Die Wirtschaft braucht viel mehr Mathematiker

Wir kennen die TED-Talks als eine Art intellektuelle Druckbetankung in den Disziplinen Wirtschaft, Wissenschaft, digitale Revolution und Zukunftsvisionen. Ideen, die es verdienen, dass sie sich verteilen, heißt das Motto. Dabei treten Sprecher auf, die ihre Erkenntnisse in ein paar Minuten auf den Punkt bringen und zum Teil brillant vortragen können. Die Vorträge dauern nur selten länger als 10 Minuten und schon steht das nächste Thema an. Im Berliner Kosmos an der Karl-Marx-Straße ging es am Dienstag vor allem darum, wie Technologie die Wirtschaft und unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren verändern wird. Ein weites Feld.

Der Veranstalter Boston Consulting Group, der mit TED kooperiert, konnte sich über ungefähr 500 Zuhörer freuen, die konzentriert den Vorträgen folgten. Die Themen reichten von Datenanalyse, sicheren Zahlungssystemen, Konzernstrategie in Zeiten der Digitalisierung bis zu Lösungen von Problemen der Megacities oder der ungewissen Zukunft der Werbebranche. Auf der Bühne standen mehr als 20 Sprecher. Das ging Schlag auf Schlag. Nur selten wurden aus Langeweile die Smartphones gezückt.

Eben noch mussten sich die versammelten Manager von Martin Reeves, einem BCG-Strategen aus New York, anhören, dass es in unseren sich schnell ändernden, digitalen Marktumfeldern eigentlich keine einzig gültige Strategie mehr gibt. Dann steht schon Rochelle King vom Musikstreamer Spotify auf der Bühne und erklärt, wie Produktdesign und Datenanalyse verzahnt werden müssen. Für die Auskenner in der digitalen Szene mag es wie eine Binsenweisheit klingen, doch es soll in der sogenannten Old-Economy noch Firmen geben, für die es völlig neu ist: Das besondere an digitalen Produkten ist, dass sie haufenweise Daten produzieren, die dann vom Hersteller genutzt werden sollten, um das Produkt den Kunden und Marktverhältnissen anzupassen.

Dabei geht es nicht um den aufwändigen, vierteljährlichen Produkttest, der sich dann irgendwann in der nächsten Entwicklungsstufe niederschlägt. Digitale Produkte müssen jeden Tag weiterentwickelt und konstant verbessert werden. Die Art und Weise, wie Kunden die Produkte nutzen, zeigt den Firmen sofort, was sie als nächstes tun müssen, um noch erfolgreicher zu werden. Dazu brauchen sie allerdings Angestellte, die Daten lesen und die Lehren daraus ziehen können. Stolz verwies Rochelle auf das neue, dunklere Design von Spotify, das für einen höheren Musikkonsum der User sorgte.

Dann ging es um die Probleme der Werbebranche. Auf ziemlich eindeutigen Charts verglich BCG-Managerin Kristi Rogers die wirtschaftlichen Entwicklungen des Bankensektors und der Werbung. Um es kurz zu machen: Die Werbebranche sieht im Vergleich nicht sehr gut aus. Eine einfache Erklärung von Rogers folgte: Banken beschäftigen Mathematiker und Wissenschaftler, die Werbebranche nicht. In unseren digitalen Zeiten sei alles Mathematik, so die ehemalige Finanzchefin von Philips. Na ja. Fast alles. Algorithmen können uns nicht das ganze Geschäft abnehmen. Es brauche immer noch Menschen, die nachjustieren können, um sinnvolle Ergebnisse zu erhalten. Gut, dass dieser Umstand mal auf einer großen Bühne erwähnt wurde. In zahlreichen Feuilletonartikeln lesen wir ja gerade von der großen Angst, dass Algorithmen den Menschen überflüssig machen.

Dann verriet Rogers, wie Werbung in Zukunft aussehen wird. Schon in wenigen Jahren würden uns die Bildschirme direkt und persönlich ansprechen. Das soll sich wie ein persönlicher Blog oder ein personalisiertes Magazin anfühlen. Bis dahin sei es noch ein weiter Weg. Aber bereits in vier bis fünf Jahren soll es so weit sein.

Anschließend verriet uns BCG-Managerin Antonella Mei-Pochtler, wie wir in Zukunft unlösbare Probleme lösen. So war ihr Vortrag zumindest angekündigt. Dabei ging es ihr vor allem um Megacities mit mehr als 10 Millionen Einwohnern. Das Hauptproblem dieser Megastädte sei das Transportproblem, sagte Mei-Pochtler. Dann präsentierte sie einen Lösungsansatz, der deutsche Datenschützer in Sekundenbruchteilen auf die Barrikaden treiben würde. Die Verkehrsströme dieser Städte sollen sich in Zukunft an die realen Bewegungsströme der Bewohner anpassen. Diese werden einfach per Handydaten erhoben. In afrikanischen Städten werde das bereits so gemacht, erzählte Mei-Pochter. Ziemlich erfolgreich. „Wir müssen unsere Datenhysterie aufgeben, um Probleme zu lösen“, so Mei-Pochter. Es war wirklich erfrischend, einmal über den deutschen Datenschutz-Jägerzaun hinauszuschauen.

Das waren die Inhalte von vier der mehr als  20 Vorträge. Und die Köpfe des Publikums waren ziemlich gut gefüllt. Wer wirklich etwas wissen wollte, konnte bei den TED-Talks mit Gewinn zuhören. Das war konzentrierter Input ohne viel Power-Point- und Zahlenzauber-Voodoo. Meistens war es sehr still und konzentriert im Saal. Ein gutes Zeichen. Das versammelte Management wollte offenbar wirklich wissen, was da auf uns alles zukommt. Und die Referenten hatten einige sehr schlaue Ausblicke und Antworten parat. In den kommenden Tagen sollen die Talks auf Youtube verfügbar sein.

Foto: Frank Schmiechen