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Gegründet wurde Studio71 von Ronald Horstman (links) und Sebastian Weil

Timo Mikal, Kelly oder Melina Sophie – sagen Euch nichts? Sollten sie aber, denn sie sind alle YouTube-Stars, haben also Millionen von Abonnenten und werden von Jugendlichen wie Helden gefeiert. In ihren Videos wirken sie dabei besonders nahbar, erzählen Geschichten aus dem vermeintlich normalen Leben und vermitteln ihren Fans das Gefühl, dass jeder zum YouTube-Star werden könnte. Der nächste Megaerfolg ist scheinbar nur einen Videoupload entfernt.

Dass hinter diesen Erfolgen aber extrem viel Arbeit steckt, es nur die wenigsten an die Spitze schaffen und sie häufig große Produktionsfirmen im Rücken haben, zerstört die Romantik des nahbaren Stars schnell wieder. Es geht um eine Menge Geld, die vor allem mit Werbung – teilweise offensichtlich, oft auch unterschwellig – in den Videos erzielt wird.

Auf diesen Trend ist ProSiebenSat.1 vor etwa fünf Jahren aufgesprungen. Die beiden Manager Sebastian Weil und Ronald Horstman lernten in den USA Unternehmens-Vorbilder kennen und brachten das Konzept eines sogenannten Multichannel-Netzwerks nach Deutschland, das unter anderem YouTuber bei der Produktion und Vermarktung der Videos unterstützt. Als internes Projekt für die eigenen Plattformen wie MyVideo gestartet, gründeten die beiden 2013 eine eigene GmbH unter dem Namen Studio71 und weiteten das Angebot auf Portale wie YouTube, Twitch oder Instagram aus. Das Unternehmen gehört zu siebzig Prozent zu ProSiebenSat.1. Anteile halten unter anderem auch die Medienkonzerne TF1 und Mediaset.

Nach mehreren Jahren Aufbauarbeit verlassen die beiden Gründer zu Ende Juni die Geschäftsführung, wie Gründerszene exklusiv erfuhr. An ihre Stelle treten Sebastian Romanus und Johann Griebl. Romanus war zuvor Deutschland-Chef des Konkurrenten Maker Studios, Griebl arbeitete als Senior Vice President bei Studio 71 und war für den Bereich „Artist & Content“ zuständig.

„Als wir 2013 mit Studio71 an den Start gingen, hatten wir keine Vorstellung davon, wie groß diese Company einmal werden würde“, heißt es von Sebastian Weil in der offiziellen Mitteilung zum Führungswechsel. 

Wir haben uns mit Ronald Horstman und Sebastian Weil getroffen und über die YouTuber-Landschaft in Deutschland gesprochen, welche Rolle Studio71 dabei einnimmt und was die nächsten Pläne der Gründer sind.

Sebastian und Ronald, Studio71 hilft YouTubern bei der Vermarktung und den Inhalten. Aber wie authentisch sind Künstler noch, wenn Ihr in der Produktion ihrer Videos mitmischt?

Ronald: Sehr authentisch. Im Prinzip agieren wir wie ein Musiklabel. Wir unterstützen die Künstler in der Vermarktung und Produktion, damit sie sich voll und ganz auf ihre Stärken fokussieren und ihrer Kreativität freien Lauf lassen können. Würden wir sie verbiegen oder in ein enges Korsett zwängen, käme das beim Publikum nicht an. Dessen sind wir uns vollstens bewusst. Wir sind inhaltlich sehr nah an unseren YouTubern dran und arbeiten eng mit ihnen zusammen. Heute hatten wir gerade mit dem YouTube-Künstler Serkan vom Channel SKK einen Onboarding-Day, bei dem er uns klar erzählte, was er will und was er nicht will.

Und wie verdient Studio71 an den Künstlern mit?

Sebastian: Wir haben vier verschiedene Einnahmequellen: die Standardvermarktung durch Pre-Rolls in Videos [Werbung vor dem Clip, Anm. der Redaktion], Branded-Entertainment-Formate und Influencer-Marketing, wo wir stark in die kreative Konzeption gehen. Außerdem entwickeln wir eigene Web-Only-Formate, teilweise auch für Dritte. Und dann – aber das ist noch relativ klein – gibt es alles was wir unter „New Business“ zusammenfassen, also Merchandising und Commerce-Aktivitäten, bei denen wir mit den Influencern eigene Produkte entwickeln und vermarkten.

Hier werden YouTube-Stars produziert

Könnte nicht gerade der Bereich Merchandising recht groß werden? Viele E-Sportler aber auch Beauty-Bloggerinnen erzielen damit ja bereits große Summen.

Ronald: Das wird auch größer. Beim Merchandising ist es verdammt wichtig, dass man auf das richtige Produkt setzt. Gerade arbeiten wir an mehreren Produkten, an Büchern zum Beispiel, oder einer Hautcreme und einem Parfum, gemeinsam mit einer Beauty-Künstlerin.

Sebastian: In den USA experimentieren wir mit Toy-Boxen für 30 Dollar, in denen sich kleine Spielzeuge befinden. Das funktioniert sehr gut.

Ronald: Wir haben auch ein sehr erfolgreiches Brettspiel mit unserem Partner Cyanide and Happiness heraus gebracht. Das Projekt wurde mittels Crowdfunding finanziert und hat innerhalb kürzester Zeit über drei Millionen US-Dollar eingesammelt.

Sebastian: Der Vorteil ist, dass der Künstler selbst mit seiner Reichweite eine enorme Vermarktungspower mitbringt, mit der er sein eigenes Produkt natürlich auch bewirbt.

Die Künstler vermarkten sich wahrscheinlich auch gegenseitig.

Ronald: Ja, das ist ein sehr wichtiges Performance-Steigerungs-Tool. Ausschlaggebend dabei ist, dass es nicht von außen auferlegt wird, sondern dass sich die Creator kennen lernen, austauschen und dann Gemeinsamkeiten finden.

Studio71 setzt hauptsächlich auf YouTuber, die bereits erfolgreich sind. Wie sieht es mit aufstrebenden Talenten aus?

Ronald: Dafür haben wir das Studio71 Bootcamp aufgesetzt. Das ist ein Programm, in dem wir 20 Künstler mit mindestens 20.000 Abonnenten für sechs Monate sehr intensiv begleiten und in Workshops intensive Hilfestellung geben. Und danach entscheiden wir uns, mit wem wir langfristig weiter zusammenarbeiten möchten.

Wie werden Nachwuchstalente entdeckt? Zahlen alleine werden da sicherlich nicht helfen.

Ronald: Früher war es ein reines Bauchgefühl. Aber wenn man in diesem Geschäft erfolgreich sein will, dann muss man die Leute sehr schnell identifizieren, beobachten und sich mit ihnen unterhalten. Genau deshalb haben wir ein eigenes Daten-Tool entwickelt, das die relevanten Kanäle trackt, und wenn es irgendwo rasante Steigerungen gibt, dann gucken wir uns die genauer an.

Was passiert dann?

Ronald: Im ersten Schritt schauen wir uns immer die Vermarktbarkeit an, ob die Inhalte beispielsweise sprachlich oder politisch vertretbar sind. Dann nehmen wir Kontakt auf und klopfen ab, ob man gemeinsame Vorstellungen von einer Zusammenarbeit hat. Ist das der Fall, dann kommen wir ins Geschäft. Und wenn wir uns einig werden, wie man sich gegenseitig bereichern kann, kommt es zum Vertragsabschluss.

Ab welcher Anzahl von Views kann ein Künstler auf YouTube von seinen Videos leben?

Ronald: Es geht eher darum, wie viele Unique User ein Kanal erreicht. Denn wenn ein Kanal immer die selben Leute erreicht, dann sind dort deutlich weniger Werbeeinnahmen zu erzielen, als wenn man immer neue Leute abholt. Es gibt also keine Grundregel, ab wie viel Abonnenten man davon leben kann. Außerdem gibt es Künstler in unserem Netzwerk, die ein ganz anderes Geschäftsmodell anstreben als die Werbevermarktung. Sie nutzen ihren Kanal dann etwa als Lead für einen Onlineshop. Aber relevant als Tagesjob wird es ab etwa einer halben Million Abonnenten.

Wie viel Prozent der Künstler betrifft das?

Sebastian: In Deutschland gibt es aktuell etwas mehr als 100 Creator mit mehr als 500.000 Abonnenten, davon haben wir etwa 30 unter Vertrag.

Also wird nur etwa jeder Millionste Deutsche ein erfolgreicher Creator. Das ist ja sehr überschaubar.

Sebastian: Das stimmt, aber es kommen immer mehr dazu. Mittlerweile ist es ja teilweise sogar zum Berufswunsch junger Menschen geworden, Creator beziehungsweise Influencer zu werden.
(Beide lachen)

Wieso lacht Ihr? Kommt Euch dieser Trend nicht entgegen?

Ronald: Wenn mein Kind Creator werden wollte, dann würde ich entgegnen: Künstler ist kein Beruf, den man lernen sollte. Man sollte etwas lernen und die künstlerische Begabung nebenbei ausleben. Und wenn sich das dann zum Beruf entwickelt, ist das super. Das empfehlen wir auch unseren Creatorn, dass sie ihren Beruf, ihre Ausbildung oder ihr Studium nicht aufgeben sollen, wenn sie im Onlinebereich plötzlich erfolgreich sind. Denn der Erfolg ist meist nicht für ewig.

Woher kommt dann der Glaube, dass jeder ein erfolgreicher YouTuber werden kann?

Sebastian: Über das Netz hat jeder die Möglichkeit, entdeckt zu werden, ohne an Castings teilnehmen zu müssen oder einen Manager zu haben. Das macht es spannend für jeden, das einfach mal auszuprobieren. Es reicht ja schon, ein iPhone oder eine Webcam zu haben. Und wenn es funktioniert, braucht man kaum Investment, sondern nur das pure Talent, Authentizität und die Sympathien der Zuschauer. Das ist eine spannende Entwicklung, die es im TV-, Film- und Musikbereich in dieser Form nicht gab. Das hat erst das Netz ermöglicht. Und da unter der jungen Zielgruppe jeder die großen Influencer kennt, entsteht auch schneller der Gedanke, das selbst auszuprobieren.

Ronald: Es gibt die Wahrnehmung, dass es jeder kann, aber kaum jemand traut es sich überhaupt zu, eine Geschichte vor laufender Kamera zu erzählen. Und es hört ja beim Upload eines Videos nicht auf. Hinzu kommt noch das Community-Management, das unglaublich viel Zeit kostet.

Aber gibt es vielleicht eine Erfolgsformel, mit der jeder zum YouTube-Star werden kann?

Sebastian: An dieser Weltformel arbeiten wir (lacht).

Ronald: Es gibt bei jedem Kanal drei W-Fragen: Wer macht es? Was macht diese Person? Und wann? Der Kanal braucht also ein Gesicht. Es muss inhaltlich klar sein, was auf dem Kanal passiert. Und es muss eine Regelmäßigkeit in der Veröffentlichung geben. Ein Video pro Woche ist das Minimum, damit der Kanal lebendig wirkt. Deshalb sind die meisten jungen Talente, die wir hier haben, überdurchschnittlich perfektionistisch, überdurchschnittlich ehrgeizig und haben eine enorme Leidenschaft für das, was sie tun. Es gibt 16-jährige Mädchen, bei denen noch nie ein Video ausgefallen ist. Und wenn sie in den Urlaub fahren, dann produzieren sie vor. Das macht den Erfolg aus.

Warum ist das „wann“ so relevant? Verliert die feste Sendezeit im Internet nicht an Bedeutung?

Ronald: Das wurden wir am Anfang oft gefragt, als wir Live-Sendungen mit Creators eingeführt haben. Damals glaubte man, dass es nicht funktionieren würde, da sich die User die Videos anschauen, wann sie es wollen. Fakt ist jedoch, dass die Kommunikation über den Upload-Zeitpunkt wahnsinnig wichtig ist. In unseren Analytics-Tools sehen wir immer einen Traffic-Peak zu genau diesen kommunizierten Uhrzeiten. Ähnlich wie bei The Voice of Germany oder Germany´s Next Topmodel, die ja auch immer zu gleichen Zeit im TV beginnen, wollen auch unsere Nutzer das Video immer als erste sehen, allein schon um mitreden zu können. Sie warten dann wirklich zu diesen Uhrzeiten auf die neueste Folge.

Ihr verlasst jetzt nach vier Jahren das Unternehmen, das Ihr gestartet habt – was sind Eure Pläne für die nähere Zukunft?

Ronald: Uns macht es großen Spaß, neue Dinge aufzubauen und in einem sehr dynamischen Umfeld zu arbeiten. Deshalb denken wir intensiv über neue unternehmerische Ideen nach. Das wird sicher etwas im Digitalbereich sein, mehr können wir aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.

Und wenn Ihr auf die vergangenen Jahre zurückblickt, was ist aus Eurer Sicht aus Studio71 geworden?

Sebastian: Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, als wir vor vier Jahren die leeren Büros vom Vermieter entgegengenommen haben. Heute sind wir eine globale Company mit mehr als 200 Mitarbeitern in zehn Büros, darunter Los Angeles, New York, London, Paris und Mailand. Mit fast sieben Milliarden Video Views sind wir derzeit die Nummer drei weltweit, in Deutschland sind wir Marktführer und für viele der größten Influencer-Marketing-Kampagnen verantwortlich.

Bild: Georg Räth/Gründerszene