Artur Lohrer kündigte bei der TU München und gründete Sensape

Sind Außenplakate oder Schaufenster aufregend und informativ gestaltet? Nein, findet Artur Lohrer, und hat das Startup Sensape gegründet. Mithilfe seiner Technologie beginnt sich zum Beispiel eine Werbefigur auf einem Display von allen Seiten zu zeigen, sobald ein Passant die Figur betrachtet. Dazu erkennt die Software anonymisiert Merkmale des Betrachters wie das Alter, das Geschlecht, die Gemütsverfassung oder Gegenstände, die er in den Händen hält.

Lohrer gründete Sensape unter dem Arbeitstitel Project Loox gemeinsam mit Martin Liborak und Matthias Freysoldt im Oktober 2014. Zuvor schloss der 26-Jährige seinen Bachelor in Physik und seinen Master im Bereich „Robotics, Cognition, Intelligence“ ab. Anschließend arbeitete er an der TU München am Lehrstuhl für maschinelles Lernen. Sein Unternehmen wurde im Februar 2015 in den SpinLab-Accelerator der Business School HHL aufgenommen und präsentierte im selben Monat den ersten Prototypen.

Vor wenigen Tagen gewann Sensape den Gründerwettbewerb IKT Innovativ des BMWi und sammelte 30.000 Euro Startkapital ein. Die erste Finanzierungsrunde plant Sensape für Anfang 2016. Der Kapitalbedarf beläuft sich laut Unternehmensangaben auf 500.000 Euro.

Artur Lohrer im Kurzinterview mit Gründerszene.

Wie kamst Du auf die Idee zu Sensape?

Die Idee entstand bei einem Sparziergang durch die Münchner Innenstadt. Schaufenster sehen heute noch so aus wie vor 100 Jahren, da habe ich Raum für Innovation erkannt.

Du hast dich vor deiner Gründung mit dem autonomen Fahren beschäftigt. Gibt es hier Parallelen?

Rechentechnik und Sensorik sind mittlerweile leistungsfähig und kostengünstig genug, so dass man sie in immer neuen Gebieten anwenden kann. Vom Staubsaugroboter über Wearables bis hin zum Smart Home können wir diesen Trend bereits im Alltag erleben. Interaktive Schaufenster und autonome Fahrzeuge sind weitere Beispiele dieser Entwicklung. Die Hauptparallele findet man in der intelligenten und effizienten Sensorverarbeitung. Auch autonome Fahrzeuge setzen auf Bildsensoren und deren Verarbeitung. Unterschiede gibt es aber auch: Wir erreichen schneller die Marktreife – und bei unseren Produkten bleibt die Kontrolle beim Menschen.

Wann rechnet ihr mit der Marktreife?

Wir haben verschiedene Prototypen entwickelt und sind momentan in der Umsetzung gezielter Projekte mit einzelnen Kunden. Dabei kommt unsere Technologie zum Einsatz und wir sind in der Lage, möglichst nah am Kunden unsere Produkte weiter zu entwickeln.  Den Markteintritt unserer standardisierten Produkte planen wir Mitte 2016.

Dieses Video zeigt das interaktive Sensape-Logo: Der animierte Gorilla imitiert die Emotionen der Frau. Zusätzlich folgen seine Augen ihrer Position im Bild.

Bilderkennung ist eine Königsdisziplin der Programmierung. Was macht ihr anders oder besser als die Konkurrenz?

Das ist ein Betriebsgeheimnis! Nein, im Ernst, wir sind ein junges Unternehmen und haben von Anfang an darauf geachtet, unsere Strukturen effizient zu gestalten. Wir nutzen die Stärken von verschiedenen Programmiersprachen. Wo möglich, binden wir bereits vorhandene Software ein, anstatt das Rad immer wieder neu zu erfinden. Unsere Kernentwicklung ist weitestgehend automatisiert, so erforschen unsere Algorithmen etwa selbstständig, woran man ein Lächeln erkennt.

Kannst Du konkrete Anwendungsbeispiele für eure Technologien geben?

Nehmen wir als Beispiel einen Kaffeeproduzenten, der sein neues Fair-Trade-Produkt aus Java im Einzelhandel promoten will. Wir könnten eine Stele aufbauen, die im Ausgangszustand ein statisches digitales Poster zeigt und den Kunden auffordert, eine Kaffeepackung vor das Plakat zu halten. Wird der Kaffee des Herstellers erkannt, läuft ein Imagefilm ab, der die Insel Java zeigt, eine Plantage, das Wachsen einer Kaffeepflanze im Zeitraffer. Am Ende erscheint ein Interface mit zusätzlichen Informationen und ein QR-Code zur entsprechenden Facebookseite. Das ist interaktiv, modern und viral. Falls sich der Kunde übrigens den Spaß erlaubt und die Kaffeepackung eines anderen Herstellers zeigt, erscheint auf der Stele der Satz: „Weißt du, woher dein Kaffee kommt? Ich weiß es nicht…“

Hier ist eine frühe Version des interaktiven Shopping-Assistenten zu sehen.

Warum nutzt ihre eure Technologien für den Werbemarkt? Wären andere Märkte vorstellbar?

Der Werbemarkt ist sehr innovativ und schon lange ein beliebter Markteintrittspunkt für Startups. Wir lieben die Vision, das Stadtbild zu verändern und wieder mehr Leute in die echte Welt zu locken. Unser Ziel ist es, fade, eintönige Werbung und Schaufenster durch echte Erlebnisse zu ersetzen, bei denen der Nutzer die Entscheidungsfreiheit besitzt und begeistert wird. Unsere Bilderkennung wäre aber auch in ganz anderen Szenarien denkbar. Im Pflegesektor zum Beispiel: Hier könnte eine Anlage Alarm schlagen, wenn eine Person stürzt oder anderweitig Hilfsbedürftigkeit signalisiert. Ein anderes Beispiel wäre eine autonome Kasse, in der Produkte automatisiert erkannt werden. So können das Scannen jedes einzelnen Produktes und damit einhergehende Warteschlangen bald der Vergangenheit angehören.

Artur, danke für das Gespräch.


Sensape sitzt derzeit im HHL-Accelerator SpinLab. Der Startup-Beschleuniger ist in der berühmten Leipziger Baumwollspinnerei angesiedelt. So sieht es dort aus:

Rohe Industrie-Romantik im SpinLab-Büro

Artikelbild: Sensape; Galeriebilder: Spinlab