Das Hamburger Startup Tinnitracks hat es nicht nur als einziges deutsches Startup in das offizielle Accelerator-Programm der SXSW-Konferenz in Austin, Texas, geschafft – es ist auch das erste deutsche Startup seit vier Jahren. Zuletzt war im Jahr 2011 mit Algoriddim ein deutsches Unternehmen so prominent bei der Konferenz vertreten. Und nun haben die Hamburger auch noch den ersten Platz in ihrem Bereich – Digital Health and Life Sciences Technologies – geholt.

Tinnitracks ist ein patentiertes Medizinprodukt zur Behandlung von Tinnitus. Betroffene hören einen Ton, der im Gehirn von geschädigten Nervenzellen erzeugt wird, den also nur sie hören. Das Ziel von Tinnitracks ist, die Lautstärke dieses Tons zu reduzieren – mithilfe der eigenen Lieblingsmusik.

Dazu muss zunächst die Tinnitus-Frequenz des Betroffenen bei einem HNO-Arzt oder Hörakustiker ermittelt werden. Dann prüft Tinnitracks, ob die ausgewählte Musik für die Therapie geeignet ist. Anschließend werden die einzelnen Musikstücke so aufbereitet, dass die Frequenz des eigenen Tinnitus-Tons herausgefiltert wird. Damit eine Linderung möglich ist, sollten die Patienten der derart aufbereiteten Musik mindestens 90 Minuten am Tag lauschen.

Hinter Tinnitracks steht die Sonormed GmbH, die 2012 von Jörg Land, Matthias Lanz und Adrian Nötzel gegründet wurde. Wir haben Matthias Lanz über den SXSW-Gründerpreis, das gefühl des Sieges und Hamburger Understatement gesprochen.

Glückwunsch zum SXSW-Preis, Matthias. Warum ist mit Deinem Mitgründer Jörg eigentlich nur einer von Euch drei Gründern nach Texas geflogen?

Wir wären gerne alle drei gefahren, aber wir sind hier gerade mitten in der Entwicklung – konnten es uns also schlicht nicht leisten, für eine Woche weg zu sein. Adrian ist Leiter der Produktentwicklung und ich bin Technik-Leiter – deshalb durfte Jörg als unser Mann für Vertrieb und Marketing nach Austin.

Was glaubst Du, war er sehr aufgeregt?

Nee, ich glaube, das ging eigentlich. Inzwischen haben wir beim Pitchen alle eine gewisse Routine. Aber sonst präsentieren wir uns auch eher vor Fachpublikum. Es ist also wohl doch noch mal etwas anderes, auf so einer riesigen Bühne mit internationalem Publikum und Jury zu stehen, als sich vor einer kleineren Gruppe in der Heimatstadt zu präsentieren. Und die SXSW ist ja eher etwas, wo man sich sehr laut gibt. Wir sehen uns eher als eine Art Hamburger Understatement-Unternehmen mit leiseren Tönen. Aber Jörg hat das ja gut hinbekommen.

Eigentlich wolltet Ihr Euch ja gar nicht bewerben – gerade weil Ihr so im Entwicklungsstress seid. Und nun habt Ihr den ersten Platz geholt. Wie hast Du Dich gefühlt, als Du die Nachricht bekommen hast?

Ehrlich gesagt war das heute Morgen eine ziemliche Überraschung – durch die Zeitverschiebung habe ich das nämlich verschlafen. Aber ich bin extra dafür früher aufgestanden und habe die News gecheckt. Momentan bin ich noch ein bisschen geplättet. Noch kann ich die Reichweite dieses Preises gar nicht erfassen und auch nicht, was sich da noch an neuen Möglichkeiten für uns eröffnen wird.

Die SXSW hat schon einigen Startups zu großer Bekanntheit verholfen, Twitter zum Beispiel. Habt Ihr auch so große Ambitionen?

Also eine solche Reichweite wie Twitter zu bekommen, wäre wohl etwas hoch gegriffen. Wir sind ja ein Medizinprodukt für eine bestimmte Zielgruppe. In Deutschland zum Beispiel sind es 3,5 Millionen Menschen, die von Tinnitus betroffen sind. Aber natürlich ist es unser Ziel, mehr Menschen aus dieser Gruppe zu erreichen und ihnen zu helfen, ihren Tinnitus zu lindern.

Woran liegt es, dass Ihr gerade so viel Aufmerksamkeit bekommt? Neben dem SXSW-Gründerpreis habt Ihr ja schon etliche weitere Auszeichnungen erhalten.

Das liegt auf jeden Fall auch daran, dass wir ein Startup im Bereich Medizintechnologie beziehungsweise Digital Health sind. Gerade gibt es ja einfach diesen enormen Trend, dass man sich von Geräten unterstützen lässt, gesund zu bleiben. Wir grenzen uns davon allerdings etwas ab, denn wir machen ja kein Tracking, sondern wir bieten eine Therapieoption.

Ist Deutschland als Standort für Medizintechnologie-Startups denn überhaupt gut geeignet? Die Gesetzeslage gilt hier als schwierig.

Gute Frage. Regularien sind hier tatsächlich ein großes Thema – wir sind den EU-Regulatorien unterworfen. Es kostet uns viel Entwicklungsaufwand, diese hohen Ansprüche zu erfüllen. Allerdings ist das auch in den USA so. Dort ist es die FDA und die ist auch nicht gerade zimperlich. Der Vorteil für uns hier ist, dass wir dann auch relativ schnell in weitere EU-Länder gehen könnten.

Du hast jetzt mehrfach den aktuellen Entwicklungsstress bei euch angesprochen. Was genau macht Ihr denn derzeit? Euer Produkt ist doch fertig, oder?

Wir haben die Tinnitracks-Technologie schrittweise ausgerollt und dabei viel gelernt. Zum einen, dass die Technologie funktioniert, aber auch, dass wir die Darreichung verbessern können. Daran arbeiten wir. Bald wird es eine eigene App geben, vorher hatten wir ein reines Web-Modell. Da haben unsere Patienten 539 Euro für eine Jahres-Flatrate bezahlt. Sie konnten dafür so viele aufbereitete MP3s bekommen, wie sie wollten. Allerdings ist der Preis eine Hürde. Mit der App wird dann ermöglicht, dass unser Produkt zunächst mal 14 Tage lang kostenlos getestet werden kann. Und dann bezahlt der Nutzer für die Nutzung der App monatlich 19 Euro. Die aufbereitete Musik hört er dann also über die App, außerdem hat eine solche Anwendung den Vorteil, dass nachvollzogen werden kann, wie oft und wie lange die Musik gehört wird. Die App kann also auch Auswertungen vornehmen und Empfehlungen geben. Das ist neu.

Matthias, danke für das spontane Gespräch!

Bild: Sonormed