Nur mal schnell den Homescreen checken.

Als WhatsApp vor gut einem Jahr die beiden blauen Häkchen einführte, als Symbol dafür, dass eine Nachricht nicht nur angekommen, sondern auch gelesen wurde, gab es einen Shitstorm. In einem Update stellte WhatsApp daher schnell die Möglichkeit bereit, diese Funktion aktiv auszuschalten. Auf Facebook lässt sich dieser „Gelesen“-Status jedoch nicht ohne weiteres umgehen. Auch kann man mithilfe solcher Echtzeit-Anzeigen sehen, ob der andere gerade online ist oder sogar im Chatfenster tippt. Das hat drastische Auswirkungen auf unser Kommunikationsverhalten.

Welche Bedeutung ihnen von den Chatpartnern zugemessen wird, hat Lisa Mai gemeinsam mit Kollegen an der Universität Mannheim erforscht.

Lisa, was haben du und Deine Kollegen in den Studien herausfinden wollen?

Wir wollten wissen, welchen Einfluss die Echtzeit-Anzeige in Messengern auf das Kommunikationsverhalten der Menschen hat. In unserer Facebook-Studie haben wir ganz allgemein Personen in einer quantitativen Umfrage zu ihrem Chatverhalten befragt. Darauf hin haben wir uns in einer WhatsApp-Studie noch einmal mit Paar-Beziehungen im Speziellen auseinandergesetzt und leitfadengestützte Interviews geführt.

Was waren Eure wichtigsten Ergebnisse?

Spannend war, dass das Gefühl der Verpflichtung schnell zu antworten, wenn man eine Nachricht gelesen hatte, gegenüber dem Chatpartner deutlich höher war, als die Erwartung an ihn, dass er zeitnah antworte. Die Angst vor einer sozialen Sanktion, on- oder offline, bei verzögertem oder Nicht-Beantworten einer gelesenen Nachricht, war sehr hoch. Allerdings konnten wir Unterschiede zwischen verschiedenen Chat-Typen feststellen. Zum Beispiel war das Gefühl der Verpflichtung gegenüber dem Chatpartner höher, wenn dieser ein Vorgesetzter war oder eine Person, deren Urteil dem Befragten wichtig war. In Paarbeziehungen war die Erwartungshaltung zudem höher als im Durchschnitt.

Welche Auswirkungen hat denn das „Gelesen“-Symbol auf die Kommunikation zwischen Partnern?

Wir haben gesehen, dass alle die Status-Anzeigen benutzt haben, um den Partner zu kontrollieren. Es wurde sehr viel in die Kommunikation hineininterpretiert. Zum Beispiel, wenn man gesehen hatte, dass der Partner online war, aber noch nicht geantwortet hatte, führte das – besonders unter den weiblichen Befragten – zu Unmut und vielen Mutmaßungen über die Gründe für dieses Verhalten.

Ihr habt auch die Unterschiede zwischen Nah- und Fernbeziehungen untersucht, was habt Ihr herausgefunden?

Besonders in Fernbeziehungen wurde die Statusanzeige als symbolische Nähe empfunden. Die Partner haben daraus Rückschlüsse gezogen, ob der Partner gerade wach ist oder noch schläft, besonders bei Beziehungen über verschiedene Zeitzonen hinweg. Das „Online“-Signal wurde zum Beispiel als Lebenszeichen gesehen und als Bestätigung wahrgenommen, dass es dem Partner gut geht. Bei Nahbeziehungen waren die Inhalte der Kommunikation per Messenger dagegen anders fokussiert. Ob der Partner online war oder nicht, wurde beispielsweise als schnelle Information gewertet, ob es sich gerade lohnt, eine Nachricht zu schreiben, oder ob ein Anruf wohl die sicherere Kommunikations-Variante sei.

Angst vor Sanktionen, ein hohes Gefühl von Verpflichtung gegenüber dem Chatpartner und der Wunsch, den Anderen zu kontrollieren – das klingt alles sehr negativ. Konntet Ihr bei eurer Untersuchung auch positive Auswirkungen der Seen-Funktion auf die Menschen feststellen?

Wenn man sich nicht face-to-face begegnen kann, bereichert diese Funktion die Unterhaltung natürlich durch zusätzliche Information. Wenn der Andere nicht sofort antwortet, die Nachricht aber gelesen hat, kann man draus auch folgern, dass er über die Antwort nachdenkt, was auch eine Art Antwort ist. Gerade bei Fernbeziehungen ist die gefühlte Nähe, die durch die Echtzeit-Anzeige geschaffen wird, gut und wichtig.

Die meisten Menschen wollen aber sicher nicht kontrolliert werden. Kannst Du etwas darüber sagen, ob die Menschen die Funktion ausschalten würden, wenn es ganz einfach wäre?

Bei unseren qualitativen Interviews gaben sogar alle Gesprächspartner an, die Funktion schon einmal probeweise ausgeschaltet zu haben. Aber alle haben sie dann auch wieder aktiviert, weil sie sonst selbst nicht mehr sehen konnten, ob der andere online war oder die Nachricht gelesen hatte. Der Wunsch, die Kontrolle über den anderen zu haben, war also höher als das Opfer, dafür auch selbst für den Anderen kontrollierbar zu sein. In jedem von uns steckt wohl ein kleiner Voyeur.

Welchen Einfluss hatte es auf Dein eigenes Chatverhalten, dass Du Dich mit dem Thema beschäftigt hast?

Ich habe wirklich angefangen, mein eigenes Verhalten zu überdenken. Mir ist bewusst geworden, dass ich selbst viel mehr in die psychologischen Mechanismen von Erwartungen und Verpflichtungen verstrickt bin, als ich mir vorher eingestehen wollte. Ich gehe mittlerweile sehr strategisch mit den Status-Anzeigen um. Zum Beispiel überlege ich mir, je nach Absender, ob ich eine Nachricht überhaupt öffne, um demjenigen ein „gelesen“ zu signalisieren. Oder ob ich mit dem Öffnen warte, wenn ich schon weiß, dass ich nicht gleich antworten kann oder möchte. Auch ein Pop-up-Fenster auf dem Smartphone-Bildschirm ermöglicht einen größeren Spielraum, da ich die Nachricht, zumindest die ersten Zeilen, so schon lesen kann, ohne ein „gelesen“-Signal an den Absender zu schicken.

Welche Fragen sind bei den Studien für Dich offen geblieben?

Da die Seen-Funktion in Chats relativ neu ist, glaube ich, dass es noch Verhandlungssache ist, wie die Gesellschaft damit umgeht. Vieles von den Erwartungen und Verpflichtungen passiert unbewusst und unausgesprochen. Es fehlt Vielen auch an einem umfassenden Verständnis darüber, was die Statusanzeige wirklich bedeutet und sie wird missinterpretiert. Ich fände es spannend, zu beobachten, wie sich der Umgang untereinander mit Seen-Funktion über die Zeit entwickelt und ob diese Funktion irgendwann eine selbstverständliche Zusatzinformation wird, die man emotional nicht überbewerten muss.

Anmerkungen zu den Studien: Die Facebook-Studie war ein Projekt eines gesamten Master-Jahrgangs. Lisa Mai hat die Ergebnisse gemeinsam mit Rainer Freudenthaler, Frank Schneider und Peter Vorderer gebündelt, zu Papier gebracht und veröffentlich. Die WhatsApp-Studie führte Mai zusammen mit Judith Wilhelm durch. Sie erschien unter dem Titel „Ich weiß, wann du online warst, Schatz“ im Tectum Verlag.

Bild: Gettyimages / Westend61