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Evan_spiegel-compressor Snapchat-Gründer Evan Spiegel

Ex und hopp, nach Gebrauch einfach wegwerfen – das ist ja irgendwie nicht mehr so angesagt. Stichwort Wegwerfgesellschaft. Nachhaltig soll es, gerade bei jungen Menschen, sein. Nur: Bei den vielen Daten, die sie im Internet so produzieren, gilt eine andere Regel. Da dürfen es gern Einwegprodukte sein. Ein Filmchen drehen, teilen, Spaß haben – und nach ein paar Stunden ist das Ding weg. Verschwunden, geistert nie wieder durchs Netz.

Das ist das Geschäftsmodell von Snapchat. Und damit kommt das Unternehmen aus Los Angeles so jung daher, dass Facebook und Twitter daneben reichlich alt aussehen. Und vielleicht irgendwann von den Snapchattern abgehängt werden?

Denn nun will Snapchat-Gründer Evan Spiegel das ganz große Rad drehen, er will an die Börse. Und da gibt es, kurz gesagt, zwei Möglichkeiten, wie die Sache ausgehen kann. Vielleicht wird Spiegel ein Star wie Mark Zuckerberg, macht Milliardengewinne, steigt mit seinem Unternehmen in die höchste Liga der Technologiefirmen auf und erschafft das nächste globale Mega-Netzwerk.

Zum Start sieht es zumindest gut aus: Der Börsengang 3,4 Milliarden Dollar bringt überraschend viel Geld ein. Die Aktien von Snap werden zu einem Stückpreis von 17 Dollar ausgegeben, wie das Unternehmen am Mittwoch mitteilte. Eigentlich waren lediglich 14 bis 16 Dollar angepeilt. Nun wird Snap mit 24 Milliarden Dollar bewertet – der höchste Betrag in der Technologiebranche, seit Facebook 2012 den Einstand feierte. Die Einnahmen aus dem Börsengang sollen unter anderem für Geschäftskäufe verwendet werden.

Cool, aber zweite Liga?

Womöglich wird Spiegel aber auch straucheln wie Biz Stone und Jack Dorsey, die Gründer von Twitter. Eine Welt ohne den Dienst Twitter ist kaum mehr vorstellbar. Millionen Menschen schreiben und lesen die Kurznachrichten, Amerikas Präsident Donald Trump regiert mit ihnen – nur Geld verdienen lässt sich damit irgendwie nicht. Twitter ist aufregend, Twitter ist nützlich. Aber finanziell ist die Idee gescheitert.

Wo geht es also hin für Spiegel, wenn er mit seinem Unternehmen Snap den Börsengang wagt: in Richtung Facebook oder in Richtung Twitter?

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Vieles deutet darauf hin, dass der jungen Firma, bekannt für die Smartphone-Anwendung Snapchat, es ein Debakel wird. Dass sie keine Gewinne macht, sondern unter ewiger Geldnot leidet wie Twitter. Dass die Nutzerzahlen nicht mehr steigen, sondern stagnieren. Dass Snapchat am Ende bleibt, was es ist: cool, aber zweite Liga.

Twitter ist bis heute defizitär

Facebook hatte vor wenigen Wochen alle Erwartungen übertroffen, als es die Zahlen für das vergangene Quartal vorlegte. Umsatz: um 51 Prozent gestiegen. Gewinn: mehr als verdoppelt. Zahl der Nutzer: um 70 Millionen gewachsen. Damit sind rund um die Erde 1,86 Milliarden Menschen auf Facebook aktiv.

Auf Twitter sind täglich rund 300 Millionen Menschen unterwegs. Der Einfluss des Netzwerks dürfte aber größer sein, als diese Zahl vermuten lässt – schließlich schicken Politiker und Unternehmenschefs, Experten und Stars auf 140 Zeichen täglich ihre Botschaften in die Welt.

Dennoch: In den vergangenen Jahren häufte Twitter einen Verlust von mehr als einer Milliarde Dollar an, vor allem, weil die Nutzer die Werbung kaum beachten, die der Dienst ausspielt. Twitter war schon bei seinem Börsengang vor gut drei Jahren defizitär – und ist es bis heute.

Das Werbegeschäft läuft besser als bei Twitter

Ähnlich steht Evan Spiegels Unternehmen da. Seine App – eine Anwendung, über die Jugendliche Fotos und Videos verschicken, die sich nach 24 Stunden löschen – gewinnt kaum neue Nutzer hinzu. Die Snap Inc. macht mehr Verlust als Umsatz. Immerhin wächst das Unternehmen rasant, ähnlich wie Facebook in seinen frühen Jahren. Der Umsatz, den Snapchat pro Nutzer generiert, hat sich im vierten Quartal 2016 verdreifacht.

Im vergangenen Jahr machte das Start-up insgesamt mehr als 350 Millionen Dollar Umsatz, 2017 soll es eine Milliarde werden. Erwirtschaftet wird das Geld mit Werbung – offenbar das klappt immerhin besser als bei Twitter.

Snapchat umgibt ein Riesenhype – aber lässt sich daraus eine ökonomische Erfolgstory schaffen? Andere Internetaufsteiger sind geradezu unentbehrlich geworden. Facebook als universales Netzwerk, auf dem die Menschen in Kontakt bleiben. Airbnb für Reisende, die nicht in Hotels übernachten wollen. Der Fahrdienst Uber für alle, die sich nicht ins Taxi setzen mögen. Auf Snapchat verschicken Schüler Selfies mit Katzenohren – wie wirtschaftlich nachhaltig kann diese Idee sein?

Als Evan Spiegel und Robert Murphy vor fünf Jahren mit ihrer App an den Start gingen, waren Facebook und Twitter längst von Start-ups zu Riesen mutiert. Und das Konzept der App mit dem Geist im Logo wirkte zunächst wenig überzeugend. Was zum Teufel sollte an selbstlöschenden Nachrichten so toll sein?

Doch Jugendliche fanden es toll. Inzwischen nutzen 158 Millionen Menschen täglich Snapchat. Gut, das ist ein Witz im Vergleich zu den Nutzerzahlen von Facebook, und auch nur etwa die Hälfte der Twitter-Nutzer. Aber die Snapchat-Gründer haben ja auch noch eine Menge vor: „Ich bin kein großer Manager. Aber ich versuche, ein großer Anführer zu sein. Ein großer Evan“, sagt Evan Spiegel. Groß will er mit den Milliarden aus dem Börsengang werden.

Junge Nutzer sind für Unternehmen hoch attraktiv

Der ist allerdings ein ziemliches Risiko. Denn potenzielle Investoren und Werbekunden rätseln vielfach noch, ob mit verfremdeten Bildern und Videos, die in aller Regel nach 24 Stunden verschwinden, ein gutes Geschäft zu machen ist.

Aber der flüchtige Geist hat einen gewaltigen Trumpf, der ihn bei Partnern ziemlich attraktiv machen könnte. Wer auf Snapchat werben will, kann seine Botschaften direkt in die Snaps der User einbauen. Besser kann man an seine Zielgruppe also gar nicht rankommen. Und diese Gruppe, die sich bei Snapchat tummelt, ist für Unternehmen, die Werbung schalten wollen, hochattraktiv. Denn sie ist jung – megajung. In den USA nutzen 60 Prozent der 18- bis 34-Jährigen den Dienst.

Wer bezweifelt, dass Snapchat auch an der Börse ein Erfolgsmodell sein kann, sollte einfach mal bei Facebook nachfragen, was man von den Kollegen in Los Angeles so hält. Nämlich jede Menge. Facebook-Chef Mark Zuckerberg hatte früh erkannt, welches Potenzial in der Geister-App theoretisch stecken könnte. Und das getan, was er in solchen Situationen immer tut. Er wollte Snapchat schlucken. Wie Instagram oder Whatsapp. Drei Milliarden Euro bot Zuckerberg, Spiegel lehnte ab. Er will ja ein „großer Evan“ werden, einer, der größer und schwerer als drei Milliarden Dollar ist.

Ein „unsoziales soziales Netzwerk“?

Aber seit 2013 hat sich einiges geändert. Und das nicht unbedingt zum Guten für Spiegel. Zum einen laufen On-demand-Geschäftsmodelle nicht mehr so gut wie vor einigen Jahren. Ein Teil der Player steckt tief in den roten Zahlen. Und das Dauertief bei Twitter hat die Euphorie der Anleger deutlich getrübt. Man sieht in den IT-Start-ups nicht automatisch mehr die große Story.

Und dann ist da noch die Gegenattacke von Facebook. Zuckerberg hat den Fotodienst Instagram gegen Snapchat in Stellung gebracht und lässt den nun mit dem gleichen Konzept vergänglicher Bildchen auf der Erfolgswelle von Snapchat mitreiten. Und Zuckerberg kann ziemlich beharrlich sein, wenn er Konkurrenten aus dem Weg räumen will.

Nun ist also Evan Spiegel am Zug. Vielleicht müsste er ein bisschen mehr erklären, was er mit Snapchat in den nächsten Jahren vorhat. Was seine Vision, seine Story für die App ist. Aber Spiegel kann ein großer Schweiger sein. Das einzige Mal, wo man bei der Arbeit einen Blick auf ihn erhaschen kann, ist, wenn er mit seinem SUV ins Unternehmen chauffiert wird, berichtet ein ehemaliger Mitarbeiter gegenüber dem Wall Street Journal.

Informationen über das Unternehmen und die Strategie gebe es allenfalls für kleine Gruppen ausgewählter Mitarbeiter. So etwas erzeugt bei Anlegern keine Träume, sondern Misstrauen. Snapchat sei ein „unsoziales soziales Netzwerk“, spöttelt das Wall Street Journal.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt Online.

Bild: Getty / Michael Kovac, Grafiken: Die Welt