Gründerin Laura Behrens Wu kommt aus Berlin und hat in San Francisco ihr Startup Shippo aufgebaut

In ihr WG-Zimmer in St. Gallen ist Laura Behrens nie zurückgekehrt. Eigentlich hatte die Studentin damals, im Jahr 2013, gerade ihren MBA an der renommierten Schweizer Universität begonnen. Dann aber reiste sie für ein Pflichtpraktikum nach San Francisco, arbeitete dort bei einem Fintech-Startup und beschloss: Hier bleibe ich. Ausgeräumt haben ihre Eltern das Zimmer für sie.

„Die Kultur hat mir einfach so gut gefallen“, sagt Laura Behrens heute in ihrem Büro auf der Mission Street, mitten in San Francisco. „Es gab keine Hierarchien, als Praktikantin war meine Meinung genauso wichtig wie die des Gründers.“ Nur eines zählte: Die Idee müsse dem Wachstumsziel dienen.

Schnell entschied sich Behrens, etwas eigenes zu gründen. Sie tat sich mit ihrem ehemaligen Kommilitonen Simon Kreutz zusammen, der mit einer anderen Startupidee im Silicon Valley unterwegs war – sich allerdings kein Angel-Investment sichern konnte. Beide, gerade 23 Jahre alt, begannen, an ihrem ersten Konzept zu arbeiten: einem Onlineshop für nachhaltige Handtaschen. „Das war nicht so innovativ“, sagt Behrens heute und lacht. Dringend Geld brauchten sie damals trotzdem. „Denn ohne war klar, dass wir nach Deutschland zurück müssen.“

„Die Idee ist scheiße“

Das Kapital kam tatsächlich – durch einen Kontakt von Behrens früherem Chef. Der Plug-and-Play-Gründer Alireza Masrour investierte 25.000 US-Dollar – obwohl auch er fand: „Die Idee ist scheiße.“ Behrens aber fand er umso besser. „In deinen Augen kann ich das Unternehmertum sehen“, so Masrour damals.

Er sollte Recht behalten. Kurze Zeit später trat die Gründerin den Shop in die Tonne – und widmete sich mit Kreutz einem anderen Problem der E-Commerce-Branche. Sie entwickelten mit ihrem neuen Startup Shippo eine Lösung, die Online-Shops in ihren Check-out-Prozess einbinden können. Die Unternehmenskunden von Shippo vergleichen damit die Angebote der verschiedenen Versandunternehmen wie DHL, FedEx oder UPS und sehen die Preise, Lieferdauer und Routen. Sie können so bei der Versendung der Ware Geld sparen.

Gleichzeitig versorgt Shippo sie mit den Versandaufklebern. Dabei verdient das Startup entweder fünf Cent pro Label oder nimmt bei größeren Kunden eine monatliche Gebühr. Die hängt vom verschickten Volumen ab und beginnt bei 50 Dollar.

Nach Behrens Angaben hat das Startup heute 20.000 Kunden, viele kleinere Unternehmen seien darunter. 65 Mitarbeiter arbeiten mittlerweile für Shippo. Den Umsatz verrät Behrens nicht, nur, dass sich das Sendungsvolumen seit dem Launch 2014 jährlich verdreifacht habe. Eine gute Entwicklung – mächtige Konkurrenz ist allerdings nicht weit. Amazon hat seine eigene Logistik und bietet den kleinen Händlern auf seiner Plattform entsprechende Services an. Der E-Commerce-Riese könnte sich schnell dazu entscheiden, das Angebot auszuweiten und kleine Anbieter verdrängen.

Bekannte VCs wie Bessemer und Union Square sind an Shippo beteiligt

Im Moment sieht Behrens in Amazon aber einen Grund, warum Shippo genutzt wird. „Durch Prime haben die Leute hohe Anforderungen an ihre Lieferungen: Es soll schnell gehen und möglichst nichts kosten. Für kleine Shops ist das aber sehr schwierig,“ sagt sie. Bisher unterstützt ihr Unternehmen Sendungen in 20 Länder, unter anderem nach Deutschland, Frankreich oder Japan. Jetzt ist Behrens‘ Ziel, Shippo in weitere europäische Staaten zu bringen. „In diesem Jahr haben wir viel Zeit darauf verwendet, unsere Plattform verlässlich und skalierbar zu machen. Jetzt sollen unsere Kunden Shippo überall nutzen können.“

Darin sehen auch bekannte Wagniskapitalgeber eine Chance. Bessemer Ventures zum Beispiel, das bereits 117 Börsengänge mitgetragen hat, unter anderem von LinkedIn, Twilio oder Yelp. Bei Shippo investierte Bessemer in der B-Runde, in welcher 20 Millionen US-Dollar flossen. Auch Union Square Ventures aus New York hat sich bereits an dem Startup beteiligt. Der VC ist unter anderem Anteilseigner bei Funding Circle, Coinbase und dem Berliner Fruchtbarkeitsstartup Clue. Insgesamt ist Shippo jetzt mit 29 Millionen Dollar finanziert.

Laura Behrens und Simon Kreutz (vorn) mit ihren ersten Mitarbeitern 2014 (Bild: Shippo)

„Wir waren eben totale Außenseiter“

Der Weg dahin war allerdings nicht leicht. Die erste Bewerbung von Shippo für das Programm des Accelerators 500 Startups wurde abgelehnt. „Wir haben das Feedback angenommen und an unserem Produkt gearbeitet“, so Behrens. „Und einfach ständig unsere Updates hingemailt.“ Beim nächsten Batch im Februar 2014 war Shippo dann dabei.

Die Ausdauer hat der Gründerin auch später geholfen. Für die Seed-Runde habe sie deutlich über hundert Investoren angeschrieben. „Kalt. Die Mailadressen habe ich zum Teil geraten“, erzählt Behrens. Getrieben habe sie damals ihre Überzeugung von Shippo. „Aber es war hart. Da schreibt man die 100. Mail und hört nichts zurück.“

„Wir waren eben totale Außenseiter“, sagt Behrens weiter. „Ich bin als Praktikantin hergekommen und Simon mit einem Startup, das gescheitert ist. Und wir kannten niemanden, haben nicht hier studiert. Dabei funktioniert hier alles über das Netzwerk.“ Deswegen habe sie anfangs nie mit einer solchen Entwicklung gerechnet. „Es ist verrückt. Ich habe nie gedacht, dass wir so weit kommen.“

Doch auch der weitere Weg ist nicht einfach. Beharrlich kämpft sich Behrens deswegen auch heute noch vorwärts. Um mit dem schnellen Wachstum ihres Startups Schritt halten zu können, gehen sie und Mitgründer Simon Kreutz alle zwei Wochen zu einem Managementtrainer. „Es gibt viele Bereiche, an denen man arbeiten muss“, sagt die 26-Jährige. „Positiv kommunizieren, Mitarbeiter motivieren und die Richtung und Vision vorgeben.“ Aber vor allem eines müsse man wirklich wollen: „das Wachstum selbst“.

Als Gründerin gegen Vorurteile

Dafür sieht sie sich im Silicon Valley am richigen Ort. Investoren würden hier mehr auf das schauen, was geschieht, wenn ein Startupidee gelingt – „und nicht so sehr auf das, was passiert, wenn es schief geht“.

Allerdings steht die Gründerin dem Ort auch kritisch gegenüber: „Keiner bleibt für immer in San Francisco. Die Leute kommen hierher, weil sie eine Aufgabe haben, aber nicht, weil sie hier alt werden wollen.“ So sei die soziale Absicherung schlecht, das Bildungssystem weniger gut als in Deutschland. Behrens behält das Auge für den Rand der Gesellschaft: Die Obdachlosigkeit in der Bay Area ist hoch, zahlreiche Bewohner der Region haben nicht genug zu essen. „Ich kann nicht verstehen, wie die Armut hier als normal angesehen werden kann. Viele Menschen im Silicon Valley sind so reich.“ Daran gewöhnen wolle sie sich nicht. „Wir sind hier aus opportunistischen Gründen. Ich würde mich aber freuen, wenn wir irgendwann ein Büro in Berlin haben.“ Da kommt Behrens ursprünglich her.

Gesellschaftliche Themen bewegen die Gründerin sichtlich. Als Frau im Silicon Valley ist sie heute selbst noch oft Außenseiterin – gerade im B2B-Bereich. „Auf vielen Events bin ich nahezu die einzige“, erzählt sie. „Und häufig werde ich erst nett behandelt, wenn ich sage, dass ich 29 Millionen von Bessemer und USV geraised habe.“

So muss sie als Gründerin bisweilen seltsame Begegnungen ertragen. Ein Unternehmer fragte Behrens kürzlich bei einem Branchenevent, wo sie arbeite. Auf ihre Antwort „Bei Shippo“ entgegnete der Mann, er kenne ihren CEO. Mehr als ein „Äh. Ich bin die CEO“ fiel Behrens da erst einmal nicht ein.

Aktuell gibt es im Silicon Valley eine hitzige Debatte zu dem Thema Diskriminierung und sexueller Belästigung von Frauen. Star-Investoren wie Dave McClure, Shervin Pishevar oder Justin Caldbeck mussten bereits ihre Posten räumen. „Ich finde, es muss darüber gesprochen werden“, so Behrens. „Aber ich möchte nicht, dass dies andere Frauen davon abhält, Teil der Szene zu werden.“ Ein Beispiel dafür, dass man ein Unternehmen gegen so einige Widerstände vorwärts bringen kann, liefert Behrens gleich selbst.

Foto: Emily Shur/Inc.