Ein Beitrag von Dr. Benno Barnitzke, LL.M., Rechtsanwalt bei der Göhmann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB in Hannover. Er ist Experte auf den Gebieten IT-Recht, Datenschutzrecht, Urheberrecht und gewerblicher Rechtsschutz.

Innovationen kämpfen in Deutschland mit Gegenwind

Ein aufgebrachter Mob mit Mistgabeln, Fackeln und einer Deutschlandfahne steht vor einem großen Drachen. Der Mob scheint sich nicht ganz sicher zu sein, ob er dem Drachen den Garaus machen soll. Auf dem Bauch des Lindwurms prangt in großen Lettern das Wort „Google“.

Mit dieser Karikatur illustrierte der „Economist“ kürzlich einen Artikel mit der Überschrift „Germany’s Googlephobia“. Sie zeigt – natürlich überspitzt – ein deutsches Symptom: Innovationsfeindlichkeit. Anders ist es wohl kaum zu erklären, dass amerikanische Unternehmen wie Google oder Uber in Deutschland derzeit mit einem starken Gegenwind von Behörden, Gerichten und Wettbewerbern zu kämpfen haben.

Im rechtlichen Bereich zeigt sich Innovationsfeindlichkeit meist daran, dass technische Zusammenhänge bei der juristischen Bewertung von Sachverhalten, die mit dem Internet oder ganz allgemeinem mit Technik zu tun haben, leider häufig gerne entweder verkannt, übergangen oder unterschlagen werden.

Die Trennung zwischen „Online“ und „Offline“ ist überholt

Es ist eine banale Erkenntnis, die aber immer noch nicht ernst genug genommen wird: Die Welt lässt sich heute nicht mehr in „offline“ und „online“ einteilen. Beide Bereiche sind schon längt ineinander übergegangen. Der Fall Uber zeigt das deutlich: Das Unternehmen bietet eine reale Dienstleistung an und stellt hierfür eine komplexe Internet-Anwendung bereit. Diese vermittelt und koordiniert die Anfragen von Nutzern der App, indem sie diese den Fahrern zuschickt, die sich räumlich möglichst nahe am Kunden befinden. Nimmt ein Fahrer den Auftrag an, ordnet ihn die Anwendung einem Fahrer und dem Kunden zu, zeichnet die Strecke auf und berechnet am Ende den Fahrpreis.

Ohne eine aufwändige, skalierbare Anwendung wäre das alles nicht realisierbar. Eine Aufspaltung von Ubers Dienstleistung in „online“ und „offline“ ist deshalb nicht möglich – es sei denn, man stellt das gesamte Geschäftsmodell in Frage.

Bremse statt Antrieb: Das Personenbeförderungsgesetz

Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) tut genau das und bremst ein interessantes Konzept unternehmerischen Handelns aus, ohne den entscheidenden Teil, nämlich das Internet, angemessen zu berücksichtigen. Wie könnte es das auch – das Gesetz stammt in seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahre 1961.

Die strengen Regeln des Taxigewerbes waren in der Vergangenheit zweckmäßig. Uber stellt diese staatliche Regulierung nun in Frage, weil das Unternehmen eine Möglichkeit gefunden hat, dieselbe Dienstleistung effektiver anbieten und sie weiter ausbauen und ergänzen zu können.

Dabei kann die vom Gesetz vorgesehene Ortskundeprüfung in Zeiten von Google Maps und Navigationsgeräten mit Infrastructure-to-Car-Funktionalität kein ernstzunehmender Grund mehr für einen gesetzlichen Genehmigungsvorbehalt sein. Auch Taxifahrer fragen den Fahrgast nach eigener Erfahrung häufiger mal nach dem Weg. Die angeblich fehlende Zuverlässigkeit der Uber-Fahrer ist ebenfalls vorgeschoben – Uber überprüft die Fahrer schon aus eigenem Interesse mit „background checks“.

Häufig wird daneben der angeblich fehlende Versicherungsschutz bemängelt. Auch das ist pauschal so nicht richtig: Uber versichert grundsätzlich Schäden für die Verletzung der Gesundheit und bei Tod der beförderten Person sowie Eigentumsschäden, wenn der Fahrer Dritte schädigt, bis zur Höhe von einer Million US-Dollar. Die Versicherungsbedingungen veröffentlicht Uber transparent im Internet zugänglich. Freilich: Hier sollten Fahrer vor dem Unterzeichnen genau hinschauen und sich über die Versicherungsrisiken informieren.

Das Social Network in der Fahrgastzelle

In der Diskussion um Uber wird oft vergessen, dass eine nicht unerhebliche Nachfrage, also ein Bedürfnis der Kunden nach der von Uber angebotenen Dienstleistung besteht, die Uber und Co. offensichtlich äußerst erfolgreich bedienen. Wer einmal in San Francisco in einem Taxi saß, weiß, warum er bei lieber bei Uber, Lyft oder einem anderen Unternehmen ins Auto steigen will. Uber wächst dank der Nachfrage so schnell, dass es seinen Umsatz jedes Jahr vervierfacht. Ein Startup ist das Unternehmen deshalb eigentlich schon längst nicht mehr – falls es überhaupt eines war, bedenkt man, dass von Anfang an finanzkräftige Investoren wie Google und Goldman Sachs mit im Boot waren.

Nicht zu unterschätzen ist die „Social Network“-Komponente von Uber und Co.: Fahrer und Fahrgast können sich zum Beispiel bei Uber und Lyft gegenseitig bewerten – ein System, das sich auf Ebay (www.ebay.de) und bei Amazon zur Verkäuferbewertung bewährt hat. Außerdem fährt man bei dem hierzulande noch nicht verfügbaren Lyft nicht einfach nur „mit“, sondern „zusammen“ und erweitert so nebenbei gleich sein Netzwerk.

Fahrer und Fahrgast begrüßen sich mit einem sogenannten „fist bump“, was häufig der Beginn eines freundlichen Gesprächs mit dem Fahrer ist. Die amerikanische Coolness und die Lockerheit eines Chatrooms im Internet sind damit in der Fahrgastzelle angekommen. Das alles muss man nicht mögen, aber es ist mit Sicherheit ein weiterer Grund für den Erfolg des Geschäftsmodells.

Wenn man Uber etwas vorwerfen will, dann ist es die beharrliche Weigerung, sich an die – inzwischen wieder aufgehobene – einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt zu halten. Gerichtsentscheidungen gelten auch für Uber, solange sie nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln aufgehoben werden. Solche Grenzen zu ignorieren können sich nur finanzstarke Unternehmen erlauben, die wie Uber das drohende Ordnungsgeld aus der Portokasse zahlen.

Ubers Strategie: Fakten schaffen

Hinter Ubers Widerstand steckt aber mehr: Kalifornischer Unternehmergeist und knallhartes finanzielles Kalkül. Erst wenn Fakten geschaffen werden, um die am Ende niemand mehr herumkommt, verändert sich wirklich etwas. Gleichzeitig wird der Markteintritt für potenzielle Wettbewerber erschwert: Wer zuerst kommt, verdient zuerst.

Insofern wenden Uber und ähnliche Unternehmen nur eine bereits in den USA erfolgreich getestete Strategie an. Auch in Kalifornien gab es die gleichen Diskussionen und Proteste der Taxifahrer wie hierzulande. Die kalifornische Aufsichtsbehörde für Einrichtungen der Daseinsvorsorge (California Public Utilities Commission) reagierte zunächst mit behördlichen Verboten, setzte sich dann aber mit den dort als „Transportation Network Companies“ bezeichneten Unternehmen an einen Tisch und entwickelte eine Lösung mit eindeutigen Vorgaben.

So müssen TNCs sich den Auszug aus dem Verkehrszentralregister vorlegen lassen, das Fahrzeug muss eine Art abgespeckten TÜV überstehen, die Versicherungsbedingungen müssen mindestens eine Schadenssumme von einer Million US-Dollar pro Schadensfall abdecken und der Fahrer muss ein einwandfreies Führungszeugnis vorweisen können.

Die kalifornische Aufsichtsbehörde wählte also einen pragmatischen Ansatz. Statt daraus zu lernen und aktiv über die Erweiterung und Verbesserung des Angebots von Fahrdienstleistungen nachzudenken, greifen die (vermeintlichen?) Wettbewerber wie Taxiunternehmer und die Behörden in Deutschland zur Verbotskeule. Dabei hätte die Taxibranche schon längst ein eigenes ähnliches oder ein besseres Modell entwickeln können.

Nun gerät sie in Bedrängnis. Ein Grund dafür sind gesetzliche Vorgaben: Das PBefG steckt einen engen gesetzlichen Rahmen und zwingt die Verfügbarkeit von Mobilität (vom nicht genutzten Feigenblatt des § 2 Abs. 7 PBefG einmal abgesehen) in eine nicht mehr zeitgemäße, starre gesetzliche Struktur. Allerdings ist das PBefG aber nur eines unter vielen Beispielen deutscher Innovationsbremsen.

Innovationsgesetz – Fördern statt Bremsen

Letztlich geht es also um mehr als nur um Uber und das Taxigewerbe. Es geht darum, wie Deutschland künftig mit Innovationen umgehen will. Dabei besteht erheblicher Nachholbedarf. Der gesetzliche Rahmen könnte stattdessen auch innovationsfördernd wirken: Denkbar wäre zum Beispiel die Schaffung eines technologieneutralen, bereichsübergreifenden Innovationsgesetzes, das unter bestimmten Bedingungen Ausnahmen von bestehenden Genehmigungspflichten bei Dienstleistungen vorsieht, um neue Geschäftsmodelle unter behördlicher Aufsicht für eine bestimmte Zeit testen zu können.

Ein solches Vorhaben ist eine große Herausforderung, aber durchaus im Bereich des Möglichen. Der Gesetzgeber sollte sich diese Startup-Mentalität auf die Fahnen schreiben.

Es ist jedenfalls auch eine Aufgabe des Staates, Innovationen zu fördern und zu schützen. Damit am Ende nicht ein Mob mit Fackeln und Deutschlandfahnen vor einem Rechenzentrum steht.

Bild: © panthermedia.net / Eugen Wais