Sigrid Nikutta auf der NGIN Mobility Konferenz (l.)

Blauer Hosenanzug, das Halstuch im Muster der U-Bahn-Sitzpolster, ein Herz-Anstecker im BVG-Gelb: Dem Äußeren nach zu urteilen, hat BVG-Chefin Sigrid Nikutta im wörtlichen Sinne ein Herz für das Unternehmen, das sie führt. Auch wenn zuletzt immer wieder Gerüchte über einen möglichen Weggang die Runde machten.

Seit sieben Jahren steht die promovierte Psychologin an der Spitze der Berliner Verkehrsbetriebe BVG. Gerade war sie zu Gast bei der ersten NGIN-Mobility-Konferenz The Future of Mobility. 20 Minuten hat sich die fünffache Mutter Zeit genommen, um mit mir auf der Bühne über die Zukunft des Öffentlichen Nahverkehrs zu sprechen. So viel sei vorweggenommen: In den nächsten fünf Jahren hat die 48-Jährige mit ihren 14.000 Mitarbeitern viel vor – in den nächsten Monaten will sie erst einmal einen Shuttleservice starten und in fünf Jahren sollen die meisten Dieselbusse Geschichte sein.

Zuerst will ich natürlich wissen, mit welchem Verkehrsmittel die Chefin zur Konferenz angereist ist. Bus, Bahn oder Auto? Mit dem Auto, sagt Nikutta, eine der wenigen Frauen der Branche. Genauer: In einem der insgesamt rund 100 Elektroautos, die zum Fuhrpark der BVG zählen. Soll heißen, das Unternehmen ist modern, emissionsarme Antriebe sind Realität. Überhaupt, elektrische Fahrzeuge seien bei der BVG seit deren Gründung Ende der 1920er im Einsatz. Schließlich fahren die gelben U- und Straßenbahnen allesamt mit Strom.

Auch bei seinen Bussen experimentiert das Berliner Verkehrsunternehmen derzeit mit elektrischen Antrieben. Auf der Linie 204 zwischen Zoo und Südkreuz sind vier Elektrobusse testweise im Einsatz – vorausgesetzt, sie sind nicht gerade in der Werkstatt. Vor einigen Tagen fielen alle vier Fahrzeuge auf einmal aus. Nach den Gründen gefragt, sagt Nikutta: An der BVG liege das nicht. Sondern an der schlampigen Bauweise der Hersteller. Die Busse stammen von Solaris. Mit dem polnischen Hersteller gebe es derzeit großen Krach, das könnten die Konferenzteilnehmer ihr glauben, sagt sie.

Bei den E-Bussen läuft es noch nicht rund

Auch BVG-Digitalchef Henrik Haenecke, den ich einen Tag vor der Konferenz zum Interview in der Geschäftsstelle nahe der Jannowitzbrücke getroffen hatte, sieht noch Nachholbedarf bei den neuen E-Modellen. „Wir stehen hier noch am Anfang“, glaubt er. „Die derzeit vier im Einsatz befindlichen Busse zum Beispiel haben eine Reichweite von 30 Kilometern und sind wesentlich wartungsintensiver als vergleichbare Dieselfahrzeuge.“ Der Test habe aber gezeigt, dass E-Busse im Prinzip linientauglich sind. Die BVG ist davon überzeugt, dass es in nicht so ferner Zukunft noch mehr E-Buslinien in Berlin geben wird. 

Neben emissionsarmen Antrieben sind autonome Fahrzeuge ein wichtiges Thema, wenn es um die Mobilität von Morgen geht. Die Deutsche Bahn testet seit mehreren Jahren den selbstfahrenden Shuttle „Olli“ auf einem Forschungscampus in Berlin, seit wenigen Wochen ist ein solches Fahrzeug im Linienverkehr in Betrieb. Jetzt will die BVG nachziehen. 2018 sollen die ersten autonomen Shuttlebusse über das Gelände der Berliner Charité rollen. „Wenn das klappt, wollen wir damit auch in den öffentlichen Straßenverkehr gehen“, sagt Haenecke, der zuvor für Digitales bei der mittlerweile insolventen Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann zuständig war. Dann könnten auch solche Strecken wirtschaftlich betrieben werden, auf denen derzeit nicht viele Fahrgäste unterwegs seien. Ob die autonomen Busse nach Abschluss des Forschungsprojektes im Rahmen des regulären Linienverkehrs zum Einsatz kommen sollen oder als On-Demand-Service bereitgestellt werden, will er noch nicht abschließend festlegen.

Bild: Chris Marxen | Headshots-Berlin.de

Ridesharing: Kampfansage an Hamburger Hochbahn und Moia

Doch eins steht fest: Einen Ridepooling-Service, also ein Shuttle auf Abruf, bei dem sich mehrere Fahrgäste ein Fahrzeug teilen, wird in Berlin kommen. Und zwar schon sehr bald. Das zumindest verspricht die BVG-Chefin an diesem Donnerstag auf der NGIN Mobility Konferenz. Vorgeprescht war hier die Hamburger Hochbahn, die einen solchen Service in Kooperation mit der VW-Mobilitätsmarke Moia ab dem kommenden Jahr anbieten will. Der Dienst soll in die ÖPNV-App integriert werden. Jetzt will die BVG noch schneller sein. Man werde sich „einen sportlichen Wettbewerb mit den Kollegen in Hamburg liefern“, sagt Nikutta kämpferisch. Eine Ansage, für den sie vom Publikum spontanen Applaus erntet. Die Berlinerinnen und Berliner dürfen also gespannt sein.

Vom Hype um das autonome Fahren hält die BVG-Chefin allerdings nicht viel. In einer Stadt seien U-Bahn und Bus noch immer die effizientesten Verkehrsmittel, sagt sie. „Täglich fahren rund drei Millionen Menschen mit unseren Bussen und Bahnen“, wenn die alle auf autonome Autos umsteigen würden – wo solle das denn hinführen? „Fahren wir dann alle in kleinen Kapseln durch die Gegend, die die Straßen verstopfen?“, will sie vom Publikum wissen. Unsinn sei das. Sie plädiere deshalb für die altbewährte „Bündelung“ des Verkehrs in Bus und Bahn, auch wenn das Wort im Vergleich zum Trendwort „Sharing“ altmodisch klinge.

Gegen Ende der Diskussion will dann noch ein Konferenzbesucher wissen, ob auch neue Services rund um das Thema Datennutzung geplant seien, schließlich würden die als das „Öl der Digitalisierung“ gehandelt. Bei dieser Antwort gerät die sonst so schlagfertig und resolut auftretende BVG-Chefin etwas ins Straucheln – allerdings ist das Thema Big Data als Vorstandschefin Betrieb auch nicht originär ihr Thema. Mehr hat mir dazu einen Tag zuvor ihr Vortandskollege und Digitalchef Haenecke verraten: Die BVG wolle zu DER Mobilitätsapp für Berliner werden. Bereits heute würden zwischen 300.000 und 400.000 Menschen täglich die BVG online oder per App befragen, wie sie am schnellsten von A nach B kommen. Damit sei das Unternehmen im Wettbewerb mit den Navigationsdiensten von Google und Apple gut aufgestellt – denn die nutzen laut Haenecke keine Echtzeit-, sondern nur Prognosedaten. Ihm schwebe vor, künftig die Echtzeitdaten aus den Leitstellen auch die eigene App zu spielen, „dann hätten wir einen Marktvorteil. Unsere App soll besser sein, als die anderen auf dem Markt verfügbaren Angebote.“ Wie viel Geld künftig in die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle fließen soll, will der Digitalboss allerdings nicht sagen.

Am Ende werden die Berliner entscheiden, ob sich tatsächlich eine einzige App als DIE Mobilitätsplattform durchsetzen wird, und wenn ja, welche das sein wird. BVG-Chefin Nikutta weiß: „Niemand fährt mit der BVG, weil es so cool ist, sondern weil er oder sie wohin will.“ Beim Publikum kommt sie damit auf jeden Fall an: „Mit so seiner Vorstandsvorsitzenden ist selbst die BVG plötzlich cool, twitterte beispielsweise @JKnfk. Und am Abend, in gemütlicher Runde, wurde gar gemunkelt, ob nicht vielleicht sogar die Chefin höchstpersönlich hinter der erfolgreichen BVG-Kampagne stecke … 

Bild: Chris Marxen | Headshots-Berlin.de