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Vom Bastler zum Gründer: Niu-Chef Token Hu

Der chinesische Elektroroller-Anbieter Niu hat vorgelegt: Mit international mehr als 300.000 verkauften Scootern seit dem Start im Jahr 2015 und einer ambitionierten Wachstumsstrategie sieht Gründer Token Hu sein Unternehmen gut gegenüber den Wettbewerbern positioniert. Die allerdings schlafen nicht: Der E-Roller-Hersteller Gogoro aus Taiwan hat gerade eine Finanzierungsrunde über 300 Millionen Dollar abgeschlossen. In Deutschland kennt man die Fahrzeuge des Unternehmens vor allem vom Leihservice des Bosch-Startups Coup. 

Einer von Nius Erfolgsfaktoren: Per Crowdfunding hat Niu im riesigen Heimatmarkt China früh große Zahlen an E-Rollern verkaufen können. Seitdem kommt das Unternehmen mit einer vergleichbar schmalen Finanzierung von 20 Millionen Dollar aus. Im Interview erklärt der Gründer, warum der Standort China trotzdem ein Nachteil für das Unternehmen ist. Und wieso die Autohersteller trotz ihrer Bemühungen in Sachen Sharing, Pooling, Elektroantrieb und autonomes Fahren die Verkehrsprobleme in den Städten nur wenig verbessern können. 

Token, wie fing für Dich das mit dem Elektroroller alles an?

Ich fahre wahnsinnig gerne große Motorräder, das ist mein Hobby. Beruflich bin ich Designer. 2010 arbeitete ich bei Frog Design und musste jeden Tag zu meinem Arbeitsplatz in Shanghai fahren. Das waren eigentlich nur vier Kilometer, aber die Fahrt dauerte eine Ewigkeit. Mit dem großen Motorrad konnte ich mich nicht zwischen den Autos durchschlängeln, U-Bahn oder Bus gab es nicht, Fahrrad war samt großem Laptop und Kamera zu riskant. Also habe ich nach einem gut designten Roller mit moderner Technologie gesucht. Den gab es aber nicht.

Also hast Du selbst einen gebaut?

Ja, genau. Das war damals aber ganz schön teuer. Ich habe mir die Teile von fünf oder sechs anderen Scootern zusammengesucht. Allein die Lithium-Batterie hat mich umgerechnet fast 2.000 Euro gekostet. Irgendwann wurde ich an der Ampel von einem BMW-Fahrer gefragt, woher ich meinen Scooter hätte. Das war für mich ein Signal, dass ich vielleicht mehr aus der Idee machen könnte. Aber die Technologie war noch nicht so weit und vor allem die Kosten für die Komponenten waren noch viel zu hoch.

Wie kam es dann doch zur Firma?

Drei Jahre später habe ich mir den Scooter-Markt noch einmal angeschaut. Allerdings hatte sich nichts geändert. Aber die Akkus waren 60 bis 70 Prozent billiger geworden. Dabei waren die Verkehrsprobleme mittlerweile sogar noch größer geworden. Und obwohl elektrische Autos vielleicht beim Umweltproblem helfen können – die Staus in den großen Städten werden sich nicht auflösen. Also habe ich beschlossen, einen gut designten Elektroroller zu bauen.

Du bist aber nicht der einzige Gründer von Niu. Wie kam das Gründerteam zusammen?

In China ist die Startup-Szene noch sehr klein. Und es ist ganz normal, über Investoren und andere Kontakte nach Leuten zu suchen, die den passenden Hintergrund besitzen, um die Firma aufzubauen, die man im Sinn hat. Wie haben auf diesem Weg eine große Bandbreite an Erfahrung zusammengesucht, von Design über Herstellung und Elektrotechnik bis hin zu Finanzen. Das Gründerteam kommt von Unternehmen wie Huawei, Microsoft, Amazon, Xiaomi, BMW, Mercedes oder KKR.

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Schafft 80 Kilometer mit einer Ladung: der Niu-Scooter.

Welches Ziel verfolgt Ihr mit Niu? Es geht ja sicherlich nicht nur darum, den best-designten Elektroroller zu bauen.

Nein, wir betrachten das Verkehrsproblem in den Städten aus Effizienz-Sicht. Wenn man über den Platz nachdenkt, der für städtische Mobilität da ist, merkt man gleich: Zweirädrige Fahrzeuge haben in diesem Punkt einen enormen Vorteil. Zum Vergleich: Heute sitzen in Paris zum Beispiel im Schnitt gerade einmal 1,1 Personen in einem Auto. Das ist sehr ineffizient und verstopft die Straßen.

Die Autohersteller würden argumentieren, dass es immer mehr Carsharing- und Carpooling-Angebote gibt.

Natürlich können die für ein klein wenig Besserung sorgen. Aber das Stau-Problem lösen werden sie nicht. Autos bewältigen nur einen kleinen Teil der städtischen Mobilität. Für längere Strecken sind sicherlich U-Bahnen ein gutes Beförderungsmittel. Aber die Leute wollen ja zu ganz unterschiedlichen Zielen. Um die Straßen abseits der großen Linien mit Leben zu erfüllen, sind Scooter und Fahrräder viel effizienter als andere Fahrzeuge.

Motorroller sind in vielen asiatischen Ländern ja weit verbreitet, hier in Deutschland gibt es eher eine Liebhaberszene. Mit den E-Roller-Diensten finden zwar Elektroroller langsam ihren Platz im Stadtbild – aber nur in einigen Teilen der großen Metropolen. Wie wichtig ist Deutschland als Markt für Euch?

2017, 2018 und 2019 werden für uns sehr lehrreiche Jahre werden. Wir werden und die einzelnen Regionen anschauen. Generell sehen wir einen Markt mit großem Potenzial. Allerdings müssen wir noch herausfinden, wie die passenden Produkte aussehen können, damit man auf zwei Rädern an den Staus vorbeifahren kann, im Stadtinneren und in den Randbezirken. Es ist ein Problem für viele Menschen, dass sie eigentlich keinen besonders weiten Weg zur Arbeit haben, aber mit öffentlichen Verkehrsmitteln unnötig lange unterwegs sind. Besonders die 23 bis 40-Jährigen, die sich darüber verstärkt Gedanken machen, gerade hier in Deutschland, wollen wir mit unserem Elektro-Scooter ansprechen. Alles, was es bislang gibt, passt nicht zu deren Lebensstil.

Wenn es um die Mobilität von morgen geht, wird gerne von elektrisch und autonom gesprochen. Strombetrieben ist der Niu-Roller schon – wird er irgendwann auch autonom fahren?

Möglich wäre das natürlich. Aber man muss sich beim Thema autonomes Fahren ja auch immer fragen, ob das einen Einfluss auf den Verkehr hat. Damit lässt sich zwar das „Dumme-Fahrer-Problem“ lösen, wenn Staus durch Unachtsamkeit verursacht oder in die Länge gezogen werden. An der generellen Situation ändert sich aber nichts. Wenn es vielleicht Carpool-Spuren gibt, kann das etwas helfen. Aber es ist spätestens dann Schluss, wenn Leute an viele unterschiedliche Ziele wollen. Roller sind allein aufgrund ihrer geringen Größe viel flexibler. Hinzu kommt, dass die Entwicklung eines autonomen Rollers sehr teuer wäre – und damit am Ende auch das Produkt.

Sind Daten und Künstliche Intelligenz also gar nicht wichtig für Euch?

Ganz im Gegenteil. Unsere Roller sind mit einer ganzen Reihe an Sensoren ausgestattet und wir sammeln so viele Informationen wie möglich.

Um was damit zu machen?

Wir benutzen sie in erster Linie, um das Produkt zu verbessern. Denkbar wären natürlich auch intelligente Assistenz-Systeme, Stichwort Predictive Driving. Wir warten aber auf den richtigen Zeitpunkt und die richtige Technologie, um das in die Produkte zu integrieren.

Die ersten Roller habt ihr sehr erfolgreich durch Crowdfunding verkauft – wie sieht Euer Vertriebsmodell heute aus?

Derzeit bauen wir ein eigenes Händler-Netzwerk auf. Wir sind zu Beginn des Jahres mit 30 Geschäften gestartet. Jetzt sind es 350, alle nach dem Franchise-Modell – die meisten davon in China. Dort kann man die Produkte ansehen, testen und kaufen. Online bieten wir vor allem Dienstleistungen an. Natürlich kann man auch über die Webseite bestellen und den Roller dann im Laden abholen.

Ist es von Vor- oder von Nachteil ein chinesisches Unternehmen zu sein?

Wir sehen vor allem Nachteile. Das Image chinesischer Produkte in der westlichen Welt ist geprägt von geringer Qualität. Dabei benutzen wir einen deutschen Motor von Bosch und unsere Fabrik war ursprünglich eine deutsche. Allerdings wandelt sich die Wahrnehmung. Vor zehn Jahren hätten wir keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Dank Firmen wie Huawai oder Xiaomi genießen chinesische Tech-Firmen heute ein besseres Image.

Token, vielen Dank für das Gespräch.

Bild: Niu