Stehen bald kleine Zahnputzbecher in Startup-Bädern?

Das Hamburger Jimdo gehört zu den jungen Vorzeige-Unternehmen in Deutschland. Die Firma ist erfolgreich und bekam erst vor wenigen Wochen eine Finanzierung in Höhe von 25 Millionen Euro. In der Szene ist Jimdo für seine gute Arbeitsatmosphäre bekannt. Für das positive Gefühl beschäftigt das Unternehmen, das einen Baukasten für Webseiten anbietet, eine Feel-Good-Managerin: Sie versteht die Firma als eine „große WG“, richtet Räume mit Sofas und Pflanzen gemütlich ein und animiert Mitarbeiter zum Sport.

Jimdo beschäftigt weltweit 200 Mitarbeiter. Im Hauptquartier in Hamburg sitzen 180 davon, ihr Durchschnittsalter liegt bei 31 Jahren. Bereits Anfang 2013 hat Jimdo mit der Planung einer eigenen Kita begonnen, in der heute acht Kinder im Alter zwischen drei Monaten und drei Jahren betreut werden. „Bei uns hat die Familie einen hohen Stellenwert und so war es selbstverständlich, dass wir eine Kita für unsere Mitarbeiter bauen. Das Angebot, den Nachwuchs in unmittelbarer Nähe zu haben, wird sehr positiv angenommen“, erzählt Gründer Matthias Heinze im Gespräch mit Gründerszene.

Die Kita von Jimdo in Hamburg

Die 120 Quadratmeter große Kita im Hauptquartier wurde in Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg und dem Bezirk Altona gebaut. Sie erstreckt sich über zwei Etagen: Auf einer Etage befindet sich eine Spielfläche und die Küche. Auf der anderen Ebene sind Schlaf- und Wickelbereich. Für bis zu 30 Stunden in der Woche ist die Betreuung für die Kinder von Jimdo-Mitarbeitern kostenlos. Für weitere Stunden muss selber gezahlt werden.

Auch das Berliner Unternehmen Idealo plant die Eröffnung seiner Kita für den Herbst. Zwei Jahre hat die Planung gedauert, derzeit liefen die Bauarbeiten am neuen Standort in Kreuzberg „auf Hochtouren“, wie Gründer Albrecht von Sonntag sagt. „Eine betriebsnahe Kita war schon immer eine Herzensangelegenheit von mir. Dass die Kinder zusammen mit ihren Eltern Mittag essen können, war und ist das übergeordnete Ziel.“

Viele andere Startups und junge Unternehmen müssen sich derzeit ebenfalls mit dem Thema Kind und Karriere beschäftigen. Der Grund: Laut vieler Firmen liegt der Altersdurchschnitt in ihren Unternehmen zwischen 28 und 31 Jahren. Bei der Geburt ihres ersten Kindes sind Frauen in Deutschland im Schnitt 29 Jahre alt – tendenziell steigt das Alter. Das heißt: In diesen Jahren werden viele Gründerinnen und Gründer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Startups zum ersten oder wiederholten Mal Eltern. Sie alle stellen sich die Frage, wie sie Kind und Karriere unter einen Hut bekommen – und fordern Lösungen von ihren Arbeitgebern. Für die Startups bedeutet das: Planen und umdenken, um die guten Mitarbeiter nicht zu verlieren.

Fragt man in der Szene herum, zeigt sich jedoch schnell, dass eine Kita für die meisten jungen Unternehmen nicht so „selbstverständlich“ ist wie für Jimdo. Von wenigen Gründern hört man Sätze wie von Idealo-Chef Albrecht von Sonntag: „Wenn man technische Exzellenz gewinnen und halten möchte, muss man sich heutzutage eben auch deren Lebenssituation anschauen. Kitaplätze sind sehr knapp, gerade in Berlin – auch hiermit wollen wir auf die Bedürfnisse unserer Mitarbeiter eingehen.“

Tatsächlich ist es in Berlin für Eltern schwierig, einen Kita-Platz für ihr Kind zu bekommen. Aktuellen Angaben zufolge werden 70 Prozent der Ein- und Zweijährigen sowie 94 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen in Berlin in einer Kita oder von einer Tagesmutter betreut. Die Stadt investiert zwar Jahr für Jahr in neue Kita-Plätze, doch immer wieder gibt es Engpässe. Es stellt sich die Frage, warum nicht mehr Startups – gerade in Berlin – eine Kita bauen. Offenbar ist das nicht so einfach. Gründer und Geschäftsführer klagen über die strengen – und teuren – Forderungen der zuständigen Bezirke. In Berlin kümmert sich beispielsweise die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft um das Thema. Jeder Bezirk hat zudem eine eigene Kita-Aufsicht, die den Bau einer Kita kontrolliert. Ist die Fläche groß genug? Gibt es eine Küche? Ein passendes Bad? Einen Garten? Hat der Boden das richtige Material? Zudem müssen Unternehmen, die eine eigene Kita planen und dabei gefördert werden wollen, mit dem Jugendamt absprechen, ob es in dem jeweiligen Bezirk überhaupt Bedarf für weitere Plätze gibt.

Der Garten von Bloomy Days ist groß. Für eine Kita reicht das aber nicht.

Über die vielen Vorschriften hat sich auch schon Gründerin Franziska von Hardenberg geärgert. Sie wollte in den Büro-Nebenräumen ihres Startups Bloomy Days eine kleine Kita einrichten. Doch die Räumlichkeiten entsprachen trotz Garten und großer Zimmer nicht den Anforderungen. Eine eigene Küche hätte gefehlt, der Boden hätte ausgetauscht werden müssen. „Wir würden gerne eine eigene Kita aufbauen, aber der finanzielle Aufwand wäre einfach zu groß“, sagt von Hardenberg. „Mich ärgert es, dass es so viele bürokratische Hürden gibt. Ich verstehe wirklich nicht, warum die Stadt einem so viele Steine in den Weg legt.“

Selbst Zalando, einer der größten Arbeitgeber in Berlin, hat noch keine Kita. Der E-Commerce-Gigant beschäftigt in Berlin derzeit mehr als 3.500 Mitarbeiter. 60 Prozent sind Frauen. Das Durchschnittsalter liegt bei 29 Jahren. Es gibt derzeit wohl kein anderes junges Unternehmen in Deutschland, dass sich aktuell so sehr mit dem dem Thema Kinderbetreuung beschäftigen muss. Bisher kooperiert Zalando aber nur mit einigen Kitas in Berlin, wie HR-Chefin Frauke von Polier gegenüber Gründerszene erzählt. „Wir planen eine eigene Kita in der Zukunft. Allerdings sind Kooperationen mit Kitas für uns genauso interessant, da die meisten Eltern ihre Kinder eher in der Nähe des Zuhauses unterbringen als am Arbeitsplatz. Von daher arbeiten wir daran, gute Beziehung zu verschiedenen Kitas aufzubauen.“ 25 bis 30 Kooperationen mit Kitas in Berlin habe Zalando bereits, sagt von Polier. Doch auch in diesen Kitas gebe es keine Platzgarantie für Kinder von Zalando-Mitarbeitern.

Zalando will sich deshalb bemühen, alternative Angebote für Eltern zu fördern. Das Unternehmen hat mehrere sogenannte Eltern-Kind-Räume eingerichtet, in denen Eltern arbeiten können, wenn sie ihr Kind mit ins Büro bringen. So müssen Mütter oder Väter nicht zu Hause bleiben, wenn die Nanny krank ist oder die Kita-Mitarbeiter streiken. Außerdem hat das Unternehmen eine Familien-Hotline, bei der Mitarbeiter anrufen können, wenn sie eine Kita, Tagesmutter oder einen Babysitter suchen oder Hilfe bei bürokratischen Hürden benötigen. „Der Service kommt sehr gut an. Schließlich kommen viele unserer Mitarbeiter nicht aus Deutschland“, sagt von Polier.

Außerdem versucht Zalando, den Mitarbeitern flexible Arbeitszeiten zu ermöglichen und auch Teilzeit-Kräfte zu fördern. Führungskräfte würden für diese Veränderungen geschult. So dürften sie Meetings mit Teams, in denen Eltern arbeiten, nicht mehr zu spät in die Abendstunden legen. „Uns ist es sehr wichtig, dass Mütter und Väter auch nach der Geburt flexibel weiterarbeiten können“, sagt von Polier. „Deswegen schulen wir unsere Führungskräfte. Sie sollen Voll- und Teilzeitkräfte nicht unterschiedlich behandeln und alle Mitarbeiter gleichermaßen fördern.“

Eine Kita zu bauen, ist für Unternehmen also eine Herausforderung. Aber eine, die gerade die größeren Unternehmen wie Zalando meistern müssen. Jimdo oder Idealo sind in dieser Hinsicht Vorbilder. Jimdo-Gründer Matthias Heinze sagt sogar, es sei „gar nicht so schwer“ gewesen die Kita zu bauen. „Wir haben verschiedene Optionen gehabt und die mit der Stadt durchgesprochen“, sagt Heinze. Zwei Vollzeit-Betreuerinnen und eine Teilzeitkraft hat das Unternehmen angestellt. Sieben Plätze sind noch frei. Etwas komplizierter war es offenbar für Idealo in Berlin, eine Kita zu bauen: „Einfach war und ist es nicht“, gibt von Sonntag zu. „Die größte Herausforderung war in jedem Fall, die Anforderungen an eine Kita in einem Altbau zu erfüllen. Es bedurfte vieler Gespräche mit den Ämtern und wir haben eine Menge dazu gelernt.“

Bild: Bild: Westend61 / Getty Images