Sie heißen 9Gag, Ladbible oder Unilab und haben eine Sache gemeinsam: Mit seichtem, oft lustigen Content erzielen solche Viral-Publisher vor allem mit Videos gigantische Reichweiten. Seit Kurzem macht ein bisher noch verhältnismäßig unbekannter Player mit extremen Wachstum auf sich aufmerksam – in nicht einmal einem halben Jahr knackte der Youtube-Kanal “5-Minute Crafts” knapp eine Milliarde Views. OMR hat sich das russische Unternehmen hinter dem Hidden Champion genauer angeschaut.

Die Inhalte der Videos auf dem Youtube-Kanal „5-Minute Crafts“ sind eigentlich nicht sehr außergewöhnlich: Es geht vor allem um Life-Hacks, kleine Basteltipps für meistens unnütze Spielereien oder alltägliche Gegenstände, die man auch ganz anders verwenden kann, als ursprünglich vorgesehen (so wird zum Beispiel Zahnseide zum Kuchenmesser und zwei Gabeln ergeben einen Laptop-Ständer). Content dieser Art gibt es schon länger zuhauf; in Deutschland ist unter anderem die „Slivki Show“ damit extrem erfolgreich.

Trotzdem sind an „5-Minute Crafts“ ein paar Dinge anders und in gewisser Weise auch besonders. Der Kanal wurde erst am 15. November 2016 erstellt und kam laut dem Analyse-Dienst Socialblade im darauffolgenden Januar erst auf rund 200.000 Views und knapp 6.000 neue Abonnenten. Seitdem hat sich dann aber plötzlich einiges getan: Heute hat der Channel fast 3,8 Millionen Abonnenten und die Videos wurden knapp eine Milliarde Mal angeschaut (Stand: 22. Juni 2017). Was ist also in nicht einmal einem halben Jahr passiert? Wie hat es der Betreiber des Kanals in kürzester Zeit geschafft, solche Abrufzahlen zu erzeugen? Und wer steckt überhaupt hinter dem Channel?

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Die Entwicklung vom Youtube-Channel „5-Minute Crafts“ laut socialblade.com.

Zahlreiche Facebook-Viral-Seiten mit Millionen von Fans als Basis

Wer sich die Videos des Youtube-Kanals „5-Minute Crafts“ genauer anschaut, wird ein interessantes Detail entdecken: Alle Clips werden in einem quadratischen Format hochgeladen – unüblich für Googles Video-Plattform, aber trotzdem einfach zu erklären. Die Macher des Channels nutzen Youtube allem Anschein nach ausschließlich zur Zweitverwertung; alle Inhalte werden zuerst auf der gleichnamigen Facebook-Seite veröffentlicht. Und die wartet mit nicht minder beeindruckenden Zahlen auf: 31,7 Millionen Fans (Stand: 22. Juni 2017) haben laut dem Statistik-Dienstleister Tubular Labs dafür gesorgt, dass „5-Minute Crafts“ mit rund 1,5 Milliarden Video-Views im Mai 2017 auf Platz 5 der reichweitenstärksten Video-Creator gelandet ist. Da in dieser plattformübergreifenden Auswertung die Aufrufe des Youtube-Kanals anders als bei Teilen der Konkurrenz offenbar nicht berücksichtigt wurden (siehe Screenshot), könnte es für „5-Minute Crafts“ sogar auch für den vierten Platz gereicht haben.

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Die plattformübergreifend erfolgreichsten Video-Creator im Mai 2017 laut tubuluarlabs.com.

Ein zweieinhalb Minuten kurzes Video über „Smart plastic bottle hacks“, das die Seitenbetreiber vor weniger als einer Woche auf Facebook hochgeladen haben, wurde bis heute fast 40 Millionen Mal angeschaut, über 440.000 Mal geteilt, 4.800 Mal kommentiert und konnte über 400.000 Likes einsammeln (siehe eingebettetes Video unten). Per Kommentar fordern die Admins zum Abonnieren des Youtube-Kanals auf; der mit dem URL-Shortener von Google gekürzte Link wurde bis jetzt rund 1,35 Millionen Mal angeklickt. Die Auswertung zeigt auch, dass die Cross-Promotion des jungen Youtube-Kanals schon kurz nach dem Erstellen begonnen hat. Auch bei anderen, teilweise noch erfolgreicheren Videos auf Facebook wurde in den letzten Monaten immer wieder der Hinweis auf den neuen Youtube-Channel eingebunden. Dabei ist selbst die Facebook-Seite von „5-Minute Crafts“ noch nicht sehr alt; das erste Video wurde im April 2016 hochgeladen. Laut Socialbakers gewinnt die Page pro Monat über vier Millionen neue Fans. Einen Instagram-Account betreibt der Publisher ebenfalls – dieser kommt aktuell auf 5,7 Millionen Abonnenten und weist in der Beschreibung auch auf den Youtube-Channel hin.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei OMR.com.

Bild: Getty Images / FilmMagic


Weitere Viral-Seiten und das Unternehmen hinter „5-Minute Crafts“

Die Hinweise zum Youtube-Kanal sind nicht die einzigen Links, mit denen “5-Minute Crafts” andere Seiten und Accounts auf weiteren Plattformen promotet. So weisen die Macher entweder per mit Hilfe vom URL-Shortener Bitly gekürzten Links in den Videobeschreibungen oder direkt als Page-Post immer wieder auf die Website brightside.me hin. Im Gegensatz zu „5-Minute Crafts“ hat „Bright Side“ eine Homepage, auf der in bester Viral-Publisher-Manier Bilderstrecken, Top-Listen und Clickbaiting mit aggressiver Google Adwords-Vermarktung kombiniert werden. Die Facebook-Seiten sind beide ähnlich erfolgreich: Auch „Bright Side“ kommt auf über 30 Millionen Fans. Der Youtube-Kanal von „Bright Side“, der erst am 15. März 2017 erstellt wurde, kommt auf 1,1 Millionen Abonnenten und rund 137 Millionen Views.

Die sehr ähnlichen Inhalte und das gegenseitige Pushen durch Verlinkungen sind natürlich kein Zufall: Beide Publisher weisen an unterschiedlichen Stellen auf thesoul-publishing.com hin, das offenbar das Betreiber-Unternehmen der beiden Viral-Publisher ist. Auf der Seite beschreibt sich die Firma selber als „one of the largest media publishers in the world“ und nennt als Nachweis folgende Reichweiten-Zahlen: 138.202.367 Fans und pro Monat zwei Milliarden Video-Views auf Facebook, 228.401.365 User und 856.532.393 Page Views auf Websites im März 2017. „Bright Side“ und „5-Minute Crafts“ seien die Top-Publisher von „TheSoul Publishing“, insgesamt würden pro Monat 1.000 neue Videos von „filming, animation & licensing teams“ erstellt.

Wer steckt hinter TheSoul Publishing?

„TheSoul Publishing“ nennt noch weitere Seiten, die zum Portfolio gehören – insgesamt sollen es 24 sein. Beim Großteil dürfte es sich dabei um übersetzte Inhalte von „Bright Side“ und „5-Minute Crafts“ handeln. „GenialGuru“ (15,7 Millionen Facebook-Fans und entsprechende Website) und „Ideas en 5 minutos“ (9 Millionen Facebook-Fans) sind spanische Versionen, „Incrivel Club“ (10,3 Millionen Fans) portugiesisch und „Sympa Sympa“ (1,6 Millionen Fans) französisch. „Smart is the new sexy“ (7,4 Millionen Fans) und „You’re Gorgeous“ (4,9 Millionen Fans) sind jeweils eigene, englischsprachige Formate.

Der Ursprung des Unternehmens dürfte allerdings in keinem der besagten Länder, sondern in Russland liegen. So besitzt die russische Version der Viral-Seiten „Adme“ neben dem obligatorischen Facebook-Account (4,9 Millionen Fans) und der Website auch einen Twitter-Account, der bereits im Mai 2009 erstellt wurde. Mit Hilfe des Internet-Archivs Wayback Machine lässt sich außerdem erkennen, dass bereits 2010 ähnlicher Viral-Content auf der Domain veröffentlicht wurde.

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Der Traffic der Websites von TheSoul Publishing laut SimilarWeb.

Laut eines Profils beim Karriere-Netzwerk Linkedin ist Marat Mukhametov der CEO der Adme Group. Außerdem soll er demnach seit 2003 CEO und Co-Founder von TheSoul Publishing sein – obwohl das Unternehmen unter diesem Namen offenbar erst seit Kurzem auftritt: Per Wayback Machine lassen sich keine Einträge zur URL finden und die Facebook-Seite ging erst vor wenigen Tagen live. „Adme“ hingegen wurde laut einem Company-Profil auf Linkedin bereits 2004 gegründet. Auf seinem Facebook-Profil bezeichnet sich Mukhametov außerdem als CEO und Co-Founder von „Bright Side“.

Neben Marat Mukhametov tritt zusätzlich noch Pavel Radaev als langjähriger CEO von Adme.ru auf Linkedin auf, bei Facebook bezeichnet er sich außerdem als CEO von „TheSoul Publishing“. Die Domain zum offenbar noch jungen Unternehmen ist ebenfalls auf seinen Namen registriert.

Beschwerden über Content-Klau und Herkunft des Traffics

Neben der teilweise undurchsichtigen Unternehmens-Struktur- und Geschichte, stellen sich noch weitere Fragen zum Erfolg von „TheSoul Publishing“ bzw. „Adme“: Wo kommt der Content eigentlich her? Und kann es sich bei einem solch schnellen Reichweiten-Wachstum nicht eigentlich nur um gekaufte Reichweite oder vielleicht sogar Fraud-Traffic handeln?

Ein paar wenige Erfahrungsberichte deuten an, dass das Unternehmen offenbar zumindest zeitweise fremden Content auf Facebook als eigenen geclaimed hat. So schreibt ein Nutzer auf ripoffreport.com, dass eines seiner Facebook-Videos gesperrt wurde und er eine E-Mail von „TheSoul Publishing“ erhalten hätte. Zu dem Zeitpunkt, der Eintrag stammt vom 6. September 2016, soll noch nicht einmal die Webseite des Unternehmens live gewesen sein. Ähnliche Erfahrungen schilderte ein weiterer Nutzer schon ein paar Wochen vorher. Auch in Facebooks Hilfeforen lässt sich ein ähnlicher Beitragfinden. Im Verhältnis zum Content-Output und den riesigen Reichweiten fallen diese wenigen Beschwerden jedoch kaum ins Gewicht.

Und auch beim Aufbau der Fans, Abonnenten und Views scheint es höchstwahrscheinlich mit rechten Dingen zuzugehen. Youtube-Experte und VeeScore-Gründer Christoph Burseg beobachtet immer mal wieder Kanäle, die quasi aus dem Nichts riesige Reichweiten aufbauen: „Es sieht zwar verrückt aus, scheint aber kein Fake oder Bot-Kanal zu sein. Auf den ersten Blick stimmen die Interaktionen und die Conversions nach Subscribern.“

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Die Herkunft der Facebook-Fans von 5-Minute Crafts laut influlyzer.com.

Auch dass offenbar ein relevanter Teil der Fans und Website-Besuchern aus Ländern wie Indien, Philippinen oder Vietnam stammen (das legen zumindest Daten von SimilarWeb und Influlyzer nahe), spricht laut Burseg nicht zwangsweise gegen echten Traffic. „Klar wird da auch Reichweite eingekauft. Aber gerade aus besagten Ländern funktioniert Content dieser Art eben auch gut. Außerdem optimieren sie die Kanäle tatsächlich auch sehr gut. Im Durchschnitt erreicht ein Video nach 30 Tagen mindestens 200 Prozent der Subscriber. Das ist super viral und bringt Watchtime.“ Dass es sich bei „TheSoul Publishing“ um ein richtig langfristiges und nachhaltiges Geschäftsmodell handelt, bezweifelt Christoph Burseg aber trotzdem. Ein bis zwei Jahre könne das klappen und lukrativ sein. Wir sind auf die Entwicklung gespannt – und es wären ja auch nicht die ersten Viral-Publisher, die nach einem Rekord-Aufstieg genauso schnell wieder von der Bildfläche verschwinden.

Bild: Getty Images / FilmMagic