Die Entscheidung fällt schwer: Soll der Ventilator für ein bisschen Wärme im Auto und klare Sicht durch die Scheiben sorgen? Oder soll die Batterie geschont werden, damit die Stromladung auch noch für die Fahrt zurück zum Paketdepot reicht? Mehr als 70 Kilometer Strecke sind nämlich nicht drin.

Mitarbeiter der Post, die das neue Lieferfahrzeug namens Streetscooter fahren, stehen in diesen Tagen vor dieser schwierigen Prioritätensetzung. Wenn es schiefläuft, bleibt der Paketwagen mitten auf der Strecke liegen. Dass das passiert, belegen Recherchen der Welt in mehreren Bundesländern. Doch die Probleme mit dem Elektrowagen sollen aus Sicht der Konzernzentrale in Bonn nicht an die Öffentlichkeit dringen.

In vielen Städten treten Probleme auf

Weil die Deutsche Post am Automarkt kein geeignetes Lieferfahrzeug mit Elektroantrieb gefunden hat, baut der Logistikkonzern in Zusammenarbeit mit einer Ingenieursfirma als Ausgründung der Universität Aachen ein eigenes Fahrzeug. Bis heute sind rund 5.000 dieser Streetscooter im Einsatz, bis zu 30.000 E-Lieferwagen sollen es in den nächsten Jahren werden.

Doch nun treten im ersten Alltagsbetrieb in Wintermonaten mit der Neuentwicklung in vielen Städten des Landes Probleme auf. In einem Ort ist sogar die Rede von einer „unglaublichen psychischen Belastung“, weil die Beschäftigten sich mit dem Fahrzeug nicht mehr auf die Straße trauen. Immer wieder gehe es darum zu entscheiden, wann der Fahrer am besten umkehre, um den Rückweg noch zu schaffen.

Angst vor Unfällen

In Süddeutschland berichten Betriebsräte von technischen Mängeln der Heizung sowie von einer viel zu geringen Reichweite. Den Aussagen zufolge gibt es Ausfälle des Streetscooter, die im zweistelligen Prozentbereich liegen. „Die Probleme zu lösen wäre wichtiger als dauernd in der Presse zu sagen, wie toll dieses Arbeitsgerät ist“, sagt ein Betriebsrat. Auch hätten einige Postboten wegen der Leichtbauweise des Fahrzeugs auf freien Strecken Angst vor Unfällen. In mehreren Fällen sei die Motorhaube während der Fahrt aufgesprungen.

Im Alltag blieben Streetscooter „mitten in der Pampa“, wie die Fahrer es beschreiben, auf der Strecke liegen. „Aus Sorge darum, ob sie es noch bis nach Hause schaffen, müssen unsere Kollegen mehr auf den Ladestand der Batterie achten als auf ihre Arbeit als Zusteller“, sagt ein anderer Mitarbeiter.

Ausfälle werden unter anderem von Zustellern in Berlin berichtet. Erschwert wird die Lage dadurch, dass sich nur wenige Werkstätten mit den Autos auskennen und sie vor Ort reparieren können. Ein bundesweiter und effektiver Pannendienst für den Streetscooter existiert bislang nicht.

Manche Zusteller heizen mit Elektrogeräten vor

In der Stadtzustellung ist ein Nachladen der Batterie möglich, in den Stadtrandgebieten in der Verbundzustellung mit Briefen und Paketen ist dies wegen der Entfernungen schwieriger. Statt der von der Post angegebenen Reichweite von 100 Kilometern zeigt sich in der Fahrpraxis nach Aussage der Beschäftigten, dass maximal 70 Entfernungskilometer mit einer Stromladung möglich sind.

An manchen Tagen sei es fürchterlich kalt in den Fahrzeugen, weil der Heizungsventilator aus Sorge vor dem Verbrauch der Batterieladung nicht angestellt werden könne, berichten Beschäftigte. Einige von ihnen stellen sich morgens auf dem Betriebshof vor der Abfahrt einen kleinen Heizlüfter per Stromkabel in ihren Streetscooter, damit es wenigstens zum Fahrtbeginn im Fahrerhaus warm ist. Ähnlich ist es mit der nachträglich eingebauten Sitzheizung: Auch dieses Extra wird aus Angst vor einem zu hohen Stromverbrauch wenig genutzt. Immerhin wurde das Dämmmaterial bei Neubauten bereits verbessert. Laut Aussage der Post wurden im Rahmen der Entwicklungsarbeiten Testfahrten in Schweden durchgeführt. Ob diese im Sommer oder im Winter stattfanden, ist nicht bekannt.

Mitarbeiter sind sauer

Wiederum aus Süddeutschland berichten Paketfahrer davon, dass das Auto auf freier Strecke ausgeht und nicht wieder in Gang gebracht werden kann. Kommt es zu solch einem Ausfall, müssen Spezialwerkstätten angefordert werden. Das dauert Stunden und sorgt am Ende dafür, dass Postsendungen nicht ausgefahren werden können. Problematisch ist zudem, dass es an manchen Orten keine Alternative zu den Elektrowagen mehr gibt. Immer mehr der sogenannten Zustellstützpunkte der Post werden nur noch mit dem Streetscooter ausgestattet.

Eine angemessene Reaktion aus dem Konzern gibt es aus Sicht der Mitarbeiter nicht. Wenden sich die Beschäftigten mit ihren Alltagsproblemen an ihre Konzernzentrale, erhalten sie die Antwort, es müsse sich um Bedienungsfehler handeln. Ein frustrierter Beschäftigter berichtet davon, dass es „trotz mehrfacher Hinweise auf notwendige Nacharbeiten an dem Auto kein Vorankommen der Entwicklung“ gebe. Interne Papiere zu Verbesserungsvorschlägen sind Verschlusssache. Wer als Mitarbeiter Mängel öffentlich macht, riskiert arbeitsrechtliche Schritte bis hin zu einer Abmahnung.

Die Post wiegelt auf Anfrage ab

„Man hätte das Fahrzeug erst einmal ausreifen lassen und zu Ende entwickeln sollen, anstatt so zu tun, als sei es ein ordnungsgemäßes Auto“, sagt ein Betriebsrat aus Süddeutschland. Der Streetscooter sei ein billiges Lieferauto, das nicht fertig ausgereift sei.

Die Antwort der Post auf Fragen nach der Arbeit mit dem Elektrowagen fällt knapp aus: „Wir haben überhaupt kein Winterproblem mit dem Streetscooter“, sagt ein Sprecher der Post aus Bonn. Es könne schon mal vorkommen, dass ein Auto nicht anspringe. Aber sonst seien keine Fälle bekannt.

Der Stadt fördert das Projekt mit Millionen

In einem eigens dafür gegründeten Unternehmen baut die Post gerade Produktionskapazitäten von mehr als 10.000 Streetscooter-Fahrzeugen im Jahr auf. Auch wird das Lieferauto bereits an externe Kunden verkauft: Der Fischhändler Deutsche See aus Bremerhaven gehört zu den ersten davon.

Der Bund dürfte nicht nur als Großaktionär der Post ein Interesse am Erfolg des Streetscooter haben. Schließlich wird die Entwicklung des Elektrowagens auch noch vom Staat gefördert: Knapp zehn Millionen Euro gibt das Bundesumweltministerium bislang dafür aus.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Deutsche Post DHL