Twitter

Es war ein Kampf. Fast aussichtslos. Aber ich habe es immer wieder versucht. Wie oft musste ich mir in den Anfangstagen von Twitter von meinen Kollegen und Chefs anhören, dass 140 Zeichen einfach zu wenig seien. Journalismus sei unmöglich auf so einer Plattform. Häme. Unverständnis. Schmähungen. Ich habe das alles ertragen und immer wieder versucht zu erklären, warum diese begrenzte Zeichenzahl ausreicht. Und jetzt das! Twitter fällt mir nach all den Jahren in den Rücken und erlaubt 280 Zeichen. Warum habt ihr das getan?

Wir wollten eine neue Sprache erfinden. Twitter sollte ein Platz sein, um sich schnell mit Links zu versorgen. Kein Platz für lange Texte und Diskussionen. Bei einem Barcamp in den Anfangstagen trafen sich die Leute in Deutschland, die das Potential des Netzwerkes sahen. Das war fast meine komplette Timeline. Ich sagte damals auf dem Panel zum Thema Medien und Twitter: „Twitter ist noch ein bisschen wie eine längst vergessene B-Seite der Beach Boys.“ Das SZ-Magazin rief bei mir an und fragte, ob man meine Timeline drucken dürfe. So fremdartig war das damals alles. Natürlich durfte man

Die Ritter der Twitterrunde

Dann folgte 2009 eine Reise nach Manhattan zu meiner ersten großen Twitter-Konferenz, auf der Leute wie Gary Vaynerchuck erklärten, warum 140 Zeichen ausreichen, um Botschaften zu senden und Marken aufzubauen. Sportler, Politkern, Mütter aus der Nachbarschaft, Köche, Musiker – sie alle erklärten, warum Hashtags in Tweets in der Lage sind, virtuelle Lagerfeuer zu entfachen, um die sich interessierte Nutzer versammeln können. Die Ritter der Twitterrunde. Das alles braucht höchstens 140 Zeichen. In einem Artikel versuchte ich zu erklären, warum es keine langen Texte braucht.

In all den Jahren sind mir immer mehr Kollegen gefolgt. Sie haben gemerkt, dass man in neuen journalistischen Kategorien und einer neuen Sprache denken muss, wenn es Spaß machen soll, Twitter zu nutzen. Sie alle haben es plötzlich genossen, sich in 140 Zeichen mitzuteilen. Im Silicon Valley habe ich erlebt, wie Analysten aus Twitterdaten das Wetter oder die erfolgreichsten TV-Serien oder Farben der kommen Sommersaison vorhersagen konnten. 

Ein erfrischender Shitstorm

Einen gelungenen Tweet abzusetzen, ist eine große Kunst, wenn man nur 140 Zeichen zur Verfügung hat. Da gibt es inzwischen ganz große Meisterinnen und Meister. Nichts ist übrigens mit einem erfrischenden Shitstorm zu vergleichen, wenn sich mal jemand in 140 Zeichen im Ton vergriffen hat. Das kommt relativ häufig vor, weil einen die geringe Zeichenzahl zwingt, zum Kern der Botschaft vorzudringen. Mit dieser sprachlichen Konzentration ist jetzt vorbei.

Was als Instrument der Verdichtung, Verknüpfung und des Austausches begann, wird jetzt zur Laberbude. 280 Zeichen machen einen Gedanken nicht wertvoller. Im Gegenteil, er wird eher entwertet. Twitter gibt freiwillig seinen Markenkern auf. Die wirtschaftliche Not muss gewaltig sein. Es ist dem Netzwerk noch immer nicht gelungen, seine Popularität in Umsätze zu transformieren. In Deutschland ist es mit der Popularität sowieso nicht so weit her. Twitter wird immer mehr zu einem Tummelplatz für Markenbotschafter und Medienleute. 280 Zeichen werden das auch nicht ändern.

Die Beatles hatten nur vier Spuren für ihre ersten Alben zur Verfügung. Jede weitere Spur hätte ihre Musik wahrscheinlich schlechter gemacht. Nein, früher war nicht alles besser. Im Gegenteil. Aber ich werde mich weiter auf 140 Zeichen beschränken. Das reicht. 

Foto: Namensnennung Bestimmte Rechte vorbehalten von Elijah