Palo Alto, das  Tech- und VC-Mekka des Silicon Valleys

„Wir haben hier die Kultur, Entrepreneuren auszuhelfen“

An einem sonnigen Montagmorgen fährt James P. Simmons mit einer silbernen Korvette an der Kanzlei seines Rechtsanwalts in Palo Alto vor. Sie liegt an einer dieser schnurgraden, von flachen Bürokomplexen gesäumten Straßen, die so typisch sind für das Silicon Valley. Simmons, 65, ist Partner bei der Wagniskapitalfirma Simmons Goodspeed Ventures mit Sitz in Belmont. Kurz darauf trifft Anthony Chong ein, CEO des Startups Statsketch. Die beiden haben eine Verabredung für einen Pitch. Simmons will vor allem noch mehr technische Details erfahren. Denn Statsketch ist ein Big-Data-Unternehmen, und Simmons stammt aus der Hardware-Branche. Der Investor hat noch Erklärungsbedarf.

Simmons, graues Haar, schwarzes Jackett, war 28 Jahre lang im operativen Geschäft verschiedener Startups, dann wurde er Entrepreneur in Residence bei Draper Ventures, der Venture-Capital-Firma der Silicon-Valley-Investorenlegende Bill Draper. „Bill Draper ist wie ein Mentor für mich“, sagt Simmons. Jetzt kümmert er sich um Anthony Chong. Der Gründer braucht zur Finanzierung seines Startups einen Betrag im einstelligen Millionenbereich, es ist gerade in der Beta-Phase. Eine kleine Venture-Capital-Firma hat er schon überzeugt, jetzt sucht er nach weiteren Investoren, die sich an der Runde beteiligen wollen. Es ist sein zweites Treffen mit Simmons, beim ersten Mal verabredeten sie sich in jener Starbucks-Filiale in Menlo Park, die dafür bekannt ist, dass dort millionenschwere Investoren und erfolgreiche Entrepreneure ein- und ausgehen.

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In einem großen Konferenzraum startet Chong seinen Pitch. Er ist leger gekleidet: Jeans, grauer Pulli, abgewetzte Stoffschuhe, geringelte Socken. „Viele Daten-getriebene Unternehmen können nur etwa zehn Prozent aller Daten nutzen, die sie von ihren Kunden erfasst haben“, sagt er. „Was ist so schwer daran?“, kontert Simmons. „Die Frage ist, worauf genau sich die Firmen innerhalb der Daten fokussieren sollten“, antwortet Chong, der zuvor für eine Ad-Technologiefirma in New York gearbeitet hat. Im Prinzip geht es darum zu erkennen, welche Anzeigen erfolgreich sind.

Anthony Chong (rechts) führt Investor James Simmons die Statsketch- Software vor. Foto: Jutta Maier

Er präsentiert dem Investor eine mit Klickraten vollgepackte Excel-Tabelle. Seine Software verwandelt den Zahlenwust per Mausklick in anschauliche Grafiken. Er spricht von komplexen Trends, Intervallen und Korrelationen, es fallen Stichworte wie Künstliche Intelligenz und Transfer Learning. Außerdem malt er eine Tabelle an ein Wandbord, um seine Zielgruppe (Datenanalysten) einzukreisen und die Unterschiede zu Wettbewerbern wie Oracle, Salesforce oder Tableau zu erklären. Simmons hakt ständig ein und tippt Notizen in sein Tablet. Einmal verhaspelt sich Chong kurz, fängt sich aber schnell wieder und lässt sich danach nicht mehr aus der Ruhe bringen. Simmons sei nicht immer ganz einfach, gesteht er später lächelnd.

Unzählige ähnlicher Pitches finden jede Woche im Silicon Valley statt. Die Startups brauchen Geld, und die VCs suchen nach dem nächsten großen Ding. Manchmal passiert das auf Umwegen – so, wie im Fall von Simmons und Chong. Denn Simmons‘ Fonds investiert momentan gar nicht in neue Startups, sondern nur in Unternehmen, die schon im Portfolio sind. Diese Firmen müssen erst einmal reifen, wie Simmons sagt. „In drei bis vier Jahren könnten sie so weit sein für einen Börsengang.“

Bis dahin trifft er sich trotzdem mit vielversprechenden Gründern, um Kontakte zu knüpfen. Das ist im Valley nicht unüblich. Vielleicht wird Simmons in einigen Jahren in Statsketch investieren, wenn der nächste Fonds aufgelegt wird. „Man sagt, wenn ein Startup in der Fundraising-Phase noch nicht mit mindestens mit 40 potenziellen Investoren gesprochen hat, ist es nicht genug. Wir haben hier die Kultur, Entrepreneuren auszuhelfen. Die meisten von uns glauben, das sich das in der Zukunft auszahlt“, sagt Simmons.

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Bild: Gründerszene/ Alex Hofmann

„Tief drinnen bin ich auch ein bisschen Nerd“

Im Silicon Valley läuft nichts ohne „Warm introductions“, bei denen ein gemeinsamer Bekannter den Kontakt zwischen Gründern und Investor herstellt. Simmons und Chong sind beide Absolventen des California Institute of Technologie (Caltech), und Simmons wählte Chong kürzlich in den Vorstand der Alumni-Organisation. „Anthony ist nicht nur schlau, er hat auch eine hohe emotionale Intelligenz“, schwärmt Simmons. Das sei bei Caltech-Absolventen nicht selbstverständlich. „Manche der intelligentesten Studenten sind oft etwas nerdig, so wie in der Serie The Big Bang Theory. Ich war keiner der schlauesten Studenten, aber tief drinnen bin ich auch ein bisschen Nerd“, sagt er und grinst.

Unterdessen geht der Pitch in die heiße Phase. „Firmen wie Ebay, Facebook, und LinkedIn sammeln so viele Informationen über ihre Nutzer, über jeden Log-in, jede Aktion, aber sie wissen nicht, auf welche Nutzer sie sich fokussieren sollen“, sagt Chong. Simmons zieht die Augenbrauen hoch. Ein Gesundheitsanbieter plane bereits, mithilfe von Statsketch eine Studie mit einer Million Teilnehmern zur Prävention einer der tödlichsten Krankheiten durchzuführen. Die Software dient dabei zur Ursachenforschung – mit ihr lässt sich die Lebensweise der Probanden untersuchen.

„Lassen sich damit Leben retten?“, fragt Simmons. „Absolut“, antwortet Chong. Er taxiert den Markt für Statsketch auf 5 bis 10 Milliarden Dollar. Davon ausgehend, dass pro Unternehmen rund 300 Datenanalysten mit der Software arbeiten würden, könnten 10 Kunden einen jährlichen Ertrag von 100 Millionen Dollar bringen, rechnet Simmons durch. Er ist sichtlich zufrieden.

Er und sein Partner investieren nur in Firmen, bei denen sie das Potential für einen zehnfachen Return sehen. In der Regel sind das Seed-Fundings oder Series A-Runden. Je jünger die Firma, desto höher die Renditechancen. „Wenn ein Unternehmen bereits einen Marktwert von zehn Milliarden Dollar hat, investieren wir nicht, weil wir sonst einen 100-Milliarden-Dollar-Exit bräuchten, um auf unseren Return zu kommen“, sagt Simmons. Schließlich soll sich das Risiko am Ende lohnen: „Wir gehen davon aus, dass acht von zehn Unternehmen scheitern. Die großen Exits wiegen diese Verluste wieder auf.“

Rund 800 VC-Firmen gibt es in den USA, auf der Jagd nach dem großen Deal investierten sie im vergangenen Jahr 48 Milliarden Dollar. Ein 10-facher Return ist laut Bob Ackerman, Gründer von Allegis Capital in Palo Alto, eine typische Richtgröße für Early-Stage-Investoren. Union Square Ventures aus New York bringt seine Investments auf folgende Formel: 33 Prozent der Investments verlieren das eingesetzte Kapital, 33 Prozent spielen die Investition wieder ein, 33 Prozent bringen einen 6,5-fachen Return ein. Der VC-Riese Andreessen Horowitz investiert laut dem Magazin New Yorker jedes Jahr in 15 Startups, von Seed- bis zu Wachstumsrunden. Mindestens zehn der Startups scheiterten, drei bis vier entwickelten sich gut, und eines davon habe eventuell das Potenzial zum „Einhorn“, wie die Branche Startups mit einem Wert von über einer Milliarde Dollar nennt.

Vier bis neun Jahre könne es dauern, bis ein Startup reif ist für den Exit, sagt Simmons. Der Median für Exits, bei denen die Unternehmen verkauft werden, liegt Daten von Dow Jones VentureSource zufolge bei sieben Jahren. „Es ist so ähnlich wie bei einem Baby: Man kann nicht mehr Geld reinstecken, um es schneller wachsen zu lassen“, sagt Simmons. Seine große Hoffnung liegt derzeit auf Sylvan Source, ein auf Abwasser-Aufbereitung spezialisiertes Unternehmen, in das er mehrere Millionen investiert hat. Die Marktchancen liegen bei 20 Milliarden Dollar, das wäre potenziell erheblich mehr als ein zehnfacher Return.

Der Investor hasst es, wenn Startups scheitern: „Man gewöhnt sich nie daran.“ Seiner Erfahrung nach sind Probleme mit Marketing und Sales der häufigste Grund. „Mal verändert sich der Markt, mal ist er noch nicht bereit, mal kriegt man einen großen Kunden nicht.“ Manchmal sprechen aber auch CEO und CTO plötzlich nicht mehr miteinander. „So etwas kann nicht mal Bill Draper vorhersagen.“

Nach rund einer Stunde ist der Pitch zu Ende. Simmons ist angetan: „Anthony hatte auf alle Fragen eine Antwort, und als potenzielle Kunden kommen sehr große Firmen in Frage.“ Er wird Statsketch nun mit einer kleinen Präsentation befreundeten Investoren empfehlen. Nur aus Freundschaft heraus würde Simmons das nicht tun: „Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren.“ Wollte er selbst investieren, würde er sich als nächstes mit seinem Partner beraten. Bei einem größeren VC müsste er bei den im Valley üblichen, montäglichen Treffen eine ganze Runde überzeugen.

Als Nächstes würde Simmons dann Anrufe bei den potenziellen Kunden machen, die Chong erwähnt hat, um sicher zu gehen, dass der Gründer richtig liegt. „Ich würde sie fragen, wie schwer es wäre, die Software selbst zu bauen“, sagt Simmons. Er glaubt aber nicht, dass es außer ein paar Startups größere Wettbewerber für Statsketch gibt. „Ich würde das Risiko eingehen“, sagt er auf dem Weg zum Parkplatz und steigt in seine Corvette. „Bill Draper würde sagen: Die Chancen stehen 50:50, lass es uns versuchen.“

Bild: Gründerszene/ Alex Hofmann