Auf dem Amazon-Marktplatz gibt es neue Damen-Pantoletten von Birkenstock, Modell Madrid, in verschiedenen Farben für kaum mehr als zehn Euro – das klingt zu schön, um wahr zu sein. Und das ist es auch. Schnäppchen, die keine sind, falsche Produktversprechen, Ramsch aus Fake-Shops im Internet: das sind Probleme, mit denen sich Hersteller renommierter und teurer Marken seit Jahren herumschlagen. Die Erfolge sind überschaubar.

Birkenstock ist jetzt der Geduldsfaden gerissen. Die traditionsreiche Familienfirma aus Neustadt/Wied kappt zum 1. Januar 2018 die Geschäftsbeziehungen mit der europäischen Tochter von Amazon und stellt die direkte Belieferung vollständig ein. Ab dem kommenden Jahr wird es also weder Sandalen noch Schuhe oder Taschen von Birkenstock über Amazon zu kaufen geben, jedenfalls nicht auf legalem Weg. Aus der Industrie gibt es Lob für den Rückzug von Birkenstock. „Das ist aktiver Markenschutz“, heißt es zum Beispiel beim Markenverband.

Die Firma aus dem Westerwald wagt damit, was größere Unternehmen scheuen: Einen Boykott von Amazon. An dem führenden Online-Anbieter ist schwer vorbeizukommen. Über Amazon laufen allein 42 Prozent aller Online-Produktverkäufe in der Bundesrepublik, die nächstplatzierten Shops folgen mit Abstand. Als Produkt-Suchmaschine wird Amazon in den USA inzwischen sogar häufiger genutzt als Google, der Trend in Deutschland ist ähnlich.

Mit kundenorientierten Angeboten wie dem Premiumprogramm Prime, mit technischen Innovationen wie der elektronischen Sprachassistentin Alexa und mit dem Einstieg in immer neue Marktsegmente von Lebensmitteln bis zu TV-Serien bringen die dynamischen Amerikaner die Konkurrenz in die Defensive. „Amazon treibt uns alle vor sich her“, gestand ein Top-Manager eines Sportartikelhändlers kürzlich auf einer Tagung.

Es sorgt für Unbehagen, dass der Konzern über alle Verkaufsdaten der Partner verfügt und dass er nach Gutdünken seine Plattform-Partner bei gut laufenden Produkten mit Konkurrenzangeboten ausstechen kann.

Birkenstock wirft dem US-Konzern vor allem vor, nicht entschieden genug gegen Produktfälschungen und andere Markenrechtsverletzungen vorzugehen, die auf der von Amazon betriebenen Plattform Marketplace vorkämen. Auf Beanstandungen, dass „wiederholt minderwertige Produktfälschungen angeboten wurden“, sei keine angemessene Reaktion erfolgt. Amazon kommentierte die Vorwürfe zunächst nicht. In früheren Fällen hatte der Konzern mehrfach versichert, betrügerische Aktivitäten würden nicht geduldet.

Das sieht Birkenstock anders. Offenbar fehle Amazon der nachhaltige Wille, solche Praktiken zu unterbinden, sagte ein Birkenstock-Sprecher: „Wir wissen aus der Zusammenarbeit mit anderen Online-Shops und Plattformen genau, dass es möglich ist, seinen Vorgarten sauber zu halten.“ Eine verbindliche Erklärung von Amazon, dafür zu sorgen, dass keine Nachahmungen mehr auf dem Marktplatz angeboten werden, stehe bis heute aus. Stattdessen sei es in den letzten Monaten zu weiteren Rechtsverstößen gekommen. Das Vertrauensverhältnis sei gestört.

Und das nicht zum ersten Mal. Im Januar hatte Birkenstock bereits bereits die Belieferung von Amazon USA gestoppt. Dem Schuhproduzenten dürfte der Schritt allerdings, anders als den meisten Konkurrenten, vergleichsweise leicht fallen. Auf den Online-Verkauf entfallen nach Angaben des Sprechers bisher nicht mehr als zehn Prozent des Umsatzes. Darin ist neben dem Vertriebsweg Amazon auch der Absatz über den vor zwei Jahren eröffneten eigenen Online-Shop ebenso enthalten wie der Verkauf über Otto, Zalando oder digitale Shops von lokalen Schuhhändlern.

Geht es um Markenschutz?

Auch andere Unternehmen verzichten auf Amazon als Partner, etwa der Taschenhersteller Fond of Bags. Mit dem „Ergobag“ gehören die Kölner zu den wichtigsten Anbietern von Schulranzen für Grundschüler. Das Start-up aus dem Rheinland verzichtet auf eine Zusammenarbeit und setzt stattdessen auf den Fachhandel. Als Grund wird das erklärungsbedürftige und beratungsintensive Produkt genannt. Branchenexperten vermuten Markenschutz als weiteres Motiv: „Die wollen sich die Preise nicht kaputt machen lassen und ihre Handelspartner damit in die Bredouille bringen“, sagte einer von ihnen.

Selbst starke Luxusmarken bleiben außen vor. Der Kosmetikhersteller Coty (Parfümmarken Adidas, Beyoncé, Jil Sander und viele andere) zum Beispiel verkauft nicht bei Amazon – weder direkt noch indirekt.

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Zum Feldzug gegen den E-Commerce insgesamt rufen nur wenige Einzelkämpfer auf, wie etwa die Zwillingsbrüder Frederik und Gerrit Braun. Die Betreiber der Hamburger Touristenattraktion „Miniatur-Wunderland“ posteten einen Aufruf auf Facebook, in dem es heißt: „Wir bitten Euch inständig, unser neues Buch nicht online zu kaufen.“ Damit wollen sie nach eigenen Angaben zum Erhalt des traditionelles Buchhandels beitragen. Es lasse sich nicht genau beziffern, wie viele der bisher verkauften 31.700 Exemplare der Doppel-Biographie online oder in Läden verkauft wurden, gesteht Frederik Braun zwar ein, wertet die Aktion aber als Erfolg.

Dass der Online-Handel insgesamt weiter stark wachsen und die Verzahnung mit herkömmlichen Geschäften weiter zunehmen wird, daran hegen Experten kaum einen Zweifel. Über alle Produktkategorien liegt der Anteil des digitalen Verkaufs in Deutschland bei rund zehn Prozent. Allein der deutsche E-Commerce-Markt bei Schuhen erreichte im vergangenen Jahr nach Zahlen des EHI-Instituts für Handelsforschung gut eine halbe Milliarde Euro.

Produktpiraterie beschäftigt Unternehmen schon länger

Auch Anbieter von Elektronik, Spielzeug und Textilien zum Beispiel sind nach Ansicht von Branchenkennern ebenso auf Amazon angewiesen wie die Verkäufer von klassischen Online-Produkten wie Musik und Bücher. „Die Unternehmen müssen abwägen, ob sie im Internet und insbesondere bei Amazon auffindbar sein müssen“, erklärt Andreas Gayk, der Leiter Vertriebspolitik/Handelsbeziehungen beim Markenverband. Und das hänge stark vom Produkt und der jeweiligen Branche ab. „Marktmacht hat Amazon überall dort, wo E-Commerce zu den wichtigsten Vertriebskanälen zählt.“ Denn Amazon sei nicht einfach nur ein Onlineshop, sondern für eine Vielzahl von Verbrauchern auch eine Produktsuchmaschine. „Das darf man nicht unterschätzen“, sagt Gayk.

Mit Produktpiraterie haben Onlinehändler schon länger große Probleme, insbesondere die Betreiber von sogenannten Marketplace-Modellen. Das haben zuletzt Testkäufe des Markenverbands gezeigt. Mitarbeiter der Spitzenorganisation der deutschen Markenwirtschaft hatten bei Ebay und Amazon besonders günstig angebotene Poloshirts der Marke Hugo Boss gekauft und anschließend zur Analyse an den Hersteller geschickt. Das Ergebnis: Die vermeintlichen Schnäppchen waren allesamt Fälschungen. „Die Testkäufe zeigen, dass preisbewusste Verbraucher im Rahmen normaler Einkaufsvorgänge auf großen Onlinemarktplätzen regelmäßig unwissentlich Fälschungen erwerben“, sagt Christian Köhler, der Hauptgeschäftsführer des Markenverbandes.

Hersteller und Markenverband fordern nun Hilfe von der Politik, um dem Vertriebskanal Internet die Attraktivität zu nehmen. „Obwohl die modernen Online-Vertriebswege der kriminellen Produkt- und Markenpiraten bekannt sind, ergreift die Politik nicht die ihr möglichen Maßnahmen“, beklagt etwa der Markenverband. „Beispielsweise werden Verkaufsplattformen noch immer nicht in die Verantwortung genommen, Fälschungen proaktiv per Software ausfindig zu machen. Stattdessen verdienen sie sogar noch mit jedem Fälschungsverkauf, den ein Dritter auf ihrer Plattform vornimmt.“ Die Rede ist von Provisionen in der Größenordnung von rund 15 Prozent.

Und daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Zwar arbeitet die Europäische Union (EU) derzeit an einer Novelle der Richtlinie zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte, kurz IPRED2. Die geltenden Privilegien für Online-Marktplätze werden nach den Ende November vorgelegten Ergebnissen aber nicht angetastet. Gemeint ist die sogenannte Hostproviderprovision, festgeschrieben in der E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG. Gemäß Artikel 14 haften die Internetfirmen für rechtswidrige Inhalte erst dann, wenn sie von den jeweiligen Inhalten Kenntnis erlangen. Artikel 15 schreibt zudem ein allgemeines Überwachungsverbot vor. Danach dürfen die EU-Mitgliedsstaaten Online-Plattformen keine allgemeine Verpflichtung auferlegen, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.

Das bedeutet: Markenhersteller müssen selbst nach Fälschungen im Internet suchen und die Provider dann informieren. Oder sie gar nicht erst beliefern. Genau so, wie Birkenstock es nun macht.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Getty Images / Daniel Zuchnik