"Drone flying over Hong Kong cityscape, Hong Kong"

Der Mann, der hier Rede und Antwort stehen soll, wird in einer Limousine mit getönten Scheiben in die Tiefgarage gefahren. Damit möglichst niemand von seinem Besuch erfährt, steigt er dort in einen Fahrstuhl, der ihn direkt in die Vorstandsetage bringt, zu einer Vorstandssitzung, die unbedingt geheim bleiben soll.

Etwa zur selben Zeit fährt, nur ein paar Meter entfernt, ein blauer Kleinwagen auf den Parkplatz eines Baumarkts. Der Fahrer steigt aus und holt eine handgroße Drohne aus dem Kofferraum, an der Unterseite hat er eine gute Kamera angebracht. Er lässt die Drohne langsam steigen und steuert sie auf jenes Büro zu, in dem die Vorstände zweier Unternehmen sitzen.

Es dauert keine fünf Minuten, dann ist das hochgeheime Treffen, bei dem ein Millionendeal verhandelt wird, eine Firmenübernahme, nicht mehr geheim. Denn der Mann auf dem Parkplatz macht mithilfe seiner Drohne Fotos, die so detailliert sind, dass man jedes Gesicht klar erkennen kann. Zufrieden wischt der Mann mit dem Zeigefinger über die Fotos, die die Drohne direkt auf sein Handy überträgt. Er holt die Drohne zurück, verstaut sie im Kofferraum und schickt die Fotos an einen Auftraggeber, den er nicht kennt. Er hat seinen Job erledigt.

Spionage für ein paar Hundert Euro

Deutsche Unternehmen sind ein beliebtes Ziel internationaler Industriespione. Die hacken sich in Computernetzwerke von Firmen, anonym, unerkannt. Jetzt droht auch vom Himmel Gefahr. Denn immer öfter werden Firmen aus der Luft angegriffen, mithilfe von Drohnen.

Bisher konnten sich Firmen mit Mauern oder Zäunen gegen Attacken schützen, mit Warnschildern, Wachhunden und Alarmanlagen. Doch gegen Angriffe aus der Luft nützt all das nichts. Nie zuvor hatten es Kriminelle leichter, Firmen nahe zu kommen. Sie besorgen sich Drohnen oder mieten sie, Piloten und Kamera gleich mit. Es kostet nur ein paar Hundert Euro. Für viele Unternehmen ist es, als würde ein Albtraum wahr. Für Autohersteller etwa, die den „Erlkönig“ eines neuen Modells auf einer Teststrecke fahren lassen wollen. Sie können längst nicht mehr sicher sein, dass nicht irgendein Konkurrent zusieht.

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Markus Piendl, 43 und Sicherheitsexperte der Deutschen Telekom, kennt etliche Fälle, in denen Unternehmen so ausgespäht wurden. Unternehmen, die die Prototypen eines ihrer Produkte baugleich auf Messen in Fernost wiederfanden. Firmen, die hochauflösende Drohnenbilder geschickt bekommen, mit der Drohung, ein Konkurrent könnte sehr an diesen Fotos interessiert sein. Um zu verhindern, dass die Fotos in falsche Hände geraten, sollen die Unternehmen den anonymen Erpresser Geld bezahlen, das in der Digitalwährung Bitcoin überwiesen werden soll.

600.000 Drohnen in Deutschland

Seit Anfang dieses Jahres bietet die Telekom ihren Kunden deshalb einen Drohnen-Schutzschild an. „Der Bedarf nach einem Schutz gegen Drohnen wächst massiv“, sagt Wilfried Joswig, Chef des Verbandes für Sicherheitstechnik.

Die Zahl der Drohnen explodiert. Bis Ende des Jahres wird es nach Schätzung der Deutschen Flugsicherung (DFS) allein in Deutschland 600.000 Drohnen geben. In drei Jahren sollen es in ganz Europa sieben Millionen sein. Je mehr Drohnen, desto mehr Zwischenfälle. Illegales Fliegen in den Einflugschneisen von Flughäfen, Transport von Drogen, Handys und Waffen in Gefängnisse, Wirtschafts- und Industriespionage, all das ist inzwischen Alltag.

Joswig und sein Verband für Sicherheitstechnik haben sich mit dem Fraunhofer-Institut, mit Hochschulen und Herstellern zusammengetan und wollen erforschen, wie man der neuen Bedrohung Herr werden kann. Erste Ergebnisse erwartet Joswig in gut einem Jahr. Inzwischen arbeiten Ingenieure mit Hochdruck an Technologien, die zum Schutz eingesetzt werden können.

Promis auf Mallorca schützen

Zu den Pionieren gehört das Kassler Unternehmen Dedrone. Es verdankt seine Gründung einem Drohnenunfall während eines Wahlkampfauftritts von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Dresdner Neumarkt vor knapp vier Jahren. Nur zwei Meter vor der Kanzlerin stürzte eine Drohne auf die Bühne.

Die Teilnehmer der Veranstaltung schmunzelten, zwei Männer aber – Ingo Seebach und Jörg Lamprecht – nahmen den Vorfall zum Anlass, um eine Technologie zum Schutz vor zivilen Drohnen zu entwickeln und gründeten ein Unternehmen. Inzwischen schützt Dedrone bereits mehr als 200 Objekte, darunter das Suffolk-County-Gefängnis in den USA und das Sportstadion Citi Field in New York. Auch die TV-Debatten der US-Präsidentschaftsbewerber Donald Trump und Hillary Clinton im vergangenen September und Oktober wurden von Dedrone gesichert.

Wer sich vor Drohnen schützt, will das naturgemäß nicht öffentlich machen. Die Hersteller müssen daher Vereinbarungen unterschreiben, dass sie die Namen ihrer Kunden nicht preisgeben. Also halten sie es wie Frank Pokropp, Geschäftsführer des Sicherheitsspezialisten Freihoff und bleiben vage: „Wir schützen zwei VIPs auf Mallorca vor neugierigen Drohnen“, sagt er. Beide gehören laut „Forbes“-Liste zu den 100 reichsten Menschen der Erde, die sich vor allem vor Fotos in britischen Boulevardzeitungen fürchten. Kommt eine Drohne in die Nähe ihres Grundstücks, spielt die Lautsprecheranlage auf dem Gelände einen bestimmten Song. „Dann weiß jeder, dass sich eine Kamera nähert“, sagt Pokropp.

Dieser Text erschien zuerst in der Welt.

Bild: Gettyimages/Colin Anderson


"Drone flying over Hong Kong cityscape, Hong Kong"

Technik ist noch ausbaufähig

Aber nicht alles, was Sicherheitsdienstleister in ihren Broschüren versprechen, können sie tatsächlich auch halten. So jedenfalls kommt es der Telekom vor. Als sie ihr Drohnen-Schutzprogramm entwickelte, bestellte sie mehr als 25 nationale und internationale Hersteller zum Probefliegen auf einen Flugplatz südlich von Ulm. Dort überraschte sie die Teilnehmer mit Szenarien, bei denen Drohnen aus verschiedenen Richtungen unter anderem versteckt hinter Fußgängern oder Fahrzeugen auf ihre Ziele zusteuerten.

Das Ergebnis ernüchterte die Spezialisten der Telekom. Viele Dienstleister hatten schon Probleme, eine Drohne zu erkennen. Sie hielten sie für Vögel oder Regentropfen, am Ende lag keine beweissichere Dokumentation vor. Erst ein zweiter Test brachte bessere Ergebnisse.

Inzwischen bietet die Telekom ihren Kunden einen Baukasten an, aus dem Unternehmen sich je nach Budget und Schutzbedürfnis einen Schutz gegen Drohnen zusammenstellen können. Zu den Partnern gehört Dedrone, die Radargeräte, Frequenzscanner und Hochleistungsmikrofone steuern mehrere Firmen aus dem In- und Ausland bei. Durch die unterschiedlichen Technologien kann das System auch Drohnen erkennen, die ohne Verbindung zu einer Fernbedienung bestimmte Wegpunkte abfliegen. Natürlich nennt auch die Telekom ihre Kunden nicht, mit einer Ausnahme: die Telekom. Sie schützt ihre eigenen Rechenzentren.

Fluggeräte einfach abschießen, ist nicht möglich

Tatsächlich hat jeder Hersteller seine Stärken und Schwächen. Die Lösungen von Dedrone und Rohde & Schwarz erfassen durch ständig aktualisierte Datenbanken, welches Drohnenmodell im Anflug ist. Denn jede Drohne hat eine Art DNA, die unter anderem auf Grundlage der Radiofrequenz erkannt wird. Die Sensoren von Rohde & Schwarz können sogar den Standort des Piloten ausfindig machen, allerdings ist das teuer. Die Reichweiten unterscheiden sich teilweise deutlich: Der Radiofrequenzsensoren von Dedrone reichen derzeit einen Kilometer weit, mit der nächsten Generation soll diese Entfernung mehr als verdoppelt werden. Die hochauflösenden Kameras haben eine Reichweite von bis zu 250 Metern, Mikrofone eine von etwa 70 Metern.

Die meisten Systeme belassen es dabei, einen Drohnenanflug zu erkennen – und verzichten auf eine physische Abwehr. Zum einen ist das Abfangen einer Drohne schwierig, wenn man verhindern will, dass sie einfach vom Himmel fällt und Menschen verletzt. Es gibt zwar zahlreiche Versuche – mit Fangnetzen, die vom Boden abgeschossen werden, oder mit Greifvögeln, die in die Propeller der Drohnen greifen. Doch so richtig gut funktioniert das bisher alles nicht.

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Besser klappt es, das Funksignals zwischen dem Piloten und seiner Drohne zu stören, Experten nennen das „Jamming“. Eine Sicherheitsfunktion, die viele Drohnen haben, führt dazu, dass sie entweder direkt landen oder zum Piloten zurückfliegen. In Deutschland ist das Jamming allerdings nur „behördlichen Bedarfsträgern“ wie der Polizei erlaubt. Die Bundesnetzagentur reagiert sehr sensibel auf solche Versuche, den Funk zu stören. Technisch würde es inzwischen funktionieren.

Ein elektromagnetischer Puls soll helfen

Die Firma Rohde & Schwarz etwa hat auf einem Flugplatz vorgeführt, wie man gezielt eine bestimmte Drohne stört. Das Jamming des Herstellers fokussiert sich ausschließlich auf deren Frequenz, sodass etwa Polizeidrohnen in der Nähe nicht gestört sind. Andere Hersteller wie HP Wüst stören breitbandig – und damit auch andere Geräte, die auf Funk angewiesen sind.

Jamming ist wohl eine der Möglichkeiten, mit denen sich künftig Großveranstaltungen vor Terrorangriffen aus der Luft schützen lassen. Denn Drohnen können problemlos mehrere Kilo Sprengstoff transportieren. Manche Hersteller arbeiten deshalb mit Rüstungsunternehmen zusammen.

Das Drohnenabwehrsystem Guardion etwa ist entstanden, als der damalige US-Präsident Barack Obama im vergangenen Jahr Hannover und den G-7-Gipfel auf Schloss Elmau besuchte. Zu diesem System gehören „elektromagnetische Abwehrmaßnahmen“, die in der Branche als „ganz große Keule“ gelten: Ein elektromagnetischer Puls legt die komplette Elektronik des Zielobjekts lahm. Er stoppt selbst Autos.

Großes Interesse der Autoindustrie

Apropos Autos. Auch die Autohersteller haben Hoffnung, dass eines ihrer großen Probleme zu lösen ist. Sie betreiben immensen Aufwand, um das Aussehen neuer Prototypen möglichst lange geheim zu halten – oft vergeblich. Denn auch Paparazzi unternehmen große Anstrengungen, Fotos von Erlkönigen zu machen, die sich teuer verkaufen lassen, zum Beispiel an andere Autohersteller.

Doch nun gibt es einen Schutzschirm, der erkennt, wenn in der Nähe eine Drohnen-Fernsteuerung eingeschaltet wird. Die Funktion kann dem Fahrer Zeit geben, den Prototyp zu stoppen und einen Sichtschutz darüberzuwerfen. Sie könnten ebenso gut dem Werkschutz eines Unternehmens die Zeit geben, die Jalousien in der Vorstandsetage rechtzeitig herunterlassen, oder der Gefängnisleitung zu signalisieren, dass sie die Zelltüren verschließen sollte, weil eine Drohne im Anflug ist.

Die Telekom scheint sich gut gewappnet zu haben, die Welt am Sonntag hat deren Schutzschirm in München getestet. Dort sichert der Konzern sein Rechenzentrum mit Dutzenden Sensoren, die auf dem Dach und an dem Gebäude angebracht sind: Radiofrequenzmesser, die Funk- und WLAN-Verbindungen zwischen Piloten und Drohne erfassen; Multisensoren mit Mikrofonen und hochauflösenden Videokameras. So erfasste die Sicherheitszentrale die Anwesenheit einer Drohne schon, bevor wir unsere Fernbedienung überhaupt mit ihr verbunden hatten. Ein Hochleistungsmikrofon hat die Telekom allerdings nicht installiert. In ihrer Nähe sind einige Rotlicht-Etablissements. Sie wollte den Nachbarschaftsfrieden nicht gefährden.

Dieser Text erschien zuerst in der Welt.

Bild: Gettyimages/Colin Anderson