfen zu.

Nur drei Monate später, im Mai dieses Jahres, gab die Gründerin überraschend bekannt: Spottster stellt den Betrieb ein. Die Plattform, auf der Kunden online die Preisentwicklung ihrer Wunschprodukte verfolgen konnten, gibt es seitdem nicht mehr. Für Freya kein Grund, hinter den Vorhang zu treten: Mit Gründerszene hat die Hamburgerin offen darüber gesprochen, dass hinter dem Aufgeben viel mehr steckt als das Abschalten der Unternehmenswebsite – und verraten, warum es sie besonders ärgert, als Frau zu scheitern.

Zu Beginn unseres Gesprächs haben wir sie gebeten, ihre Gefühlslage während der vier Jahre Spottster aufzuzeichnen.

Schöner Scheitern: So fühlten sich die Gründer

Freya, den letzten Höhepunkt auf Deiner Gefühlskurve hast Du für Januar 2017 eingetragen. Danach sank Deine Stimmung auf einmal drastisch – warum?

Das Hoch stellt den Zeitpunkt dar, wo wir erstmals in die schwarzen Zahlen gekommen sind. Statt das zu feiern, haben ich und mein Mitgründer uns gedacht: Wenn wir mal rational auf die Zahlen gucken und den ganzen Startup-Hype ausblenden, sind die Zahlen gar nicht so schwarz. Sie hingen vom Saisonhoch Weihnachten und von unseren TV-Auftritten ab. Das waren keine Konstanten, mit denen man im nächsten Jahr wieder hätte rechnen können. 

Und deswegen habt Ihr aufgegeben?

Direkt aufgegeben sicher nicht. Da steckt ein sehr langer Werdegang dahinter. Unser Ziel war dynamisches Pricing: Wenn Du weißt, da sind 7.000 Menschen an einem Produkt interessiert, dann senkst Du für diese Menschen durch einen individuellen Gutschein oder dergleichen den Preis. Technisch haben wir dafür die Rahmenbedingungen geschaffen, das Problem waren de facto die Partner. Es hätte Jahre gedauert, bis die Zusammenarbeit nach unseren Vorstellungen funktioniert hätte. Nachdem wir das nach sehr zähen und langwierigen Gesprächen mit unseren Partnern irgendwann einsehen mussten, dachten wir uns: Mit der Zeit und dem Geld kann man bessere Entscheidungen treffen. Das war eher eine kaufmännische Entscheidung. 

Warum habt Ihr Euch für die Liquidation entschieden?

Weil durchaus noch Geld da war. Es war keine Pleite. Es gab keinen Grund, das Geld sinnlos auszugeben und wir wollten ja auch, dass unsere Investoren etwas davon haben und niemand einen Schaden nimmt.

Wer hat die Option, Spottster zu beenden, das erste Mal ausgesprochen? 

Das waren mein Mitgründer und ich gemeinsam. Wir haben uns gegenseitig angemerkt, dass wir beide kritisch auf die Zahlen geguckt haben. Wir haben uns dann relativ schnell darauf geeinigt, dass wir eine E-Mail an unsere Gesellschafter senden müssen. Darin stand, dass wir in den nächsten vier Jahren nicht das erreichen können, was wir wollen. Nach dem Abschicken sitzt man da und wartet sehr nervös auf eine Antwort. Man hat sozusagen eine kleine Bombe gezündet. 

Unter anderem der ehemalige DHDL-Investor Jochen Schweizer und Forum Media Ventures haben jeweils sechsstellige Beträge in Spottster gesteckt. Wie haben die Gesellschafter reagiert? 

Es gab eine Telefonkonferenz mit allen Gesellschaftern. Vorab hatten wir uns einen Fragenkatalog überlegt und sind alles, was die Gesellschafter wissen wollen könnten, im Kopf durchgegangen. Wir waren extrem nervös. Die erste Frage, die in dieser Telefonkonferenz kam, war, wie es uns geht. Das war die einzige Frage, mit der wir wirklich nicht gerechnet hatten. 

Und was war Eure Antwort? 

Wir meinten, es geht uns den Umständen entsprechend schlecht. Für uns war das ja eine Entscheidung, die extrem unangenehm ist. Wir sind sehr rational getriebene Gründer, aber man hat in unseren Stimmlagen gemerkt, dass es uns unter die Haut gegangen ist. 

Was hattest Du denn befürchtet? 

Ich habe damit gerechnet, dass wir für alle die Buhmänner sind. Dass die Gesellschafter sauer sind, dass wir einen massiven Shitstorm kriegen oder dass wir typisch deutsche Sprüche wie „Das konnte man ja gleich wissen“ anhören müssen. Wir haben sogar unser Team darauf gebrieft, dass das zu erwarten ist. Tatsächlich kamen aber viele Rückmeldungen, in denen gesagt wurde „Krasse Entscheidung, mutig“. Da wussten wir, wir scheinen das nicht komplett schlecht gemacht zu haben. Wir haben uns wirklich das maximale Armageddon ausgerechnet und ich glaube, das tut auch jeder Gründer. 

Wie kamst Du darauf, dass die Reaktionen so negativ sein könnten? 

Das Problem ist, man weiß nicht, was da kommt – es redet ja auch keiner darüber. Manche Startups verschwinden einfach. Vorher die ganze Zeit präsent zu sein und dann einfach heimlich, still und leise wegzurennen ist aber nicht meine Art.

Bild: Freya oehle


Sich den Investoren mitzuteilen ist das eine, aber man muss ja auch irgendwann seinen Freunden sagen, dass man aufhört. 

Ja, das ist extrem unangenehm. Gerade bei Freunden, die nicht aus dem Startup-Umfeld kommen, ist es extrem schwierig, Verständnis aufzubauen. Es ist schon eine Art Fail. In der Phase danach kann sich niemand vorstellen, dass man tatsächlich etwas tut. Es hat mich definitiv unter Druck gesetzt. Alle denken, wenn Du das eine abschließt, weißt Du schon, was Du als nächstes machst. Für uns galt aber immer, wir machen keinen Plan B, wenn Plan A noch existent ist, weil man dann nicht zu 100 Prozent dabei ist. 

Kannst Du die Situation beschreiben, in der Ihr Eure Entscheidung den Mitarbeitern mitgeteilt habt? 

Das ist dieses typische… (sie stockt, sagt ein paar Sekunden nichts). Es ist schwierig, in Worte zu fassen. So stelle ich mir vor, wenn Eltern vor einem sitzen und einem mitteilen wollen, dass das Haustier gestorben ist oder sie sich trennen. Man sitzt da und weiß, man muss jetzt mit der Sprache rausrücken. In Summe ist es einfach ein ganz, ganz unangenehmer Tag. Man hofft, irgendwann beim letzten Gespräch angekommen zu sein und dass danach nicht alle böse auf einen sind. 

Wie haben die Mitarbeiter reagiert? 

Sie waren halbwegs verständnisvoll, niemand war sauer. Alle haben gefragt „Was machen wir als nächstes?“. Damit, dass auch nur einer von unseren Entwicklern oder Mitarbeitern sagt, sie wollen weiter mit uns arbeiten, haben wir überhaupt nicht gerechnet. Wir hatten Glück, dass unser Team sehr dick miteinander war, dass wir den gleichen Humor, die gleiche Einstellung haben. Die Stimmung war bis zum Ende produktiv und witzig. 

Ist es schwierig, sich selber einzugestehen, dass man das Startup aufgeben muss? 

Definitiv. Es ist vor allem als Gründerin schwierig. Man hat eine Vorbildfunktion, die ausgeprägter ist, als wenn man als Mann gründet. Denn es gründen extrem viele Männer, da ist es nicht so schlimm, wenn einer ausscheidet. Bei Frauen hat man ja nur eine Handvoll, die gründen. Wenn dann zwei, drei scheitern, ist das ein Negativbeispiel. Da hadere ich ein bisschen mit, da ärgere ich mich am meisten drüber. Es wäre für den Effekt, dass andere mal ein bisschen mehr in die Pötte kommen, vielleicht angenehmer, wenn es bei allen Frauen, die gründen, funktionieren würde. 

Warum empfiehlst Du die Gründerkarriere? 

Ich bin überzeugt, dass die Gründerkarriere die ist, die die hartgesottensten Gestalten hervorbringt. Man muss so viel machen und so selbstmotiviert sein, dass man mit Sicherheit der beste Angestellte und der erwachsenere Mensch ist. Und es macht extrem viel Spaß. Du hast halt Bock morgens aufzustehen. Und du lernst unfassbar viel. Das Stimmungskarussell ist natürlich schon ein bisschen fordernd (sie deutet auf ihre Gefühlskurve)

Glaubst Du, es gibt irgendwann einen Moment, wo Spottster aus Deinem Leben verschwunden ist? 

Nein, glaube ich nicht. Die erste Gründung ist immer besonders. Die ganzen Situationen, wo wir wie der Ochs vorm Berg standen, weil wir de facto keine Ahnung hatten und dachten, „Schauen wir mal, was passiert, wenn ich diesen Knopf drücke“. Deswegen glaube ich, Spottster wird nie komplett weg sein. Wäre auch schade drum, dazu war es zu lehrreich und zu gut.

Wie geht es jetzt weiter? 

Mein Team und ich würden auf jeden Fall nochmal gerne gründen. Wir arbeiten gerade an ein paar Prototypen und gucken, was man auf die Straße bringen kann. Wenn wir es jetzt nicht machen, ist die Frage, ob wir in diesem Team nochmal zusammenkommen. Bei zukünftigen Startups ist der Risikofaktor für Investoren bei uns relativ gering. Wir wissen, wir funktionieren im Team extrem gut, weil wir schon durch diese ganzen Täler und schlecht gemalten Gipfel gegangen sind (sie nickt in Richtung ihres Stimmungsgraphen). Das wollen wir nutzen.