Julia Beliak arbeitet seit 2014 bei Rocket Internet

Vor drei Jahren bekam Julia Beliak in einem Uni-Seminar einen interessanten Arbeitsauftrag: Sie sollte ein Unternehmen ihrer Wahl durchleuchten. Die Fragestellung im Fach Business Ethics: Wie ist es um das ethische Verhalten des Unternehmens bestellt? Die Studentin entschied sich für Rocket Internet.

Die Internetschmiede ist eher für ihr aggressives Geschäftsgebaren bekannt als für ihren moralischen Kompass – schon aus diesem Grund eine gute Wahl. Und so fiel Beliaks Urteil auf den zwölf Seiten entsprechend hart aus. Sie schrieb Sätze wie: „Das wahrscheinlich unethischste Verhalten der Samwers ist die Art, wie sie ihre Mitarbeiter behandeln.“ Ihrer ganzen Arbeit gab die damals 19-Jährige den klangvollen Titel: „The Samwer Brothers – The Most Aggressive Guys on the Internet“. Für etwa 20 Euro war das Heft bei Amazon erhältlich. Die Studentin hatte es von einem Self-Publishing-Verlag veröffentlich lassen.

„The brothers learned early that it is ok to act unethically“

Auf der Grundlage von 15 Quellen sezierte die Wirtschaftsstudentin des Münchner Globe Business College die damalige Samwer-Welt. Die schlechte Behandlung der Mitarbeiter bringt sie in ihrer Arbeit etwa mit Kants kategorischem Imperativ zusammen:

„Kant’s categorical Imperative fits into this situation. [It] says that you should „always treat humanity as an end in itself and never as a mere means“ which means that employers should treat their people like human beings not profit machines… And since the Samwers obviously do not do so, there are many bitter consequences they have to fight with because of their bad relationship to employees…“

Weiter geht die Abrechnung mit den umstrittenen Abo-Methoden der Samwers bei Jamba, mit ihrem rüden Umgang mit Investoren rund um den StudiVZ-Deal. Sie kritisiert auch das Vorgehen bei Verkäufen, ebenso wie die Blitzkrieg-Mail von Oliver Samwer. Die Liste ist lang. Am Ende der Arbeit glaubt Beliak die Ursache für das Samwersche Verhalten gefunden zu haben:

„The father as a role model of the Samwers is one of Germany’s most successful lawyers who has defended and won many cases in court that seemed impossible to win. This way the brothers learned early on that it is ok to act unethically … as long as you win and are successful. And because of that every time the Samwers were faced with competing business objectives, they chose the less ethical ones. Profitability over sustainability, short term over long term, shareholders over stakeholders etc.“

Die Samwers würden so gegen die „goldene Regel“ der Ethik verstoßen. Die lautet: „Do unto others, as you would have them do unto you“. Beliak prophezeit: Die Brüder müssten sich darauf gefasst machen, von neuen Playern ähnlich schlecht behandelt zu werden. Sie berichtet in diesem Zusammenhang von den Ex-Rocket-Managern, die in der Zeit gerade mit Project A eine Konkurrenz zum Über-Inkubator aufbauen. Für Beliak scheint der Niedergang von Rocket fast unausweichlich.

Job beim unmoralischen Unternehmen

Umso erstaunlich ist deswegen Beliaks Arbeitgeber-Wahl zwei Jahre später: Die Absolventin heuert im Herbst 2014 ausgerechnet bei Rocket Internet an. Warum nur?

Im Gespräch mit Gründerszene beschreibt sie ihre Entscheidung mit einem Wort: „Curiosity.“ Neugier ist ein Wort, das während des Interviews immer wieder fällt. Die Neugier habe sie schon beim Schreiben der Arbeit umgetrieben. Sie fragte sich: „Warum machen die etwas, was eigentlich falsch klingt – und warum funktioniert es?”

Ihre Neugier brachte sie also vor einem Jahr ins Londoner Büro von Rocket – weil sie „eh auf der Suche nach einem Job in London war“. Erst baute sie den Essenslieferanten Eat First mit auf und kümmerte sich dort um das Marketing. Als nächste Station verschlug es sie zum Rocket-Venture Cuponation in München. Dort leitet sie das globale Marketing. Ein schneller Aufstieg in der Firma, die sie einst so kritisch betrachtete.

Als Studentin habe sie die Hintergründe noch nicht verstanden, sagt Beliak heute. Die Fakten in ihrer Arbeit seien zwar richtig, doch mittlerweile verstehe sie die Mechanismen dahinter. Zu den harten Arbeitszeiten sagt sie jetzt: „Auch ich hatte meine 60-, 70-, 80-Stundenwoche – aber ich sehe das nicht mehr negativ, es zwingt ja einen niemand dazu, du arbeitest in einem Startup.“ Sie kommt zu dem Schluss: „Du hast mehr Privatleben, als wenn du ein eigenes Unternehmen aufbaust. Das war eye-opening.“

„Ich weiß ja nicht, wo mich die Karriere bei Rocket noch hinführt“

Was ist mit den anderen Vorwürfen – Rockets Copy Cats zum Beispiel? Für die Antwort zieht sie ihren derzeitigen Arbeitgeber Cuponation als Beispiel heran: Sicherlich, das Startup habe natürlich ein Vorbild in den USA. „In den ersten drei Monaten sieht das noch sehr nach Copy & Paste aus“, sagt Beliak. Ab dann würde das Business weiterentwickelt werden. Im Fall von Cuponation könnten sich die einzelnen Länderzentralen nach weiteren Geschäftsfeldern umschauen. „Das ist für mich ein sehr spannendes Learning, das ist hier nicht die Clone-Factory“, sagt Beliak. Auch Kunden-Bewertungen würden bei Rocket nicht gefälscht – ein Vorwurf, der ebenfalls aus ihrer Arbeit stammt.

Von ihren Vorgesetzten bei Rocket sei sie nie auf die Uni-Arbeit angesprochen worden – obwohl die hoch bei Google rankt. „Ich hatte immer Bedenken, dass die Arbeit für meine Karriere eine Rolle spielen könnte“, sagt Beliak. Bis vor Kurzem ließ sich die Studienarbeit bei Amazon bestellen, so haben einige befreundete Kollegen das Werk gelesen. „Negatives Feedback“ habe es von ihnen allerdings nicht gegeben.

Vorsichtshalber hat sie den Self-Publisher-Verlag aber gebeten, die Arbeit aus dem Netz zu nehmen. „Ich weiß ja nicht, wo mich die Karriere bei Rocket noch hinführt.“ Sie bereut die Analyse nicht. Oder – ein bisschen vielleicht. Denn: „Es war nicht einmal meine beste.“

Bild: privat