Tobias Kollmann

Tobias Kollmann: Investor, Professor, Startup-Lobbyist

Dieser Mann hat in der deutschen Startup-Welt eine wahrscheinlich einzigartige Rollenfülle: Tobias Kollmann forscht als BWL-Professor zu Startups, als Business Angel investiert er in Jungunternehmen, als Mitglied des Beirats „Junge Digitale Wirtschaft“ betreibt er Lobbying für die Gründerszene. Seit vergangenem Jahr ist Kollmann Vorsitzender des Gremiums. Was er sich für die Gründerszene wünscht, wozu er aktuell forscht und wie er die Rollen zusammenbringt, erklärt Tobias Kollmann im Interview.

Sie sind Professor für E-Business und E-Entrepreneurship. Klingt ganz schön kompliziert. Warum nennen Sie sich nicht einfach: Startup-Professor?

Tja, das passt wohl nicht so in den theoretischen Kontext einer etablierten Universität. Den ersten allgemeinen Lehrstuhl für Entrepreneurship gibt es erst seit 1998, meine Spezialisierung auf E-Entrepreneurship, also die Unternehmensgründung in und für die Net Economy, erst seit 2001. Und um dieses Fachgebiet zu etablieren, müssen wir intensiv forschen und hochwertig publizieren, brauchen zudem ein gutes Lehrprogramm – aber keinen Modebegriff. „Lehrstuhl für Internet-Startups“ – das hätten meine Kollegen damals wahrscheinlich nie und nimmer mitgemacht.

Empfinden Sie sich manchmal als Außenseiter unter den Professoren?

Eher als Outpacer zwischen Theorie und Praxis. Mir sind unsere Artikel in den amerikanischen A-Journals genau so wichtig wie die Unterstützung eines Gründungsvorhabens meiner Studenten. Das führt aber oftmals zu einem Schubladendenken. Für die Leute aus der Praxis bin ich dann der Theoretiker. Für meine Kollegen an der Hochschule bin ich oft der Praktiker. Kein einfacher Spagat! Entrepreneurship ist für viele Forscher bisher bestenfalls eine angewandte Wissenschaft. Da müssen wir uns ebenso beweisen wie bei dem Transfer von Wissen in Gründungen. Und nicht jeder Kollege findet es toll, wenn man einen Businessplan als Abschlussarbeit anerkennt.

Das geht bei Ihnen?

Das geht. Muss es auch, wenn man die Studenten nicht nur auf das Angestelltenwesen vorbereiten will.

Wollen die meisten Ihrer Studenten gründen?

Nein. Müssen sie auch nicht. Wichtig ist, überhaupt mal mit der Idee einer Unternehmensgründung in Verbindung zu kommen. Von den 200 Studenten, die ich im Spezialkurs E-Entrepreneurship habe, werden letztlich nur 10 bis 20 Prozent ernsthaft über eine Gründung nachdenken. Der Rest wird aber zumindest für die Perspektive sensibilisiert sein. Ich glaube zudem, dass die Entrepreneurship-Skills zunehmend auch im normalen Angestelltenleben notwendig sind.

Was forscht ein Startup-Professor? Welchen Fragestellungen gehen Sie derzeit nach?

Wir fragen uns zum Beispiel: Warum haben eigentlich Informatiker meistens weniger Anteile am Unternehmen als BWLer? Da kommt man schnell zu Themen wie Kompetenzen, Zielsystemen, Persönlichkeit oder gegenseitiger Wertschätzung. Wir haben versucht, mit den entsprechenden Modellen zu erklären, wie die beiden Gruppen sich im Team sehen und was das für Auswirkungen auf Rollen und die allgemeine Zufriedenheit mit den jeweiligen Positionen, auf Anteile oder Vergütung hat.

Ein anderes Beispiel ist das Thema „Narzissmus im Gründerteam“. Man sagt ja oft: Der CEO muss ’ne Rampensau sein. Wir sehen hier oft eine starke Verbindung zum Narzissmus. Aber wie viel Narzissmus verträgt eigentlich so ein Startup – besonders, wenn mehr als eine Person davon betroffen ist? Kommt es da zu Spannungen oder Reibungen? Könnte das dazu führen, dass das Startup scheitert? Das sind spannende Fragestellungen, die auch über das hinausgehen, was wir normalerweise immer gefragt wurden: Was sind die Erfolgsfaktoren für Startups? Da sind wir aber mehr oder weniger durch. Wir wenden uns jetzt deutlich komplexeren Fragestellungen zu.

Sie haben ein Doppelrolle: Sie forschen und lehren und agieren gleichzeitig innerhalb der Szene, als Investor. Befruchten sich die beiden Rollen? Und gibt es Interessenskonflikte?

Noch ein persönlicher Spagat, der teilweise wehtut. Und zwar weil auf der Investmentseite sich die Spezialisten deutlich intensiver um ihre Deal-Pipeline und die bestehenden Investments kümmern können. Wenn ich im Hörsaal stehe, kann ich das nicht. Auf der anderen Seite ist es manchmal schwer, vom Hands-On-Investment in komplexe theoretische Zusammenhänge zu wechseln. Trotzdem halte ich auch diesen Spagat für ein positives Alleinstellungsmerkmal. Denn meine Glaubwürdigkeit im Hörsaal ziehe ich auch daraus, dass ich die Praxis kenne. Und umgekehrt „missbrauche“ ich meine Investments auch mal für empirische Projekte, lasse die Gründer zum Beispiel Fragebogen ausfüllen.

Sie gehörten Ende 1990er zu den Gründern von Autoscout24. Haben Sie dabei auch etwas gelernt, dass Sie für Ihr Arbeit, für die Theorie nutzen können?

Absolut. Man sollte Chancen erkennen und wahrnehmen. Für mich war das damals überhaupt nicht geplant, auf einmal zum Internet-Gründer zu werden. Aber die Chance hat sich ergeben, und ich habe sie genutzt. In der Theorie wird das „Opportunity Recognition“ genannt. Das kann man aber erst wirklich verstehen, wenn man es selbst erlebt hat! Theoretische Instrumente sind zwar hilfreich, aber man braucht eben auch eine konkrete Erfahrung: Da tut sich jetzt eine Tür auf, durch die man gehen sollte, weil es eine Riesenchance bedeuten könnte. Natürlich kann es auch nicht funktionieren. Aber wer es nicht ausprobiert, wird nie wissen, ob es eine Chance war oder nicht.

Sie sind seit 2013 auch Vorsitzender des Beirats „Junge Digitale Wirtschaft“, der das Bundeswirtschaftsministerium berät. Was sind für Sie derzeit die drängendsten Themen für die Startupszene?

Ich sehe zurzeit drei große Themen: Wir müssen Deutschlands digitale Wettbewerbsfähigkeit zum Thema machen, wir müssen die digitale Innovationsfähigkeit unterstützen und die Synergien zwischen Startups und klassischen KMUs beziehungsweise Konzernen für die digitale Wirtschaft betonen. Daraus ergeben sich für mich eine Reihe ganz konkreter Wünsche: Wir brauchen an den Schulen ein allgemeines Unterrichtsfach „Medien“, um reale und digitale Kompetenzen in diesem Bereich aufzubauen. An Hochschulen mit der Fächerkombination von BWL und Informatik beziehungsweise Wirtschaftsinformatik müssen wir E-Business und E-Entrepreneurship fest im Curriculum verankern. Das sind die mittel- bis langfristigen Maßnahmen, die notwendig sind, um ein Grundrauschen für die digitale Gesellschaft und die nächste Generation von Gründern in der Net Economy zu gewährleisten.

Und kurzfristig?

Kurzfristig brauchen wir zudem eine positive Willkommenskultur für ausländische Fachkräfte und Gründer – dazu gehören auch weniger Bürokratie, mehr finanzielle Anreize und einfachere Steuergesetze und Regeln. Warum versuchen wir immer unsere talentierten Gründer ins Valley zu bringen und nicht einmal die Gründer aus anderen Regionen nach Deutschland? Außerdem ist ein Anreizsystem für Startup-Investments notwendig. Der Enterprise Investment Scheme aus Großbritannien könnte da ein Vorbild sein. Und wir brauchen viel mehr Wachstumskapital, zum Beispiel durch einen großen nationalen Wachstumsfonds nach dem Vorbild des High-Tech Gründerfonds oder durch ein funktionierendes Börsensegment.

Hinter uns liegen vier Jahre schwarz-gelber Regierung. Eigentlich dürfte es eine bessere Konstellation für unternehmerfreundliche Politik in Deutschland kaum geben. Warum müssen wir trotzdem noch so viele Forderungen stellen?

Wer nichts fordert, kriegt auch nichts. Und ich glaube, wir sind noch nicht das Gründerland, in dem alle Rahmenbedingungen stimmen. Es gibt immer noch eine Menge zu tun. Ich bin aber sehr zuversichtlich, was den neuen Wirtschaftsminister angeht. Denn die gesamte Wirtschaft steht vor der Herausforderung der digitalen Transformation. Damit sind immer auch Arbeitsplätze verbunden, die besonders in Startups entstehen. Das ist auch ein Argument für eine sozialdemokratische Partei und ein dankbares Thema für Herrn Gabriel.

Obwohl sich der Wirtschaftsminister das Thema mit gleich zwei weiteren Ministern teilen muss.

Ja, aber das würde ich eher positiv sehen. Vor nicht allzu langer Zeit hat sich noch gar keiner darum gekümmert. Wir haben eine eindeutig bessere Situation als noch vor vier Jahren. Bei der nächsten Wahl können wir dann nochmal diskutieren, ob nicht ein eigenes Internetministerium Sinn ergibt. Aus meiner Sicht tut es das.

Bild: Gründerszene