Wollen die Verlagsbranche erneuern: Dieter Reichet, CEO censhare und Patrick Wölke, Geschäftsführer von DuMont Digital (von links)
Dieter Reichert, CEO Censhare (links) und Patrick Wölke, Geschäftsführer von DuMont Digital

Zu den Kunden des Münchner Digital-Unternehmens Censhare zählen große Namen wie Ikea, Rewe oder McDonald’s. Ingesamt 200 Mitarbeiter beschäftigt der Software-Anbieter. Nun investiert der Traditionsverlag DuMont in den Anbieter eines Redaktionssystems und übernimmt in einem ersten Schritt 35,9 Prozent der Anteile, wie der Verlag mitteilte.

In einem schriftlichen Interview sprechen Dieter Reichert, der CEO von Censhare und Patrick Wölke, Geschäftsführer von DuMont Digital, darüber, wie Redaktionen und Medienhäuser in Zukunft arbeiten.

DuMont investiert in die Censhare AG. Wie sieht die Zukunft der Redaktionssysteme aus?

Patrick Wölke: Für DuMont mit seinen regionalen Titeln war es seither wichtig, Kunden Kommunikations- und Marketinglösungen anzubieten. Durch die Digitalisierung entstehen immer weitere Anforderungen an die Kommunikation, für die wir Lösungen schaffen wollen. Nach der mehrheitlichen Übernahme von Facelift vor wenigen Monaten, einem SaaS-Spezialisten für Social-Media-Marketing, ist die Beteiligung an Censhare die zweite Akquisition von DuMont in diesem Wachstumsmarkt. 

Was haben Redaktionen von einem solchen System?

Dieter Reichert: Redaktionen losgelöst von einem funktionierenden Geschäftsmodell zu betreiben, führt zu dem, was wir in vielen Medienunternehmen beobachten können: Margen- und damit Ressourcen- und daraus folgend wiederum Qualitätsverlust. Ein wichtiger Aspekt der Wirtschaftlichkeit bezieht sich auf die Relevanz journalistischer Produkte. Relevanz für den Leser, der inzwischen zum Kommunikator geworden ist. Aber auch für das Werbe-Geschäft, welches dieser Relevanz folgt. Mit Censhare haben wir die technologische Basis geschaffen, den Kontext zwischen redaktionellen Inhalten, Werbung und dem Leser permanent im Blick zu behalten und damit Informationen relevant präsentieren zu können.

 

Es soll heute vor allem alles sehr schnell gehen, bleibt trotzdem noch genug Zeit für Recherche und schön geschriebene Geschichten?

Patrick Wölke: Schnelligkeit ist nur ein Aspekt im Journalismus. Wir machen relevante Inhalte für eine vernetzte Gesellschaft und bauen auf sorgfältige Recherche, kluge Analysen, hilfreiche Hintergrundinformationen und Service. Systeme, die die Redaktionen bei der Analyse unterstützen und komplexe Prozesse einfacher und schneller machen, helfen uns, Ressourcen für Qualitätsjournalismus freizusetzen. Wenn wir dank unserer Daten noch besser verstehen, was unsere User interessiert, werden unsere Angebote relevanter. Wenn wir in Echtzeit wissen, nach welchen Begriffen Menschen suchen, können wir reagieren und passende Antworten geben. Und wenn schlanke Technik das Erstellen und Veröffentlichen eines Videos vereinfacht, haben Journalisten mehr Freiraum für Recherche und Analyse.

Warum geht es im Medienbereich so langsam voran mit der Technik? Oder ist das eine Fehlwahrnehmung?

Patrick Wölke: DuMont investiert seit mehr als 20 Jahren kontinuierlich in seine digitalen News-Produkte, unser Marktanteil im Digitalen ist heute um 50 Prozent größer als unser vergleichbarer Marktanteil in Print. Wir erreichen über 60 Millionen Besuche mit unseren regionalen Newsportalen im Monat – und sind damit die Nummer 1 der Regionalverlage in Deutschland. Dennoch: Wir erleben als Branche im Digitalen zwar keine Krise des Journalismus, schon aber eine Krise der klassischen Geschäftsmodelle. Es wird noch einige Zeit dauern, bis hier nachhaltige Lösungen gefunden sind. Censhare schafft die Vorausetzungen dafür. Wir denken darüber nach, die „Digital Experience Platform“ auch als Basis unserer Arbeit in Redaktion, Vermarktung und Vertrieb einzusetzen.

Heute binden viele Apps künstliche Intelligenz ein. Gibt es Pläne, im Medienbereich damit zu arbeiten? 

Patrick Wölke: Selbstverständlich sehen wir Einsatzmöglichkeiten dieser Techniken. Künstliche Intelligenz wird heute über alle Branchen hinweg eingesetzt, auch im Medienbereich. Die Anwendungen sind bisher nicht immer ausgereift und zeigen auch Risiken, aber die Chancen sind da. Algorithmen helfen Werbekunden auf den Newsportalen schon heute, ihren Zielgruppen genau dann konkrete Angebote zu machen, wenn sie diese brauchen. Am Ende stehen bei uns jedoch immer Menschen, die Entscheidungen treffen, ob in Verlag oder Redaktion.

Dieter Reichert: Chatbots könnten helfen, schneller und umfassender auf Feedback einzugehen, Reaktionen und Reklamationen in einem definierten Prozess an die richtige Stelle zu leiten. Sprachsteuerungssysteme wie beispielsweise Alexa ermöglichen ebenfalls neue Angebote.

Hat DuMont Erfahrung bei der Zusammenarbeit mit Startups?

Patrick Wölke: Ja. DuMont hat vor zehn Jahren begonnen, mit Risikokapital-Investments Minderheitsbeteiligungen an Startups mit interessanten digitalen Geschäftsmodellen zu erwerben. Auch um wichtiges Knowhow ins Unternehmen zu holen. Hier ist die Mediengruppe heute über den Venture-Fond Capnamic engagiert.

Bild: Dumont