Von Konzernen lernen

Prozesse und mehr Struktur

Wenn wir mal ehrlich sind, erfüllt es uns wohl alle mit etwas Stolz, eben nicht wie viele andere den Weg als Angestellter eines großen Unternehmens zu gehen, sondern stattdessen selbst in der Startupszene Dinge eigenverantwortlich umzusetzen. Die Arbeit in einem Startup verbindet sich also oft mit der Haltung eines Freigeists. Doch auch ein Freigeist tut gut daran, seine Kreativität in konstruktive Bahnen zu lenken. Konzerne haben hier Systeme geschaffen, die genau dies realisieren.

Wie weit bei der Strukturierung des eigenen Schaffens gegangen werden soll, ist letztlich wohl eine Geschmacksfrage. Während in Konzernen von der Zeiterfassung über den Urlaubsantrag bis hin zur Budgetierung von Projekten nahezu alles reglementiert ist, herrscht in Startups gerne mal das kreative Chaos vor. Ich persönlich empfände es beispielsweise als unangenehm, wenn mein Unternehmen meine Präsenz erfassen würde, zumal darin für mich kein Wert liegt. Dennoch habe auch ich mir oft mehr Struktur in Form von Prozessen und Ablaufplänen gewünscht.

An dieser Front können Startups von Konzernen noch einiges lernen, insofern die Dokumentation von Inhalten und die Definition von Prozessen das eigene Schaffen planbarer und – noch wichtiger – skalierbar machen. Niemand erwartet von einem Startup, dass es angesichts seines Bedarfs an Flexibilität jeden Bereich erschöpfend durchstrukturiert. Aber die eigene Firmenkultur so auszurichten, dass Mitarbeiter unabhängig und unternehmensdienlich arbeiten können, sollte ein Grundziel jedes Startups sein. Auch wenn sie insgesamt eine eher minderwertige Lektüre darstellt, bietet Oliver Samwers Diplomarbeit zum Zusammenspiel von Werten und Kultur einige interessante Anregungen, die ich auch mal in einer Grafik zusammengefasst habe:

Von Konzernen lernen

Strategie vs. Taktik

Eine weiterer Aspekt, bei dem Startups von Konzernen doch merklich überflügelt werden, ist die Strategiefindung. Startups sind Meister der Taktik, also der Planung von kurz- und mittelfristigen Unternehmensvorhaben. Doch wenn es an die Strategie geht, also die langfristige Planung des Geschäfts, bei der ein Zeitraum von einigen Jahren betrachtet wird, endet der Startup-Blick zumeist. Konzerne denken derweil mitunter in Dekaden, was sie häufig träge, insgesamt aber weitsichtig macht.

Wenn man so will, fragt ein Gründer bei der Strategie, was er mit seiner Unternehmung erreichen möchte, während er sich bei der Taktik dem Wie widmet. Es ist also offensichtlich, dass dem Was eine entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, bevor das Wie angegangen wird. Doch gerade Startups, die als Me-Too-Ideen an den Start gehen, haben häufig sicherlich keine Vision, die über einen Exit in drei Jahren und bis dahin möglichst schnelles Wachstum hinausgeht.

Helmut Schmidt hat einmal gesagt, dass Menschen mit Visionen zum Arzt gehen sollten, dennoch erscheint es mir angebracht, dass Startups einen gewissen Teil ihrer Zeit auf die Definition ihrer Vision und Mission verwenden – idealerweise unter Einbezug eines erfahrenen Coaches.

Bessere Talentbindung dank Hygienefaktoren

Nachdem die Resonanz zu meinem Artikel rund um Startup-Unarten sehr positiv war, sei hier noch einmal der Aspekt der Hygienefaktoren aufgegriffen. Damit sind jene Gestaltungsräume der gemeinsamen Arbeitsbeziehung gemeint, die das Leben für den Arbeitnehmer angenehm gestalten und deshalb stimmen sollten. Allem voran sind hier die Bereiche Gehalt, Ausstattung und Team-Stimmung betroffen. Während letztere in Startups oft sehr gut ausgeprägt ist, mangelt es an den ersten beiden Punkten oftmals.

Der Umstand, dass viele Mitarbeiter sehr lange in ein und demselben Konzern tätig sind, dürfte in der Regel mit dem höheren Maß an Sicherheit zusammenhängen. Auch Konzerne haben eine gewisse Kostensensitivität, doch sie berücksichtigen die individuellen Anlagen eines Mitarbeiters bei der Taxierung seiner Entlohnung und etablieren damit eine längerfristige Arbeitsbeziehung. Derweil bleiben Startup-Mitarbeiter im Schnitt rund 18 Monate bei einem Unternehmen. Freilich sind die Mittel eines Startups begrenzt, dennoch sollte der Leitspruch „Pay Peanuts, get Monkeys“ mehr Berücksichtigung finden.

Mehr Sensibilität für die Work-Life-Balance

Es ist ein wenig ironisch: Obwohl Konzerne vielfach als anonym und träge gelten, engagieren sie sich oft intensiver für ein ausgewogenes Verhältnis ihrer Mitarbeiter zur eigenen Arbeit. In meinem Kolumnenbeitrag zum Thema Burnout habe ich bereits thematisiert, dass dieses Tabu-Thema auch die Startupszene erfasst hat. Doch während dort größtenteils Passivität vorherrscht, wird in Konzernen gehandelt und ein ausgewogenes Arbeiten angestrebt, indem etwa übermäßig viele Überstunden oder das Zustellen von E-Mails am Wochenende unterbunden werden.

Freilich sind einige dieser Maßnahmen auch durch die Gesetzgebung geregelt, da Konzerne aufgrund ihrer hohen Mitarbeiteranzahl Ausfälle durch Burnout aber in einer anderen Skalierung zu spüren bekommen, erscheinen sie mir wesentlich sensibilisierter für diesen Umstand. Bei der Abwägung zwischen kurzfristigem Unternehmensnutzen und langfristiger Mitarbeitergesundheit können sich Startups dort meinem Gefühl nach noch einiges abschauen.

Bildmaterial: Darnok

Joel Kaczmarek Facebook