Roland Liebscher-Bracht in einem seiner Youtube-Videos

Die Gesundheitsbranche ist nicht gerade für besonders innovatives digitales Marketing ihrer Produkte bekannt. Doch dass sich eine kleine Firma in diesem Geschäft vor allem durch cleveres Storytelling einen Namen machen kann, zeigt die Geschichte von Liebscher & Bracht. Das Familienunternehmen aus Bad Homburg ist auf Youtube und Facebook extrem erfolgreich und verkauft so Zehntausende Faszienrollen, die gegen Schmerzen helfen sollen. Der Jahresumsatz dürfte 2017 auf zehn Millionen Euro steigen.

„Meine Eltern (sie ist Ärztin und er Maschinenbauer) haben über 30 Jahre eine Schmerztherapie entwickelt – und die letzten zehn Jahre versucht, diese erfolgreich im Gesundheitsmarkt zu etablieren”, sagt Raoul Bracht, der die Geschäfte des Unternehmens Liebscher & Bracht führt. Seine Eltern Petra Bracht und Roland Liebscher-Bracht arbeiten vor allem an ihrer selbst entwickelten Therapie, die durch Behandlung von „muskulär-faszialen Fehlspannungen“ Schmerzen ohne Medikamente oder Operationen beseitigen soll.

Seit 30 Jahren tüftelt das Unternehmen nicht nur an einer Therapie, sondern auch an einem funktionierenden Geschäftsmodell. Erst 2009 habe es einen richtigen Ausreißer gegeben: „Nachdem meine Eltern 2009 bei Stern TV zu Gast waren, haben uns die Leute die Bude eingerannt und sogar der RTL-Server ist zusammengebrochen. Aber das war nur ein kurzer Ausschlag, wie ihn viele Startups von der Höhle der Löwen jetzt wohl kennen. Da das Marketing nicht nachgezogen wurde, gerieten wir langsam aber sicher wieder in Vergessenheit“, so Bracht in einem Interview mit OMR. „2013 kannte uns  fast niemand mehr und es lief richtig scheiße. Ich habe dann einfach meinen Bank-Job gekündigt und bin in das Unternehmen meiner Eltern eingestiegen.“

Von einer Online-Marketing-Idee habe direkt nach Raoul Brachts Einstieg keine Rede sein können, also greift er zu fragwürdigen Methoden: „Damals war ich so verzweifelt auf der Suche nach Reichweite und Kunden, dass ich sogar in Bulgarien von dubiosen Geschäftsleuten über 100.000 Fax-Adressen gekauft habe, um das Geschäft am Leben zu halten. Wie das Ganze dann abgelaufen ist? Trotz der Flut an Abmahnungen war das Ergebnis ROI positiv”, so Bracht. Ein kleiner Erweckungsmoment sei der Auftritt von Gary Vaynerchuk auf der OMR-Bühne Anfang 2015 gewesen: „Mich hat inspiriert, wie er das Wein-Business seiner Eltern online aufgestellt hat. Ich hatte wenig Zeit für Kreativität und habe einfach überlegt, was ich für uns schnell abgucken und in unseren Bereich übersetzen und umsetzen kann – ganz pragmatisch.”

Ein schwerer Start auf Youtube

In dieser Phase habe Bracht erkannt, dass Plattformen wie Youtube und Facebook die Bekanntheit des Unternehmens und der Schmerztherapie immens pushen könnten. Zu der Zeit verdiente Liebscher & Bracht vor allem Geld über die Schulung von Therapeuten, die diese Schmerztherapie anwenden wollten. Heute kommen noch Produkte wie Faszienrollen-Sets, Nahrungsergänzungsmittel und Lehrvideos dazu. Mit Faszienrollen hat das Unternehmen natürlich ein schon bestehendes Trendthema für sich entdeckt.

Raoul Bracht

Auf Youtube sei der Start aber – wie für so viele – extrem schleppend verlaufen. „Erst als ich Ende 2015 am Online Marketing Rockstars Traction Day mit dem Macher des Youtube-Kanals ‚Animated Surprise Eggs‘ gesprochen habe, wurde mir klar, was das für unser Thema bedeutet und was für eine Power uns das geben könnte. Ab da haben wir richtig Gas gegeben und jeden Tag ein Video hochgeladen!“

Diese Strategie habe sich dann auch als der größte Reichweitenhebel auf der Plattform erwiesen. Mittlerweile sind 400 Youtube-Videos zusammengekommen. Der Kanal hat über 150.000 Abonnenten und insgesamt mehr als 23 Millionen Views. 75 Prozent der Videoklicks kommen laut Bracht derzeit über Videoempfehlungen auf Youtube, das häufige Posten erhöhe die Chance, in den Suggestions neben anderen Videos oder auf der Startseite zu landen. „Mittlerweile ranken wir bei den großen Keywords auf YouTube extrem gut; bei Rückenschmerzen dominieren wir die Top-10-Suchergebnisse mit acht von zehn Videos. Da kommt natürlich niemand mehr an uns vorbei”, so Bracht.

Zuletzt war ein Liebscher & Bracht-Video über eine aus Sicht von Roland Liebscher-Bracht falsche Schlafposition in den Top-10 der deutschen Youtube-Trends gelandet. Innerhalb von drei Wochen kommt das Video auf über 930.000 Views. Aber auch ohne großen Push durch solch eine Platzierung in den Trends erreichen viele Clips auf dem Kanal über 100.000 und 200.000 Views. Meist zeigt Roland Liebscher-Bracht hier, welche Übungen er empfiehlt, um Schmerzen loszuwerden.

Laut Raoul Bracht sei das Geheimnis des Youtube-Erfolgs ausschließlich kontinuierliche Arbeit mit den richtigen Keywords und Beschreibungstexten. „Videos als Ads auf YouTube zu pushen, hat für uns gar nicht funktioniert. Wir haben auf super relevante Keywords geboten und trotzdem war die Verweildauer der Nutzer extrem schlecht – bis heute haben wir dafür keine Erklärung”, sagt Bracht. Der Kanal profitiert aber sicher davon, dass viele Menschen sich mittlerweile im Internet über körperliche Beschwerden informieren. Laut einer Statistik von Eurostat suchen 63 Prozent der Deutschen zuerst bei Google nach Symptomen. Eine echte Chance für inhaltsgetriebene Gesundheitsunternehmen.

Das zentrale Gesicht des Unternehmens – nicht nur in den Videos – ist also Roland Liebscher-Bracht. Diese Personal Brand sei für den Erfolg der ganzen Firma sehr wichtig gewesen, so Raoul Bracht: „Als ich das erste Mal vom Influencer-Hype hörte, habe ich über 90 Influencer angeschrieben, aber kein einziger hat geantwortet. Da waren wir mehr oder weniger gezwungen, quasi selbst zu einem zu werden – im Nachhinein bin ich heil froh, denn jetzt gehört uns die Reichweite.”

Das Unternehmen firmierte vor dem Einstieg Raoul Brachts unter „LNB Schmerztherapie“. Die Umbenennung in das persönlichere Liebscher & Bracht sowie der Aufbau des Vaters zum Influencer im Schmerzbereich habe sehr zum Erfolg beigetragen. Nutzer würden mittlerweile auch gezielt nach dem neuen Namen suchen, obwohl das Unternehmen auf den meisten Kanälen das eingängigere „Die Schmerzspezialisten“ als Zusatz verwendet.

Die zweite wichtige Plattform für Liebscher & Bracht ist Facebook. „Wir haben auf Facebook in den letzten Jahren auch viel falsch gemacht und zu wenig mit den Fans interagiert. Jetzt sind zwei Leute im Unternehmen, die ausschließlich den Kanal moderieren und in kürzester Zeit auf Fragen antworten”, sagt Raoul Bracht. Zehn Leute seien insgesamt nur für Online Marketing zuständig.

Liebscher & Bracht OM-Team

Das Online-Marketing-Team von Liebscher & Bracht – mit Teamleiter Jan Brakebusch (4. v. rechts)

Die Brand hat mittlerweile knapp 260.000 Fans auf der Plattform. Meist postet das Social-Media-Team Beiträge vom Liebscher & Bracht-Blog, kurze, auf Facebook abgestimmte Videos und Verweise auf neue Youtube-Clips. Viele Beiträge kommen auf über 1.000 Likes und Hunderte Shares. Die Facebook-Statistik des Accounts, die OMR einsehen konnte, zeigt 215.000 Beitragsinteraktionen, knapp 330.000 Video-Views und über 3.000 neue Fans im Zeitraum vom 20. bis zum 26. November.

Liebscher & Bracht Traffic 1

Die Traffic-Statistik für einen ausgewählten Blogbeitrag von Liebscher & Bracht (Klick zum Vergrößern)

Das Engagement pusht Brachts Team auch durch regelmäßiges Schalten von Facebook-Anzeigen. Im Durchschnitt koste ein Klick auf die eigene Webseite etwa zehn Cent. Bei Anzeigen auf den eigenen Shop erziele das Unternehmen einen Cost per Order von sieben Euro auf der Plattform – bei einem Warenkorb-Wert von 87 Euro. Für einzelne Blog-Beiträge ist Facebook dadurch der größte Traffic-Kanal geworden. Die Statistik eines Beispiel-Blogposts, die OMR vorliegt, zeigt, dass über 50 Prozent der Klicks auf einen Beitrag über Facebook kommen. Eine weitere Statistik zeigt, dass die Webseite insgesamt 590.000 Sitzungen im Monat erreicht – wobei das Team professionelles SEO erst seit Anfang 2017 vorantreibe.

Monats-Traffic des Blogs von Liebscher & Bracht (Klick zum Vergrößern)

Klare Ansagen und Gewinnspiele, um Fans zu gewinnen

„Wenn du bei Facebook wachsen willst, musst du den Leuten klare und direkte Anweisungen geben: ,Liked den Beitrag! Teilt den Beitrag! Klickt auf Gefällt mir!`, sagt Raoul Bracht. Diese Strategie habe für neue Fans gesorgt. Ein weiteres Ziel sei es gewesen, viele Bewertungen auf Facebook zu erreichen. Wer eine Menge gute Bewertungen vorweisen kann, erhöht die Chance vom Facebook-Algorithmus ausgewählt und auch organisch in die Newsfeeds der Fans gespült zu werden.

„Durch die Erfahrung, dass man die Leute triggern muss, konnten wir über Gewinnspiele richtig viele Fans dazu animieren, uns auf Facebook zu bewerten. Ganz easy: ‚Teile uns deine Erfahrungen mit unseren Übungen durch eine ehrliche Facebook Bewertung mit und gewinne 1 von 5 Faszien-Sets.‘ So haben wir mal an einem Wochenende über 400 Bewertungen einkassiert“, sagt Raoul Bracht. Mittlerweile hat das Unternehmen über 1.800 Bewertungen auf der Plattform – bei einem Durchschnitt von 4,8 von fünf Sternen.

Über 130.000 Newsletter-Abonnenten durch kostenlose Whitepaper

Der wichtigste Kanal, um die eigenen Produkte abzusetzen, ist aber weder Youtube, noch Facebook, noch Google. „Als Verkaufsfunnel mit werbenden Videos funktioniert Youtube für uns gar nicht, da ist E-Mail-Marketing der Kanal Nummer 1”, sagt Bracht. Bei jeder neuen Spar-Aktion, die Liebscher & Bracht an den Verteiler schicke, würden die Verkäufe explodieren. „Da E-Mails für uns so gut funktionieren, haben wir unseren Verteiler auf über 130.000 Adressen hochgezüchtet. Durch kostenfreie Content-Whitepaper wie ‚Die 5 besten Übungen gegen Rückenschmerzen‘, die wir über Facebook promoten, generieren wir für circa 20 Cent pro Adresse Tausende neue E-Mail-Adressen pro Monat.“ Bracht investiere so mittlerweile zwischen 10.000 und 20.000 Euro in die Verbreitung des Whitepapers und damit die Sammlung neuer E-Mail-Adressen.

Liebscher & Bracht Newsletter

Newsletter-Statistik von Liebscher & Bracht (Klick zum Vergrößern)

Eine Statistik aus dem E-Mail-Tool Mailchimp, die Raoul Bracht mit OMR geteilt hat, zeigt für den Verteiler des Unternehmens eine durchschnittliche Öffnungsrate von über 33 Prozent und eine Klickrate von fast 18 Prozent. Vor allem die Klickrate liegt über dem Durchschnitt, den wir im digitalen Marketing sehen.

Bewertungen bedeuten Absatz – bei Amazon

Neben dem Online-Shop ist Amazon der zweite wichtige Kanal für die Produkte von Liebscher & Bracht. Derzeit sei das Verhältnis 60-40 zu Gunsten des eigenen Shops. Amazon wachse als Absatzkanal aber deutlich schneller: „Der Umsatz über Amazon hat sich im Vergleich zum letzten Jahr verdreifacht”, so Bracht. Dabei gehe es vor allem um das Top-Produkt, das Faszienrollen-Set.

Allein im November habe das Unternehmen über 10.000 dieser Sets verkauft – für 50 bis 100 Euro. Insgesamt werde Liebscher & Bracht 2017 erstmals mindestens zehn Millionen Euro umsetzen. 40 Prozent dessen käme über Schulungen und Fortbildungen für Therapeuten, 60 Prozent über Produktverkäufe und Webinare.

Den Amazon-Erfolg der Faszienrolle führt Bracht auf die große Anzahl an Bewertungen zurück. Amazon honoriert Produkte, die viele gute Bewertungen haben, durch höhere Platzierungen im Produktranking. „Wir haben bei Amazon über 800 Bewertungen auf unserem Hauptprodukt – als das am höchsten bewertete Produkt der Kategorie werden wir von Amazon auf den Produktseiten der Konkurrenz angezeigt – was unsere Verkäufe brutal gepusht hat.” Erreicht habe Bracht die Vielzahl an Bewertungen durch den Paketen beigelegte Flyer mit der Aufforderung, das Produkt zu bewerten. Hinzu kommt, dass Liebscher & Bracht etwa auf das Keyword „Faszienrollen“ bietet und sich so einen Spitzenplatz im Ranking zusätzlich erkauft.

Ein Buch als Marketing-Instrument

Einen Verkaufserfolg der ganz anderen Art hat das Unternehmen vor Kurzem mit einem eigenen Buch gefeiert: „Wir haben allein zwischen Mitte Oktober und Ende November über 80.000 Ausgaben von ‚Die Arthrose-Lüge‘ verkauft. Das war ein riesen Hebel für alle anderen Kanäle, bei dem wir gemerkt haben, wie stark Offline unser Online-Business noch unterstützen kann. Wenn Gary Vaynerchuk ein Buch pro Jahr veröffentlicht, machen wir das jetzt auch“, so Bracht. Das etwas martialisch benannte Buch zeigt Übungen, um bestimmte Schmerzen zu bekämpfen – so wie es Liebscher & Bracht auch in ihren Videos machen.

Liebscher & Bracht Buch

Das Buch von Liebscher & Bracht bei Amazon

Das Buch sei ein perfektes Offline-Marketing-Instrument für das Unternehmen. Seine Mutter und sein Vater machen als Autoren sowieso nur 80 Cent pro verkauftem Exemplar. Die Bekanntheit der Marke hätte sich durch das Buch noch einmal deutlich erhöht. Da es vom Verlag als Ratgeber und nicht als Sachbuch deklariert wurde, habe es laut Bracht aber keine Chance auf die Spiegel Bestsellerliste, was sicher noch einmal für viel Absatz gesorgt hätte. Insgesamt sei sein Vater jetzt gern gesehener Redner auf vielen Veranstaltungen und ein bekanntes Gesicht in der Szene.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei OMR.com.

Bild: Screenshot Youtube