Dieses Bällebad. Ein Wahnsinn. Es hat fast olympische Ausmaße. Wenn man es kulturpessimistisch interpretieren wollte, wäre das hier das Ende aller Bällebäder – und damit das Ende des Startup-Hypes. Zusammen mit all seinen Tischkickern, dem Club-Mate-Kult, dem endlosen „Am-Ende-Des-Tages“-Gerede und Exit-, Disrupt-und Digitalisierungsfantasien. Mehr geht nicht. Schluss. Die neue Factory am Görlitzer Park in Berlin ist in ihrer ganzen Pracht, in ihrem Wahnsinn auch irgendwie ein gefühlter Endpunkt einer Entwicklung. Was soll denn jetzt noch kommen, wenn es um Startup-Begegnungsstätten, Coworkingspaces und die Infrastruktur für die digitale Wirtschaft der Zukunft geht? Die ersten Steine und Faarbbeutel sind auch schon durch die neu verglasten Fenster geflogen, denn das ist auch Berlin. Jeder, der hier etwas unternehmen oder verändern möchte, macht sich zunächst einmal verdächtig und wird als Eindringling empfunden. Gerade in Stadtteilen wie Kreuzberg, Friedrichshain oder Neukölln, die sich als offen und alternativ empfinden.

Da kann das Silicon Valley nicht mithalten

Die Macher um den Factory-Chef Udo Schloemer bleiben unbeirrt, sie haben die alte Fabrik der Firma Agfa in Rekordzeit zu einem Abenteuerspielplatz für Gründer, Programmierer, Startupper, Digitalisierer, Netzwerker und Thinktanks umgebaut. So, wie man das in Berlin macht, wenn man sich ausnahmsweise mal Mühe gibt und genug Geld im Topf ist. Alte Elemente wurden liebevoll erhalten, das alte gußeiserne Treppengeländer zum Beispiel. Dazu gibt es raue, unverputzte Wände, eine Großküche mit begehbarem Kühlraum, die jedem anspruchsvollen Hotelrestaurant zu Ehre gereichen würde. Arbeitsbereiche und eine Bibliothek bieten Platz für Arbeitsteams in verschiedensten Größenordnungen. Man kann sich in Kämmerchen zurückziehen oder auf einem hohen Podest platzieren, auf dem man für alle sichtbar arbeitet oder vom großen Geschäft träumt. Unter dem Dach gibt es ein Kino. Das alles sieht richtig gut aus. Selbst im Silicon Valley findet man keinen Platz, der mithalten kann.

Im Gegensatz zur Stamm-Factory in der Bernauer Straße soll am Görlitzer Park inhaltlicher gedacht werden. Man hat sich vom Gedanken des reinen Coworkingspaces mit gemeintschaftlichen Events verabschiedet. Es soll um konkrete Projekte gehen, die dann in immer neu zu formierenden Teams vorangetrieben werden. Da kann sich zum Beispiel der Thinktank von Audi, der bereits vor Ort arbeitet, sofort nach Leuten umschauen, die bei der Realisierung eines Projektes helfen. Denn eine Factory-Plattform im Netz bietet die Möglichkeit, sich schnell auf die Suche nach passendem Knowhow zu machen. Und so soll es möglich werden, dass bereits Minuten nach einer Idee, sich ein Factory-Team formiert und an deren Umsetzung arbeitet.

Mitglieder sollen ihr Wissen teilen

Damit der Nachschub an Knowhow nicht ausgeht, hat die Code University von Thomas Bachem ihre Arbeit in der Factory aufgenommen. Hier lernen junge Leute bereits seit ein paar Wochen die Sprachen der Zukunft. Coding. Sie werden diejenigen sein, die Maschinen mitteilen können, was sie zu tun haben. Insgesamt sollen hier in der Factory einmal 1000 Menschen arbeiten. Ab 50 Euro im Monat gibt es am Görlitzer Park einen flexiblen Arbeitsplatz. Bewerben kann sich jeder. Das Management legt aber Wert darauf, dass sich die Mitglieder mit ihrem Wissen einbringen und bereit sind, es mit den anderen Mitgliedern zu teilen.

Chef und Gründer Udo Schloemer führt mich mit berechtigtem Stolz durch sein neues Projekt und erzählt, welche Hürden in kurzer Zeit zu nehmen waren. Und das waren nicht wenige. Aber er und sein neuer CEO Ramin G. Far betrachten die neue Factory natürlich auch als einen Business Case. Das Ganze soll sich nach dem „erheblichen zweistelligen Investment in Millionenhöhe“ auch rechnen. Aber daran haben die beiden Manager überhaupt keine Zweifel. Es gibt bereits mehr als genug Bewerbungen für Mitgliedschaften. Auch Corporates wollen wie Audi mit digitalen Forschungsabteilungen vor Ort sein. Das bringt natürlich auch gutes Geld. Alles erinnert ein bisschen an das israelische Modell. Dort ist man schon etwas länger dabei, große Firmen, staatliche Einrichtungen mit Startups und Universitäten zusammen zu bringen. Mit Erfolg.

Hier und da ist es noch etwas kühl

Noch laufen am Görlitzer Park überall Handwerker durch das mehr als 120 Meter lange Gebäude. Ein weiteres Stockwerk soll noch oben auf das Dach gesetzt werden. Ein gigantischer Fahrradkeller ist bereits fertig. Im Januar soll offiziell Eröffnung gefeiert werden. Jetzt ist es hier und da noch etwas ungemütlich für die Beta-Tester des Gebäudes. Auf dem Weg zum Ausgang treffe ich den ehemaligen Chef der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, der hier offenbar an seiner neuen Firma arbeitet. In der es jetzt noch etwas kühl sei, wie er scherzhaft bemerkt. Doch der Chef beruhigt ihn. In ein paar Tagen soll auch die Heizung perfekt funktionieren, verspricht Udo Schloemer. Wie das ganze digitale Ökosystem, das hier geplant ist.

Vielleicht gewöhnen sich ja auch die kulturpessimistischen Steinewerfer an den Gedanken, dass Veränderung nicht unbedingt Verdrängung bedeutet und dass die Menschen, die hier in Zukunft arbeiten, auch einen Platz für ihre Ideen verdient haben.

Zur allgemeinen Beruhigung hier ein sonntäglicher Klassiker von den B-52s.  

Foto: B52s/Youtube/Screenshot