Werden Börsen unwichtiger, wenn es ICOs gibt?

Bitcoin, andere Kryptowährungen und die sogenannten ICOs (Initial Moin Offerings) haben in den vergangenen Monaten zu hektischen Aktionen von Regierungen und Aufsichtsbehörden in aller Welt geführt. Da erscheinen plötzlich digitale Währungen auf dem Markt und bringen die Finanzsysteme durcheinander? Das wollen sich viele Länder nicht mehr tatenlos mit anschauen. Die am häufigsten geäußerten Argumente: Man will Kryptoanleger vor dem Totalverlust schützen und den Einsatz von Coins für dunkle Geschäfte bis hin zu Terror-Finanzierung stoppen.

Man hat allerdings den Eindruck, dass die bestehenden Systeme vor allem an ihrem Selbsterhalt arbeiten. Notenbanker und Finanzpolitiker in aller Welt fordern wohl nicht ganz selbstlos, die neuen Finanzinstrumente stärker ins Visier zu nehmen und einer Aufsicht zu unterwerfen. Denn Kryptos und digitale Börsengänge wie ICOs sind noch weitgehend unreguliert und es braucht nicht viel Fantasie und eine Portion Knowhow in Sachen Blockchain, um sich eine Zukunft vorzustellen, in der zentrale Finanzsysteme von einem dezentralen, globalen Finanznetzwerk abgelöst sind.

Bis dahin ist aber noch etwas Zeit, denn es wird jetzt aktiv und massiv gegen die Verbreitung von Bitcoin und Ether mit ihrer Blockchaintechnologie eingeschritten. Deutschland und Frankreich pochen auf ein Ende der unregulierten Zeiten für Internet-Währungen. In einem gemeinsamen Brief an die argentinische G20-Präsidentschaft forderten beide Staaten, das Thema Risiken und Chancen der Cyber-Devisen sowie der dahinterstehenden Technologien auf die Agenda des Finanzministertreffens der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer im März in Buenos Aires zu setzen. 

Neue Möglichkeiten oder nicht kalkulierbare Risiken?

Die Finanzminister und Notenbankchefs Deutschlands und Frankreichs sprachen in dem Brief immerhin auch von „neuen Möglichkeiten“, die sich aus den Technologien ergeben könnten. Investoren drohten aber erhebliche Risiken. Auch bestehe die Gefahr, dass die neuen Möglichkeiten für kriminelle Zwecke genutzt werden. Da sind sie wieder, die beiden Lieblingsargumente.

Auch aus dem Ausland hören wir fast täglich von Maßnahmen gegen Bitcoin und andere Coins. China verbietet inzwischen auch das Minen, also das Herstellen, von digitalen Währungen. Die Zentralbank in Katar hat offenbar den Banken den Handel mit Bitcoin und anderen Kryptowährungen verboten. Finanzinstitute und Börsenbetreiber in dem Land seien „freundlich aufgefordert“ worden, in keiner Art und Weise mit den Cyberdevisen zu handeln. Die Zentralbank werde im Falle einer Umgehung des Verbots Strafen verhängen, hieß es zudem in einem Schreiben der Aufsichtsbehörde.

Die indischen Finanzämter forderten zehntausende Anleger zur Zahlung von Kapitalertragssteuern auf ihre Geschäfte mit den Cyberdevisen auf. Eine Erhebung habe ergeben, dass in den vergangenen 17 Monaten Deals im Volumen von 3,5 Milliarden Dollar getätigt worden seien. Vor allem junge, technikaffine Anleger sowie Immobilien- und Schmuckunternehmer seien bei Kryptowährungen eingestiegen. Viele Investoren hätten ihre Geschäfte aber gegenüber den Finanzämtern verschwiegen.

Mischung aus Finanzblase und Schneeballsystem

Auch die Dachorganisation der Zentralbanken (BIZ) hat vor den Risiken im Zusammenhang mit Bitcoin, Ethereum oder Ripple gewarnt. In Indien ist ein Komplettverbot von virtuellen Währungen im Gespräch. Südkorea kündigte eine strengere Regulierung an. China plant die schon umgesetzten gesetzlichen Beschränkungen ebenfalls weiter zu verschärfen. Verboten ist dort etwa schon die Kapitalaufnahme mit Hilfe von Initial Coin Offerings, außerdem haben mehrere Kryptobörsen ihre Pforten geschlossen.

Vom Generaldirektor der BIZ, Agustin Carstens, hören wir ebenfalls, dass Verbraucher und Anleger geschützt werden müssten. Es müsse gewährleistet sein, dass digitales Geld nicht die Finanzstabilität gefährde, sagte er. „Was vielleicht ursprünglich als alternatives Zahlungssystem ohne staatliche Beteiligung gedacht war, ist inzwischen zu einer Mischung aus Finanzblase, Schneeballsystem und Umweltkatastrophe geworden“, warnte Carstens. Zentralbanken und Finanzbehörden müssten insbesondere die Verknüpfungen von virtuellen und realen Währungen unter die Lupe zu nehmen.

Auch EZB-Präsident Mario Draghi hat vor den Gefahren durch digitale Devisen gewarnt. Diese sollten als sehr riskante Anlageform eingestuft werden. Japans Notenbank forderte Dienstleister für Kryptowährungen auf, Anleger auf die Risiken hinzuweisen. Im Januar erbeuteten Hacker bei der in Japan ansässigen Börse Coincheck Coins der Kryptowährung Nem im Volumen von 530 Millionen Dollar. Der Diebstahl war einer der größten dieser Art. Hinter dem Hackerangriff könnte nach Einschätzung des südkoreanischen Geheimdienstes Nordkorea stecken.

Bundespräsident Steinmeier warnt vor Spekulationsakrobatik

Bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin hieß es, dass die große Koalition die hinter den Internet-Währungen stehende Technologie nutzen wolle, Missbräuche sollen aber unterbunden werden. Plädiert wird von den Verhandlern grundsätzlich für eine kohärente Aufsicht und Regulierung auch im Bereich der Kryptowährungen. Dabei gehe es aber auch um die Stärkung Deutschlands als führender Digitalisierungs- und Fintech-Standort. „Wir werden unnötige bürokratische Hemmnisse beseitigen und dafür sorgen, dass Geschäfte mit gleichen Risiken auch gleich reguliert werden“, hieß es.

Einige Geldhäuser in Großbritannien und in den USA schieben dem Erwerb von Bitcoin und anderen Kryptowährungen mittels Kreditkarte einen Riegel vor. Nach den US-Großbanken JP Morgan Chase A und Citigroup hat auch das größte britische Institut Lloyds entsprechende Schritte eingeleitet. Kunden sollten davor bewahrt werden, zu hohe Schulden aufzutürmen, wenn sie virtuelle Währungen auf Kredit erwerben und deren Kurse dann einbrechen, sagte eine Sprecherin.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt vor Bitcoin und Kryptowährungen und fordert eine Debatte über neue Finanztechnologien. „Wenn ich mir den Kursverlauf von Kryptowährungen anschaue, sehe ich keine Währung, sondern Wettspiele“, sagte Steinmeier. „Neue Spekulationsakrobatik und Blasenbildung zu verhindern, ist zuvörderst Verantwortung der Finanzbranche“, mahnte er vor rund 1.000 Gästen bei einer Festveranstaltung zum 100-jährigen Bestehen der DekaBank. „Denn die letzte große Krise und die letzte Rettung durch Steuergelder haben wir gerade erst hinter uns.“

Neue Geschäftsmodelle im Fintech-Bereich böten große Chancen. Zugleich forderte Steinmeier eine Debatte darüber, welche neuen Technologien wirklichen Nutzen bringen. „Wo beginnt reine Finanzmagie, die am Ende verpufft und Kleinanlegern schadet?“, gab er zu bedenken. „Wo entziehen sich Kryptowährungen jeglicher Aufsicht und Steuerung durch Zentralbanken, wo ermöglichen sie Geldwäsche, Steuerhinterziehung und rechtswidrige Geschäfte?“

Rufe nach einer stärkeren Überwachung

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos waren ebenfalls Rufe nach einer stärkeren Überwachung von Kryptowährungen laut geworden. Dieser Forderung schlossen sich Finanzminister, hochrangige Vertreter der Geldindustrie und der Internationale Währungsfonds (IWF) an. US-Finanzminister Steven Mnuchin betonte, ihm gehe es in erster Linie darum, dass Internetwährungen nicht für unerlaubte Zwecke genutzt werden. „In den USA gelten für Anbieter und Plattformen von Kryptowährungen die gleichen Regeln wie für Banken“, unterstrich er. Man müsse seine Kunden kennen und die Pflichten zur Unterbindung von Geldwäsche erfüllen. Ziel müsse sein, dass überall in der Welt nach den gleichen Regeln mit Kryptowährungen umgegangen werde. 

Der IWF sieht sich nach Worten seiner Chefin Christine Lagarde in einer besonderen Verpflichtung, die mit Kryptowährungen verbundenen Risiken im Auge zu behalten. „Wir haben bereits damit begonnen, das zu beobachten“, sagte sie. Lagarde verwies immerhin auch auf die positiven Potenziale der hinter den Kryptowährungen stehenden Blockchain-Technologie.

Forscher loben Geschwindigkeit und niedrige Kosten

Auch der Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, Paul Achleitner, mahnte, zwischen Kryptowährungen und den dahinter stehenden Technologien zu differenzieren. Er glaubt, dass sich die Internetdevisen am Ende als ein „vorübergehendes Phänomen“ erweisen werden. In die Blockchain-Technologie solle man dagegen investieren. Auch Blackrock-Chef Laurence Fink rief die Finanzbranche dazu auf, sich diese Technologien nutzbar zu machen.

Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling hält die Möglichkeiten zur Regulierung von Kryptowährungen wie Bitcoin für begrenzt. Die Gruppe, die solche Cyber-Devisen austausche und handele, weiche bewusst dem staatlich regulierten und gesicherten System aus, sagte Wuermeling. „Insofern stellt sich die Frage, wie weit sie sich an nationale Regeln und Grenzen halten, also von nationalstaatlichen Eingriffen beeinflussen lassen wird.“

Forscher sehen die Sache etwas differenzierter. Zentralbanken sollten nach ihrer Einschätzung Digitalwährungen für grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr nutzen. Dies könnte Transaktionen beschleunigen und Gebühren minimieren, schrieben Experten der regierungsnahen chinesischen Academy of Social Sciences in einer Studie. Zahlungen könnten in weniger als einem statt wie bisher drei bis fünf Tagen abgewickelt werden. Die Kosten reduzierten sich auf maximal ein von 7,2 Prozent. „Außerdem erhalten Schwellenländer einen fairen und einfachen Zugang zu diesen Dienstleistungen“, heißt es in der Studie.

Für dieses digitale Zahlungssystem seien drei Varianten denkbar, schrieben die Forscher weiter. Die Ausgabe einer Cyber-Devise durch den Internationalen Währungsfonds (IWF), virtuelle Währungen einzelner Staaten oder eine Kombination aus beidem. Die Einführung einer solchen Kryptowährung wäre eine Konkurrenz für das bisherige Zahlungsabwicklungssystem Swift. Eine Konkurrenz für existierende Finanzsysteme? Unabhängig und dezentral? Genau das sehen die Länder natürlich kritisch. Aber vielleicht hört ja am Ende doch jemand auf die Forscher und auf die Bedürfnisse der Kunden. Die hätten das nämlich gerne. 

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