Bringen ihren Food-Truck in Kleinstädte: das Familienunternehmen Boerger and Friends.

Der Weg zu Frank Hoberg führt vorbei an grünen Wiesen und Nadelwäldern. Die Straßen entlang reiht sich ein Einfamilienhaus an das nächste, viele davon mit Schieferverkleidung, typisch für die Region rund um Olpe. Hoberg empfängt in seinem Büro. Hier, zwischen bewaldeten Hügeln im flachen Neubau, ist die Softwareschmiede Open-Xchange zu Hause, die es mit ihrer Open-Source-Bürosoftware mit den ganz Großen des Internetgeschäfts aufnehmen will. Mehr als 200 Millionen Menschen weltweit nutzen ihre Produkte mittlerweile. Zu den Kunden zählen Service Provider wie 1&1 Internet, Strato und Vodafone.

DAS GRÜNDERSZENE-RANKING

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„Dass wir hier vor unserer Haustür geblieben sind, war für uns kein Nachteil”, sagt Hoberg, ein Sauerländer Urgewächs. „Entwickler können von überall aus arbeiten.” Neben Olpe unterhält die Firma auch Büros in Nürnberg, Helsinki und San José. Er habe natürlich schon überlegt, hier wegzuziehen, damals bei der Gründung im Jahr 2005. Doch gemeinsam mit seinem Mitgründer und dem heutigen CEO Rafael Laguna hat Hoberg entschieden, Open-Xchange in Olpe anzusiedeln. Ganz losgelassen hat beide der Traum von Kalifornien jedoch nie: Im oft regnerischen Sauerland haben sie ihr eigenes Valley nachgebaut – mit Palmen, Sonnenterrasse und Ladesäule für E-Autos. Nicht zuletzt deshalb haben die Olper das Gelände liebevoll „Bigge Valley” getauft, benannt nach dem bei Touristen beliebten Biggesee am Stadtrand.

Sauerland statt Silicon Valley

Olpe ist nicht die erste Adresse, an die Gründer denken, wenn sie nach einem Firmensitz suchen. Wenige Kneipen, schlechte Anbindung an Bus und Bahn und laut einer Bertelsmann-Studie ein Durchschnittsalter von knapp 43 Jahren. Doch die Kleinstadt bietet auch Vorteile, ist Peter Baranski überzeugt. Gemeinsam mit seinem Partner Jörg Glinka leitet der 61-Jährige die Geschäfte von etailer Solutions, einem E-Commerce-Startup. Zu den etailer-Kunden gehören der Berliner Lautsprecherhersteller Teufel sowie Europas großer Fahrradversender Bike-Discount und der Campingspezialist Fritz Berger.

Gründer Baranski kennt sich aus im Bereich Softwareentwicklung. Schon 1982 hat er seine erste Firma gegründet, später wechselte er in den E-Commerce und rief 2013 mit seinem Geschäftspartner etailer Solutions ins Leben. Heute haben sie ihr Büro ebenfalls im Bigge Valley.

Recruiting an den Fachhochschulen

Statt den Startups in der Großstadt nachzueifern, will das ungleiche Führungsduo die Besonderheiten der Kleinstadt nutzen. Dazu gehört ein funktionierendes Netzwerk. Weil sie ihre Kunden überwiegend über Weiterempfehlungen bekommen, hätten sie „bisher kaum Marketingausgaben”, sagt Baranskis Geschäftspartner Glinka. Auch hätten sie – entgegen der allgemeinen Vermutung – aktuell keine Probleme, neue Mitarbeiter zu finden. „Auf der Suche nach einer beruflichen Herausforderung und einem sicheren Job kommen hochqualifizierte Leute zu uns, spätestens dann, wenn sie eine Familie gründen wollen“, so Glinka.

Von Vorteil sei dabei auch die Nähe zu den Fachhochschulen in den Städten Gummersbach und Siegen. Viele Unternehmer und Entwickler in der Region hätten selbst dort studiert und blieben in der Gegend, wenn sie eineFamilie gründen.

Hat im Sauerland ein Startup gegründet, das Apps für den Roboter Pepper entwickelt: Tim Schuster.

Beständigkeit, persönliche Beziehungen und vergleichsweise günstige Mieten zählen zu den Hauptgründen, die Gründer in der Region halten. Von außen kommen kaum kreative Köpfe hinzu. Das bestätigt auch Frank Ermert aus dem Gründerbüro der Uni Siegen. Er beobachtet seit Jahren die Szene in der Region. Unternehmer eröffnen ihr Geschäft dort, wo sie zu Hause sind. Das gilt nicht nur für die Digitalszene. Innerhalb einer kleinen Stadt wissen die Menschen schnell, wenn ein neues Café oder ein Frisör gebraucht wird. Ein Pluspunkt: Wer auf neue Trends setzt, muss weniger Konkurrenz fürchten als in den Metropolen. Was dort schon vor zwei Jahren angesagt war, lässt sich im Sauerland heute als neu verkaufen.

Ein Burger-Mobil mit Großstadt-Flair

Davon profitiert auch Familie Hacke. Mutter Heidrun und ihre beiden Kinder Celine und Marius haben gemeinsam mit Bastian Pallaske einen der ersten Foodtrucks ins Sauerland gebracht. Heidrun Hacke kennt sich aus in der Olper Gastroszene, hat jahrelang ein Restaurant betrieben. Bis ihrem Sohn Marius die Idee kam, einen alten Schulbus mit Grill, Eisfach und Theke auszustatten. Seitdem verkaufen sie an vier Tagen pro Woche an unterschiedlichen Standorten ihre Burger und ziehen zusätzlich „über Schützenfeste und Foodfestivals”, wie Heidrun Hacke erzählt. Auch für Hochzeiten, Geburtstage und Polterabende werde der Wagen gebucht. Mit ihrem „Boerger&Friends”-Mobil bringt das Familienunternehmen ein bisschen Großstadtflair in die Provinz. Sohn Marius hat sich mittlerweile sein eigenes Business aufgebaut. Längst baut er nicht mehr nur Trucks für das eigene Geschäft um. Seine rollenden Küchen sind weit über die Stadtgrenzen hinaus gefragt.

Auf dem Land zu gründen, hat allerdings nicht nur Vorteile. Das mangelnde Angebot an Theater und Konzerten schreckt viele Kreative ab, für Gründer sind Gleichgesinnte nicht leicht zu finden. Und auch Risikokapital lässt sich schwer auftreiben. Bei der Suche nach frischem Geld stoßen junge Unternehmen mit neuen, unbekannten Geschäftsmodellen bei den örtlichen Kre-
ditinstituten häufig auf Unverständnis. Das Geld muss dann in der Regel von außen kommen, wie beim Unternehmen Open-Xchange, das kürzlich 21 Millionen Euro von internationalen Wagniskapitalgebern einsammeln konnte.

Der Kollege auf dem Bildschirm

Internationale Kontakte sind wichtig. Tim Schuster hat eine ganze Reihe davon. Er ist gut vernetzt, reist viel herum. Das Büro seines Startups Humanizing Technologies liegt in „Down Town” Olpe – über dem Stadt-Imbiss, einer Rechtsanwaltskanzlei und dem Salon Hair Flair. Für Schuster spielt es keine Rolle, von wo aus er arbeitet. Sein Mitgründer Dimitrios Prodromou und fünf Entwickler sitzen in einem Co-Working-Space in Wien. Regelmäßig besucht der junge Mann, den wie die anderen Unternehmer die eigene Familie im Sauerland hält, seine Kollegen im Wiener Büro – als Roboter. Auf einem kleinen Bildschirm auf Rädern, ähnlich wie ein Segway, rollt er dann zwischen seinen Kollegen hin und her. „Auch ich bekomme auf diese Art und Weise oft Besuch”, erzählt er. Weil er daran glaubt, dass Remote Work, das Arbeiten von einem x-beliebigen Platz, die Zukunft sein wird, vertreibt er im Auftrag einer US-Firma solche Telepräsenzroboter an deutsche Kunden und Unternehmen. Schuster ist begeistert von der Idee, dass Menschen sich eines Tage verdoppeln können.

Seine neueste große Liebe: Pepper. Gemeinsam mit seinem Wiener Team entwickelt er Apps für den 1,20 Meter großen japanischen Roboter, der mit seinen großen Augen und seinem menschenähnlichen Kichern zuletzt auf der Cebit für Aufmerksamkeit sorgte. Mit leuchtenden Augen erzählt der Jungunternehmer von seiner neusten Erfindung, einer Anwendung, mit der Menschen mittels VR-Brille die Welt durch die Augen des Roboters sehen; die eigenen Bewegungen werden dementsprechend von Pepper imitiert. Noch kommt Pepper selten zum Einsatz, 15 Stück hat die Firma bisher in Deutschland und Österreich installiert. Schuster reist viel herum, um den Roboter bekannter zu machen, besucht Unis und Unternehmen. Gerade aus Berlin zurückgekommen, geht es Ende der Woche gleich weiter nach Paris. Aus dem Sauerland in die große Stadt.

Bild: Jana Kugoth für Gründerszene