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kim-jong-un Der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un

Vor einigen Wochen machte sich eine Gruppe deutscher Gründer, Venture-Capital- und Private-Equity-Investoren auf eine private Entdeckungstour durch Nordkorea. Der nahezu vollständig abgeschottete sozialistische Staat zwischen Russland, China und Südkorea war zuletzt durch regelmäßiges Säbelrasseln omnipräsent in den internationalen Medien. Der Besuch vor Ort offenbarte, dass viele Mythen der Wahrheit entsprechen – und andere völlig überzogen sind. Gründerszene zeichnet die Erfahrungen der Reisenden exklusiv auf.

Wie sieht es in Nordkorea aus?

Das Land sieht aus wie die Sowjetunion in den 50er-Jahren. Die Hauptstadt Pjöngjang, in der 2,5 Millionen der insgesamt 24 Millionen Einwohner leben, fungiert als polierte Propaganda-Speerspitze. Hier werden die Besucher von einem Monument zum nächsten gefahren. Die Tonspur ist monoton: Man sei eine Leitkultur, wahlweise bedrängt von dem „Evil Imperialist“, den Amerikanern, oder dem „Japanese Aggressor“. Man müsse sich daher verteidigen, heißt es. Auf Bushaltestellen sind startende Atomraketen abgebildet. Fährt man 30 Minuten stadtauswärts, werden Felder mit Kühen bestellt. Mittelalter.

Die Reisegruppe hat einige interessante Eindrücke in Bildern mitgebracht:

Startup-Reise nach Nordkorea

Stimmen die Vorurteile?

In der westlichen Hemisphäre grassiert erstaunlich viel Blödsinn – von den gesetzlich vorgegebenen Frisuren bis zu Abtrünnigen, die Hunden zum Fraß vorgeworfen werden. Dies sind sicherlich unvermeidliche Auswüchse menschlicher Mythenbildung, wenn man sich im Weltgeschehen als „Area 51“ positioniert.

Beispiele:

  • Im ganzen Land soll es nur eine Handvoll Autos geben. In Pjöngjang war allerdings Verkehr wie in Mannheim.
  • Wer filmt, landet im Bunker. Wir konnten überall ungefragt filmen.
  • Ausgehungerte Menschen mit leeren Blicken säumen angeblich die Straßen. Tatsächlich hat man viele lachende, gut gekleidete und normal genährte Koreaner gesehen.

Auch wenn Pjöngjang eine große Bühne ist, erscheint das Alltagsleben glaubhaft gewöhnlich: Es gibt Bierhallen, Eisdielen, Schwimmbäder, Restaurants, Vergnügungsparks, Museen, Bowlingbahnen, Schießstände (fünf Euro, um auf lebende Hühner zu schießen), einen westlichen Coffee-Shop oder einen ukrainischen Hot-Dog-Stand.

Man verdrängt allerdings, dass die Stadt ein Refugium vergleichsweise wohlhabender Parteitreuer ist, während ein erheblicher Teil der Einwohner weder Strom, noch Wasser oder eine gesicherte Lebensmittelversorgung hat. Geschweige denn das Land jemals verlassen konnte. Das Theater trägt schnell Früchte: Nach ein paar Tagen ertappt man sich immer öfter bei dem Gedanken, dass alles halb so schlimm sei.

Die U-Bahn kommt aus Berlin

Die martialischen Monumentalbauten sind düster-atemberaubend – man werfe „V for Vendetta“, „1984“, „Star Wars“ und „Tribute von Panem“ in einen Mixer. Dazu ganz viel Stahl, Beton und unendliche Liebe zum Detail. Überall feiert man den Gründungsmythos des Landes, die Partei und vor allem die Führer. Obwohl das Land abends zappenduster ist (Stromsparmodus) und Hungersnöte durchstehen muss, leistet man sich hochmoderne Repräsentanzbunker wie Musikschulen, Bibliotheken, Museen oder Science Center. Der einzige internationale Flughafen (vier Gates, kaum ein Flug pro Tag) ist moderner als die meisten europäischen Provinzflughäfen.

Immer wieder stellen wir uns die Frage: Woher kommt das Geld dafür? Eine wichtige Lebensader Nordkoreas ist China, wo unter anderem Lebensmittel und Elektronik bezogen werden. Wir sahen Supermärkte mit „Gut & Billig“-Produkten von Edeka, Pepsi, Coca Cola und deutschem Bier. Die U-Bahn kommt von der Berliner BVG. Offenbar ein Second-Hand-Schnäppchen.

Einer der letzten unerschlossenen Milliardenmärkte

Es gibt keine Werbung, kein Internet, keine grenzüberschreitende Post. Mehr Aufmerksamkeitsdetox geht kaum. Nordkorea ist wohl der letzte große, marktwirtschaftlich nahezu unerschlossene Milliardenmarkt der Welt inmitten hochentwickelter Nachbarn.

Vorhang auf für die „Truman Show“

Obwohl es stets hieß, dass nichts gestellt sei, fühlte man sich oft wie in der „Truman Show“. Die polierten Orte, die man besuchen darf, wirken wie Filmkulissen aus den 60er-Jahren. Überaus adrette Menschen gehen wie Komparsen durch die Szenerie. Alles ist darauf ausgerichtet, westlichen Zweiflern zu zeigen, dass man Technologie, Bildung und Wohlstand besitzt.

Doch die Kulisse bröckelt schnell: So führt man beispielsweise einen „Technikraum“ mit circa 50 Menschen vor, die im Akkord auf Computern herumklicken und Videos (unter anderem über die Trennung von Eiern) anschauen. Geht man 45 Minuten später durch denselben Raum, klicken sie noch immer auf jenen Inhalten herum.

In der Staatsbibliothek werden stolz deutsche Bücher aus den 1980ern präsentiert, die man über ein vollautomatisches Fließbandbeförderungssystem binnen weniger Sekunden an die Ausgabestelle brachte. Tatsächlich gab es ein Loch in einer Wand, hinter der wohl irgendjemand eine vorbereitete Kiste durchschob. Auch Bücher über Programmiersprachen wie C++ oder JavaScript lagen herum. So absurd Momente wie diese auch wirkten – die Nordkoreaner spielen das aus voller Überzeugung ab. Eine Art PR-Dienst am pressegebeutelten Vaterland?

Lachen oder weinen?

Der Führerkult ist grotesk. Die Tageszeitung, in welcher der „Dear Leader“ täglich auf dem Titel gezeigt wird, darf nicht geknickt werden. Überall muss man sich vor Bildern der Familie verbeugen und Blumen niederlegen. Der für Staatsgründer Kim Il-sung gezüchteten Blume „Kimilsungia“ war eine eigene Ausstellung gewidmet. Il-Sung, der in jeder größeren Straße auf riesigen Plakaten wahlweise Pflanzen, Kinder oder Tiere im Arm hat, soll im Alter von drei Jahren die ersten revolutionären Schriften verfasst haben.

Die Kims hätten später allerlei Zeug erfunden, so beispielsweise höhenverstellbare Schulbänke. Außerdem Flugzeuge gesteuert und mehrere Tausend Bücher verfasst. Unser Favorit: „Selbstloser Dienst an den Volksmassen ist die Existenzweise Nordkoreas und die Quelle seiner unbesiegbaren Kraft.“ Beim Eintritt in den nordkoreanischen Luftraum kommt eine Durchsage, die den um Wiedervereinigung bemühten „Supreme Commander“ preist. Viele Sätze beginnen mit „Under the wise leadership of our great leader…“. Gegenstände, die die Führer irgendwann einmal berührt hat, werden auf ewig mit roten Schildern gekennzeichnet (Hier saß Kim Jong-un am XX.XX.2015). Als unvermeidlich voreingenommene Besucher wussten wir im Hinblick auf die glaubwürdige Inbrunst der vortragenden Einheimischen oftmals nicht ob wir lachen oder weinen sollten.

Bild: VCG

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200 Minuten Mobilfunk vom Staat

Bereits am Flughafen stellten wir überrascht fest, dass Nordkorea Mobilfunk anbietet: „Koryolink“ ist ein Joint Venture des Staates mit dem ägyptischen Mischkonzern Orascom. Das für kolportierte 400 Millionen US-Dollar aufgebaute Netz soll Ende 2015 drei Millionen Kunden gehabt haben und 90 Prozent der Bevölkerung erreichen. Viele Menschen auf der Straße sind in ihre chinesischen und nordkoreanischen Handys vertieft, die an Android-Smartphones der ersten Generation erinnern. Am Flughafen beobachtete unsere Reisegruppe einzelne Funktionäre mit iPhones. Es gibt landeseigene Apps, beispielsweise einen Messenger. Als „App Store“ fungieren allerdings physische Geschäfte, in denen man sich Anwendungen kontrolliert auf das Gerät laden kann.

Spannend ist auch die Tatsache, dass die Netze für Nordkoreaner und die wenigen im Land lebenden Ausländer voneinander getrennt sind. Erstere erhalten vom Staat 200 Minuten Gesprächsguthaben monatlich gestellt. Letztere müssen Prepaid-Karten erwerben, über die auch eine reguläre Internetverbindung aufgebaut werden kann. Darüber hinaus ist kein freier Internetzugang möglich: Nordkoreaner müssen sich mit einer Art „Staatsintranet“ begnügen, das über Bibliotheken und Universitäten zugänglich ist.

Privat haben Bürger keinerlei Möglichkeit mit dem Ausland zu kommunizieren, sei es via Email, Brief oder telefonisch. Wer seinen nordkoreanischen Guides im Nachgang Erinnerungsfotos zukommen lassen möchte, muss sie an den chinesischen Reiseveranstalter schicken. Dieser druckt sie aus und überbringt sie bei einer seiner nächsten Touren persönlich.

Das sprengt jede Vorstellungskraft

In Erinnerung blieb auch die Tatsache, dass es von der nordkoreanischen Grenzstadt Kaesŏng (abends leuchtet man sich den Weg mit Taschenlampen) nur 70 Kilometer bis nach Seoul sind, eine der größten Konsumnationen der Welt mit 5G in der U-Bahn. Dazwischen liegen 70 Jahre Entwicklung und eine 250 Kilometer lange entmilitarisierte Grenzzone („DMZ“).

Auf der südkoreanischen Seite der „DMZ“ gibt es Outletcenter, Restaurants und eine beträchtliche Infrastruktur für den Fall der plötzlichen Wiedervereinigung. Man habe aus „dem deutschen Fall“ gelernt, heißt es. Keine vier Kilometer weiter gen Norden ist man im Kriegszustand zwischen Militärcheckpoints und kargen Feldern, wo Menschen mit bloßen Händen Gemüse ernten.

Bitte nicht den Führer beleidigen

Dass man beim ersten Fehltritt im Gulag landet, ist ein Märchen. Obwohl viel Militär, immerhin das fünftgrößte stehende Heer der Welt, präsent ist, wird man in Ruhe gelassen, solange man Regeln befolgt. Die zwei gefährlichsten Vergehen: Führer beleidigen oder Bibel reinschmuggeln. Beides kam zuletzt mehrmals vor: Ein US-Student riss in unserem Hotel vor ein paar Monaten ein Poster ab und wurde zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt. Ein anderer hatte in seinem Hotelzimmer eine Bibel versteckt, wohl in der Hoffnung, das Housekeeping zu bekehren.

Kann man die Reise empfehlen?

Wir können diese Reise empfehlen, vorausgesetzt man hat eine gute Reisegruppe. Unsere war ein Volltreffer. Es gibt in Nordkorea seit 1953 Tourismus – das weiß nur keiner. Je nach Quelle reisen zwischen 1.500 bis 10.000 Westler pro Jahr ein. Und 100.000 nostalgische Chinesen. Man befindet sich ständig in Begleitung lokaler Guides und darf das auf einer Insel liegende 50-stöckige Hotel abends nicht verlassen. Wir waren phasenweise wohl die einzigen Gäste. Das klingt allerdings schlimmer als es ist.

Fazit

Es waren unfassbar spannende, groteske fünf Tage auf einem der letzten weißen Flecke der Erde. Länger hätte es allerdings auch nicht sein müssen, da spätestens ab dem dritten Tag der Propagandahammer langsam das Gehirn aufweicht. Dass so eine Parallelveranstaltung anno 2016 bestehen kann, sprengt an Ort und Stelle jede Vorstellungskraft. Dass die Führershow am Ende 24 Millionen augenscheinlich freundliche und friedliebende Menschen systematisch der modernen Zivilisation verschließt, begreift man dagegen erst auf dem Rückflug.

Der Schluss, dass sie allesamt vom weißen Mann gerettet werden möchten, ist allerdings eine Behauptung: Was man nicht kennt, vermisst man nicht. Wir sind sicher, dass etliche Nordkoreaner in Zufriedenheit leben.

Hinweis: Die Reisenden wollten nicht namentlich genannt werden. Die Redaktion kennt ihre Identität.

Bild: privat