Der Internetkonzern Google stellte am 29. September die neueste Version seines mobilen Betriebssystems Android vor. Android 6.0, Codename „Marshmallow“, ist Googles wichtigste Produkt-Neuvorstellung in diesem Jahr. Mit ihm will der Konzern seine Dominanz im weltweiten Mobilsoftware-Markt ausbauen und die Konkurrenz unter den App-Anbietern zurückdrängen.

Android 6.0 muss ein Erfolg werden, damit Google seinen Marktanteil bei den Mobilgeräten halten kann: Im zweiten Quartal 2015 wurden laut der Analyseagentur IDC 82,8 Prozent aller neuen Smartphones mit einem Android-Betriebssystem ausgeliefert, ein Jahr zuvor waren es 85 Prozent.

Android 6.0 ist ab Erscheinen das wichtigste Stück Software der Welt, seine Vorgänger haben aktuell über eine Milliarde aktive Nutzer – mehr als jedes andere Betriebssystem der Welt. Das liegt daran, dass die Hersteller von Smartphones auf Android-Basis Google nicht für die Software bezahlen müssen.

Google gibt den Programmcode umsonst ab, verlangt kein Geld für das Betriebssystem. Nur einen Haken gibt es: Wer sein Android-Gerät mit Zugang zu Googles Ökosystem samt Appstore versehen will, muss seine Geräte auch mit Googles Standard-Apps – darunter die Internetsuche, Googles mobilen Assistenten Now sowie Google Maps – ausliefern.

Die Apps sind tief in Android integriert: Ein Wisch über den Bildschirm öffnet auf jedem Android-Gerät nach Google-Spezifikationen die Mobilsuche, der Sprachbefehl „OK, Google“ ruft den digitalen Assistenten auf. Suchen nach Adressen etwa aus den Kontakten bringen automatisch Googles Navigationsapp Maps auf den Bildschirm, auch lokale Suchen verlinken automatisch auf die Karten-App. Kurz, Android ist vor allem darauf optimiert, dass möglichst viele Nutzer-Interaktionen mit dem Gerät zurück zu Googles Diensten führen – konkurrierende App-Anbieter etwa von Navigations-Apps können gegen diese Verquickung von Betriebssystem und Anwendungen relativ wenig ausrichten.

„Marshmallow“ für Konzern entscheidend

Googles Apps und ihre tiefe Integration in das weltweit dominierende Mobil-Betriebssystem sind für den Konzern entscheidend, um die Marktführerschaft bei der Websuche und bei der Indexierung aller Online-Aktivitäten zu wahren: Mittlerweile kommen knapp die Hälfte aller Internet-Seitenaufrufe weltweit von Mobilgeräten, und im Mai 2015 gab Google erstmals bekannt, dass mehr Suchanfragen von Mobilgeräten als von Desktop-PCs kommen.

Dank der Android-Dominanz im Mobilmarkt ist Googles weltweiter Marktanteil bei den mobilen Websuchen noch höher als bei der Suche vom Desktop. Über 90 Prozent aller Mobilsuchen weltweit werden von Googles Servern beantwortet. Insbesondere lokale Suchen, etwa nach Ladenöffnungszeiten oder dem besten Restaurant um die Ecke, werden von Mobilgeräten aus gestartet. Sie gelten als lukrativ, da gezielte Online-Werbung für lokale Geschäfte besonders gut funktioniert.

Android 6.0 soll die Verquickung von Mobilbetriebssystem, Googles Websuche, Googles Browser Chrome und Googles digitalem Assistenten weiter vertiefen: Künftig sollen App-Anbieter Web-Inhalte aus der App heraus direkt im integrierten Chrome-Browserfenster aufrufen können. Auch soll die Suche in Apps verbessert werden – im Idealfall kann also Googles digitaler Assistent Inhalte direkt aus der App ziehen und darstellen, ohne dass der Nutzer die App öffnen muss.

Die tiefe Integration von Mobilbetriebssystem, Websuche und Karteninhalten via Google Maps ist für Google der entscheidende Schritt, um auch im App-Zeitalter seine Dominanz im Markt für Websuchen zu wahren. Dank der Informationen über das Nutzungsverhalten, die App-Käufe, den Positionsverlauf und die Mobilsuchen jedes einzelnen Android-Nutzers weiß Google zudem mehr denn je über seine Nutzer und kann dieses Wissen für seine Werbekunden in immer genauer gezielte Web-Werbung umsetzen.

Wettbewerbshüter haben Google im Visier

Doch genau diese tiefe Integration bringt Google aktuell Probleme mit den Wettbewerbshütern in den USA und Europa. Im Frühjahr kündigte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager an, dass sie eine Voruntersuchung zu Googles Dominanz im Mobilmarkt angestoßen habe. Insbesondere Googles Verknüpfung von Suchfunktionen und Apps mit Android steht im Verdacht, Wettbewerber zu benachteiligen – wenn bereits eine Navigationsapp und eine Suchfunktion auf jedem Android-Smartphone vorinstalliert sind, haben die Nutzer keinen großen Anreiz mehr, nach Alternativen der Konkurrenz zu suchen.

Auch die US-Wettbewerbshüter der Federal Trade Commission FTC haben laut einer Meldung der Agentur Bloomberg eine neue Untersuchung begonnen, um die Verquickung von Android mit den Google-Apps zu prüfen. Googles Gegner verweisen bereits auf Parallelen zur Untersuchung gegen Microsoft zur Jahrtausendwende: Auch Microsoft war ins Visier der Wettbewerbshüter geraten, da der Konzern seinen Internet Explorer mit dem damals dominanten Betriebssystem Microsoft Windows kombiniert hatte. Nach Jahren zäher Verhandlungen wurde Microsoft schließlich gezwungen, in Europa die Nutzer vor die Wahl zu stellen, welchen Browser sie installieren wollen. Ähnliche Auflagen könnten auch Google drohen.

Doch je länger der Konzern seine Dominanz im Mobilmarkt ausbauen kann, desto irrelevanter wird eine Entscheidung der Wettbewerbshüter für Googles Konkurrenten. Bereits jetzt sind fünf der zehn meistgenutzten Apps auf Android-Geräten Googles hauseigene Apps Search, YouTube, Maps, Mail und Googles Medien-Store Play – nur Facebooks App vermag der Google-Suche auf Android-Geräten noch den Rang abzulaufen. Die kommende Version 6.0 samt perfektionierter Suchfunktion könnte Google helfen, auch Facebook anzugreifen – schon jetzt wächst der Nutzungsanteil der Android-Suche laut einer aktuellen Statistik vom Analysedienst Comscore schneller als der der Facebook-Apps.

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Dieser Artikel erschien zuerst in der Welt.