Tomer Hen ist erst 21 Jahre alt, und dennoch hat er bereits eine Bilderbuchkarriere hinter sich. Mit 16 war er Israels jüngster Selfmade-Millionär, dann betrieb er eine eigene Schule mit mehr als 3.000 Studenten. Doch Hen bleibt nicht lange bei einer Sache: „Ich bin überzeugt, dass ich am Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom leide“, witzelt er. „Ich brauche eine Woche, um mir eine Episode meiner Lieblingsserie im Fernsehen anzuschauen. Ich unterbreche sie ständig, weil mir dauernd etwas anderes einfällt, das ich machen will.“

Und so begnügt sich der junge Unternehmer nicht mit seiner bewährten Cashcow, also dem eigenen College, sondern hat eine neue Firma gegründet. Mit der schickt er sich an, die Telekommunikation in der Dritten Welt grundlegend zu verändern: „In den Entwicklungsländern leben fünf Milliarden Menschen – für mich sind sie alle potentielle Kunden“, meint Hen – und es klingt nicht einmal überheblich.

Vorerst befinden sich die Büros der Firma Mobco noch in bescheidenen Räumen auf Tel Avivs hippem Rothschild-Boulevard. Sie ist Israels Silicon Alley, mit einer einzigartigen Mischung aus alten, Schatten spendenden Maulbeerfeigenbäumen, trendigen Bars, schicken Restaurants, Luxusdomizilen in neuen Glastürmen oder gediegenen Denkmalschutzbauten aus den zwanziger Jahren, und unzähligen kleinen Startup-Unternehmen, deren Gründer davon träumen, sich eines Tages eine Wohnung nebenan leisten zu können.

Diesen Traum hat sich Hen schon vor Jahren erfüllt. Dennoch ist ihm Prahlerei fremd. Er empfängt Kunden in einem markenlosen T-Shirt, kurzen Hosen und Flip-Flops. Teure Uhren sucht man an seinem Handgelenk ebenso erfolglos wie Luxusautos in der Garage. Er ist ein quirliger Twen, der mit seiner Belegschaft in der Economyklasse verreist und einen Kneipenbesuch mit einstigen Klassenkameraden einem exklusiven Auslandsaufenthalt vorzieht.

Sein wichtigster Antrieb ist der Wunsch nach einem „guten Leben, und völliger Unabhängigkeit“, sagt Hen. Seine Karriere begann mit einem unerfüllten Geburtstagswunsch: „Zu meinem 13. Geburtstag wollte ich eine Playstation, aber meine Eltern kauften mir keine.“ Also wollte er sich das Geld dafür selber verdienen: „Wäre ich damals 16 gewesen, hätte ich wahrscheinlich Burger bei McDonald’s gebraten. Aber ich war zu jung, um einen Job zu finden.“ Deswegen googelte er: „Wie verdient man Geld?“ – und stieß auf Ebay. Über die Auktionsplattform verkaufte er seine alten Spielzeuge, und bald vermarktete er vielerlei Artikel im Internet.

Sein täglicher Heimweg von der Schule führte ihn denn auch oft am Postamt vorbei, wo Hen Umschläge mit Salben aus dem heilenden Schlamm des Toten Meers in alle Welt verschickte. Der Erfolg machte richtig Appetit auf mehr: Hen investierte seine gesamten Ersparnisse in Onlinekampagnen und erzielte damit hohe Erträge.

Die ersten Unterrichtsstunden im Kaffeehaus gegeben

In einschlägigen Kreisen wurde der Teenager schnell als Fachmann für Internetwerbung bekannt. Als er 14 war, bat ihn ein 50-Jähriger erstmals um Privatstunden. Nach wenigen Monaten verdiente er mit Nachhilfeunterricht mehr als mit seinen Geschäften im Netz. Statt beim Postamt verbrachte er nun seine Nachmittage in Kaffeehäusern, wo er seine Schüler in die geheimnisvolle Welt des E-Commerce einwies.

Als er für die individuellen Anfragen nicht mehr genug Zeit hatte, entwickelte er ein Kursprogramm, zu dem sich auf Anhieb 120 Menschen einschrieben. Als er 19 Jahre alt wurde, arbeiteten in seinem „College für mobiles Marketing“ bereits rund 20 Angestellte, die jährlich mehr als 3.000 Menschen unterrichteten.

Auch dieser Erfolg langweilte Hen bald. Nun wandte er sich dem Affiliate-Marketing zu, bei dem große Unternehmen bei Partnern Internetkampagnen bestellen und sie am Verkaufserlös beteiligen. Nach nur anderthalb Jahren ist Hens Unternehmen nun die zweitgrößte Affiliate-Marketing-Firma Israels – und eine der größten der Welt.

160 Länder für Werbekunden erschließen…

Doch in Industrieländern ist der Markt eng und die Margen klein geworden. Deswegen hat Hen seine Augen auf die Dritte Welt gerichtet: „Im Gegensatz zur westlichen Welt, wo die meisten Menschen daheim eine Internetverbindung haben, surfen Menschen in Entwicklungsländern hauptsächlich mithilfe ihrer Handys“, erklärt der Unternehmer. Aber dabei stoßen sie schnell an Limits: „Dort gibt es keine Flatrate. Nur wenige können sich zusätzlichen Kredit für Sprechzeit oder Datenpakete leisten.“

Genau hier will Hen mit der App GetAccess ansetzen: Die Firma hat in 160 Ländern bei mobilen Anbietern Sprechzeit eingekauft. Benutzer seiner App können sich diese „verdienen“, indem sie Werbung von Hens Kunden herunterladen. In einfachen Worten: Wer mit seiner Oma telefonieren will, muss einen Werbespot von Coca-Cola auf seine Facebookseite stellen. Wer umsonst surfen möchte, lädt sich eine Werbekampagne auf sein Smartphone.

Zwar ist die Kaufkraft je Kunde geringer als in der westlichen Welt, dafür sei aber die Investition viel effektiver: „In dieser Branche kann man nur Gewinn machen, wenn möglichst viele Klicks sich in einen Kauf verwandeln“, erläutert Hen – wenn Besucher also nicht nur schauen, was ein App bietet, sondern sie auch tatsächlich herunterladen. Im Westen geschehe das gewöhnlich in 0,5 Prozent der Fälle. Doch bei GetAccess sollen die Raten bei rund 60 Prozent liegen – aus Hens Sicht eine Win-Win-Situation: Seine Kunden erhalten Zugang zu einem kaum erschlossenen Markt. Hen erhält für jeden Nutzer, der sich eine Werbung herunterlädt oder bis zum Ende anschaut, eine kleine Provision.

… und das eigene Freiheitsprojekt exportieren

Die Menge macht das ganze lukrativ: „Mein Ziel ist es, fünf Milliarden Menschen mit dem Internet zu verbinden“, sagt Hen. Der junge Mann beteuert aber zugleich, dass er mit seiner Initiative auch ein altruistisches Ziel verfolge: „Meine Karriere begann damit, dass ich anderen Menschen in Internetforen umsonst unter die Arme griff. Das Internet ermöglicht jedem einen unabhängigen Lebensstil. Man kann aufstehen und schlafen gehen, wann man will, arbeiten, wo man will. Und selbstständig werden und nicht mehr von einem Boss abhängig sein.“

Seine App sieht Hen also auch enthusiastisch als Freiheitsprojekt für seine Kunden: „Endlich erhalten auch sie die Gelegenheit, unbegrenzt zu telefonieren oder zu surfen. So können sie an der Informationsrevolution und dem Reichtum, den sie bringt, teilhaben.“

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Welt

Bild: Moran Levy