Datenschutz Maut Thomas Jarzombek

Daten sind gut. Das muss die Politik endlich einmal klar sagen!

Immer wieder wird in der Politik darüber diskutiert, dass wir mehr Innovation brauchen und mehr für Gründer tun müssen. Doch wenn es zum Schwur kommt, wird häufig gekniffen. Meistens bei einem Thema: Daten.

Oh mein Gott, Daten müssen wirklich etwas ganz schlimmes sein. So hat man den Eindruck, wenn man als Abgeordneter mit manchen Kollegen spricht. Es scheint fast ein pawlowscher Reflex zu sein: „Daten? Um Gottes Willen, wir wollen doch jetzt unser schönes Vorhaben nicht durch eine Datendiskussion in Gefahr bringen.“ Da sage ich: Doch. Daten sind nicht böse. Daten helfen uns. Sie sind der Treibstoff der Ökonomie 2.0.

Wie weit die Datenparanoia in Regierungskreisen geht, kann man an einem konkreten Beispiel sehr schön verdeutlichen: Der LKW-Maut. Mit Problemen gestartet, so ist Toll Collect heute ein erfolgreiches System, das bei 600.000 LKWs mit On-Board-Units zuverlässig über vier Milliarden Mauteinnahmen jedes Jahr generiert.

Diese 600.000 Onboard-Units liefern dabei faszinierende Daten, sind sie doch alle mit einer Mobilfunkschnittstelle und einem GPS-Modul ausgestattet. Wer einmal bei Toll Collect in der Firmenzentrale war, der kann detaillierte Verkehrsflussdaten von allen deutschen Autobahnen sehen. Daten, mit denen die Verkehrsplanung sehr viel effizienter würde. Daten, mit denen man Google Konkurrenz bei Verkehrsflussdaten machen könnte. Die Ironie: Stattdessen wird selbst im Verkehrsministerium gerne auf Daten von Google zurückgegriffen.

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Doch die Sache hat einen Haken. Laut Gesetz dürfen diese Daten seit über zehn Jahren nur für eines genutzt werden: Für Geschäftsstatistiken. Ein Witz. Doch die Angst vor den Datenschützern macht Politik manchmal schier ohnmächtig. Woran wir im Übrigen selbst eine Mitschuld tragen. Statt eine offensive Diskussion über den Nutzen solcher Daten für Verkehrsforschung und –steuerung zu führen, hat alle Jahre wieder ein Innenpolitiker die Rückverfolgbarkeit für den einzelnen Fahrer gefordert zur Verbrechensbekämpfung.

Natürlich hat das reflexartig dazu geführt, dass alle Datenschützer und Bürgerrechtler Deutschlands auf die Barrikaden gegangen sind. Ergebnis nach über zehn Jahren: siehe oben. Geschäftsstatistik.
Wir müssen endlich als Politik den Mut aufbringen, FÜR die Nutzung von Daten einzutreten. Und zwar von solchen Daten, die der Gemeinschaft nutzen. Die unsere Wohlfahrt steigern. Und wir müssen das erklären; an vielen konkreten Beispielen.

Dabei ist eines aber nicht zu verhandeln: Diese Daten müssen helfen und dürfen nicht schaden. Es darf keine Rückverfolgbarkeit auf den Einzelnen Nutzer geben. Nur so werden Daten zu guten Daten.

Jetzt muss gehandelt werden. Konkret: Wir brauchen ein Gesetz, um öffentliche Daten in vielen Bereichen zu aggregieren und zur Wohlfahrtssteigerung der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Und damit auch für Gründer, die auf der Vielzahl von Verkehrs-, Gesundheits- oder anderen Daten innovative Produkte und Dienstleistungen im Internet entwickeln können.

Bei den LKW-Mautdaten machen wir jetzt den Anfang. Denn nach harten Diskussionen hat der Bundestag im März beschlossen, bei der nächsten Gesetzesnovelle des Mautgesetzes diese Daten endlich nutzbar zu machen, für Verkehrsforschung und Verkehrssteuerung. In anonymisierter Form und in Zusammenarbeit mit den Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern. Als gute Daten eben.

Bitte wenden – hier geht es weiter: Datenschutz als Ideologie
verhindert eine sinnvolle Weiterentwicklung!

Bild: © panthermedia.net / Viktor Cap

Datenschutz als Ideologie verhindert eine sinnvolle Weiterentwicklung!

Als der Münchner Olympiapark angelegt wurde, hat man darauf verzichtet, feste Wege anzulegen. Die Parkbesucher sollten ihre eigenen Wege finden, die dann nachträglich befestigt wurden. In der digitalen Gesundheit haben wir es versäumt, frühzeitig Wege zu bauen. Entwickler, Patienten und Ärzte suchen sich ihre eigenen. Das Angebot an Gesundheits-Apps entwickelt sich rasant weiter, Apple und Co. investieren bewusst Milliarden in den stark wachsenden Markt. Es ist gut, wenn Kreativität ohne Grenzen zu einer besseren Versorgung von Patienten führt und dabei hilft, Kosten zu sparen.

Aber während nicht zum digitalen Zeitalter passende Regulierung in Deutschland Entwicklungen verhindert, bleibt bei Google & Co. der Datenschutz ziemlich auf der Strecke – der gläserne Patient wird dadurch viel schneller real als von den deutschen Kritikern der elektronischen Gesundheitskarte immer befürchtet. Und zwar ganz ohne Zutun der Politik, Ärzte oder Krankenkassen. Sondern alleine deshalb, weil die Vorteile für die Nutzer – die Patienten – aus deren Sicht überwiegen. Sie tun es einfach, während die Funktionäre noch diskutieren. Das nennt man wohl Abstimmung mit dem iPhone.

Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert – auch im Gesundheitswesen. Die Telematik war vor zehn Jahren als größtes IT-Projekt Europas wirklich visionär – und wird bei der voraussichtlichen Einführung im Jahr 2016 fast schon von der Realität überholt sein. Klar ist: Sie wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Entwickler von Gesundheits-Apps oder von diagnostischen und therapeutischen Innovationen diese Infrastruktur einfach nutzen können. Denn davon hängt es ab, ob Patientendaten wirklich sicher unterwegs sind. Während wir uns darüber streiten, ob eine Milliarde Euro, die bisher in die Telematik geflossen sind, viel oder wenig sind, investiert etwa Dänemark bei jedem Klinikneubau 15 bis 20 Prozent in IT, in Deutschland liegen wir gerade bei 1,5 bis zwei Prozent. Damit verzichten wir auf die Chance einer besseren, weil vernetzteren Medizin und Gesundheitsversorgung.

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Hinter jedem Angebot sitzen fähige Mediziner, die ihre Erfahrung und Kompetenz anders als bisher zugänglich machen. Der Arzt oder das persönliche Gespräch wird nie ersetzt werden können. Bei komplexen Fällen wird die Anamnese und Indikationsstellung sogar deutlich verbessert: Das Biotech-Startup Molecular Health macht es vor. Krankengeschichte und Genomdaten von Krebspatienten werden mit Millionen anderer Krankengeschichten und Fachliteratur im Netz abgeglichen. Am Ende steht eine individuelle Behandlungsempfehlung für den Arzt. Ein Mehrwert für den Arzt? Ja, weil er auf Erfahrungen tausender zurückgreifen kann. Würde sich ein Krebspatient um seine Daten sorgen, wenn seine Heilungschancen steigen? Nein. Bezahlt die Krankenkasse ein Angebot, dass ihr möglicherweise hunderttausende Euros an Behandlungskosten spart? Klar.

Datenschutz ist wichtig. Er wird aber zur Ideologie wo er sinnvolle Weiterentwicklung verhindert, weil vorhandene Daten nicht miteinander vernetzt werden dürfen und so Fortschritte bei der Behandlung verhindert werden. Etwas zugespitzt: Datenschutz ist nur was für Gesunde. Die EU hat in ihrem Grünbuch über mobile Gesundheitsdienste im vergangenen Jahr bereits 97.000 Health-Apps verzeichnet. Die meisten davon werden nicht bei uns erfunden.

Dass muss aber unser Ziel sein. Deutschland hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Über 250 Milliarden Euro werden da im Jahr umgesetzt. Kapitalkraft und Potential zur effizienteren Nutzung sind da. Wenn wir auch in 20 Jahren noch vorne dabei sein wollen, müssen wir heute die Innovationskraft, die internetbasierte Angebote haben, zulassen. Sonst werden wir unseren Standard in einer Zeit, in der wir älter und weniger werden und es immer schwieriger werden wird, Ärzte auch aufs Land zu bringen, nicht halten können.

Und wenn wir wollen, dass diese gigantische Umwälzung auch mit deutschen Ideen, deutschem Erfindergeist und deutscher Wertschöpfung stattfindet, sollten wir endlich klug regulieren und Anreize setzen. Das ist die Entwicklung eines ganz neuen Wirtschaftszweiges von mobiler Diagnose und Behandlung: Telerehabilitation nach einem Schlaganfall, umfangreiche Diagnostik mit einem Tropfen Blut, Diabetesmanagement per Online-Kontrolle, Schwangerschaftsvorsorge per App bis hin zu Roboterassistenten für Pflege und Reha zu Hause. Das ist alles keine Zukunftsmusik, selbst Organe werden wohl schon in den nächsten Jahren per 3D-Drucker hergestellt werden können!

Die Telematik-Infrastruktur wird unser Wettbewerbsvorteil sein. Sensible Patientendaten lagern nicht auf irgendwelchen Servern, sondern sicher unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte. Das kann ein neuer deutscher Exportschlager werden, ebenso wie eine kluge Regulierung des Marktes. Deshalb muss die Telematik-Autobahn endlich asphaltiert und freigegeben und Standards für einen klugen Datenschutz eingezogen werden. Sonst findet am Ende die Wertschöpfung wieder im Silicon Valley statt. Und zwar ganz ohne Datenschutz.

Bild: © panthermedia.net / Andriy Popov