In Kreuzberg regt sich Widerstand gegen die Pläne des Suchmaschinenriesen Google

Für Stefan Klein ist dieser Kampf etwas Persönliches. Eine späte Rache für das, was ihm vor zehn Jahren in Frankfurt passiert ist. Damals flog Klein aus seiner Wohnung im Nordend, weil das Gebäude erst verkauft und dann luxussaniert wurde. Klein, ein 56-jähriger Jurist mit breiten Schultern, roten Wangen und einer dicken Lederjacke, ist immer noch wütend wegen dieser Sache. Deswegen steht er jetzt, an einem Dezemberabend kurz vor Weihnachten, auf der Straße und brüllt einer Menge von rund 100 wütenden Leuten zu: „In Kreuzberg lassen wir uns so was nicht bieten.“

Klein ist einer von Kreuzbergs lautesten Gentrifizierungsgegnern. Und das will in dem Revoluzzerbezirk etwas heißen. Bekannt geworden ist er, weil seine Initiative „GloReiche“ die Kreuzberger Bäckerei Filou vor der Zwangsräumung gerettet hat. Der Vermieter war so genervt von den Petitionen, Kundgebungen und eingeschlagenen Scheiben, dass er schließlich aufgab.

Stefan Klein, Initiator der Nachbarschafts-Initiative gegen den Google-Campus in Kreuzberg

Von so viel Erfolg verwöhnt, hat sich Klein dieses Mal einen viel mächtigeren Gegner ausgesucht: den Milliardenkonzern Google. Denn der US-Suchmaschinenriese will in dem Gebäude, vor dem die Demonstranten mit ihren Transparenten jetzt stehen, im kommenden Jahr einen Google-Campus errichten. Laut Konzern ist das Projekt harmlos, geradezu altruistisch. Google hat 3.000 Quadratmeter eines ehemaligen Umspannwerks am Paul-Lincke-Ufer gemietet, um dort Start-up-Firmen zu unterstützen – mit Schulungen, technischer und unternehmerischer Beratung.

Mieten im Kiez noch weiter in die Höhe treiben

Trotzdem sind viele dagegen, nicht nur Protestführer Klein. Die demonstrierenden Anwohner glauben, dass Google und seine Meute von jungen Tech-Unternehmern die Mieten im Kiez noch weiter in die Höhe treiben werden. Die Demonstranten an diesem Abend skandieren im Chor: „Go, go, Google, go!“ Es ist die typische Kreuzberger Mischung: ergraute Altlinke, junge Punks, Türken mit Schnäuzern, Mütter mit Kindern, Hausfrauen, Ladenbesitzer aus dem Viertel, dazwischen einige Internetaktivisten mit großen Kapuzen.

Ein Kindergartenkind hält ein handgemaltes Schild mit der Aufschrift „Fuck off Google“ in die Höhe – was man in Kreuzberg so unter Früherziehung versteht. Die Mutter des Jungen erzählt, dass sie mehrmals erfolgreich gegen ihren Vermieter vor Gericht gezogen sei, der sie aus der Wohnung ekeln wollte, erfolglos.

Kreuzberg war schon immer eine Gegend, in der sich die Leute nichts gefallen lassen. Doch während die Wut sich früher gegen Polizei und Reiche richtete, fühlt sich das alte Kreuzberger Biotop aus Türken, Hausbesetzern, Ökos, Alkis und Künstlern jetzt von einer neuen Spezies bedroht: den Hipstern und Yuppies, die es cool finden, inmitten der kreativen Boheme zu wohnen – und Kreuzberg in den vergangenen zehn Jahren zu einem der teuersten Wohnungsmärkte der ganzen Stadt gemacht haben.

Dringend wieder mehr Bambule machen

Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht einem Mieter die Wohnung oder einem Gewerbetreibenden der Laden gekündigt wird. Erst vor Kurzem hat eine Investmentgesellschaft auf der Oranienstraße eine ganze Häuserzeile gekauft. Mehr als 80 Läden haben sich deswegen zu einem Bündnis zusammengeschlossen, um die Zwangsräumung der Kindergeschäfte, Spätis und Lotto-Shops zu verhindern.

Auch Achim Koppitsch findet, man müsste dringend wieder mehr Bambule machen. Der 59-jährige Alt-Kreuzberger mit der knallblauen Wollmütze und der roten Trainingsjacke lehnt am Tresen seines Plattenladens „Heisse Scheiben“ – direkt gegenüber dem künftigen Google-Campus. Er zog in den 80er-Jahren als Bundeswehrflüchtling aus Schwaben nach Kreuzberg und ist nie wieder gegangen. Bald ist allerdings Schluss mit seinem Geschäft: Der Vermieter hat ihm die Miete verdoppelt. Koppitsch kann das unmöglich zahlen. „Hilft ja nix“, sagt er, zuckt die Schultern.

Achim Koppitsch, Inhaber des Plattenladens „Heisse Scheiben“

Ob ihm auch ohne Google die Miete erhöht worden wäre, könne er natürlich nicht sagen. Aber es helfe den Gewerbepreisen in der Gegend sicher nicht, dass dieser Gründercampus mitten im Wohnviertel entstehe. In dem Gebäude werden laut Google 50 bis 200 Menschen täglich ein und aus gehen, um Workshops zu besuchen, sich zum Netzwerken zu treffen oder im Google-Café das kostenlose WLAN zu nutzen. Feste Büros soll es im Campus nicht geben – die geförderten Start-ups werden sich wohl oder übel Gewerberäume in der Umgebung suchen müssen.

Bild: Namensnennung Bestimmte Rechte vorbehalten von Flo.Cr; Bilder im Text: Tina Kaiser

In Kreuzberg regt sich Widerstand gegen die Pläne des Suchmaschinenriesen Google

Literweise Gülle durch die Eingangstür gekübelt

Der friedliche Protest vor dem Haus werde Google sicher nicht abhalten, in das Umspannwerk zu ziehen, sagt Koppitsch. „Dafür müsste man die schon persönlich angreifen.“ Wie damals, als in den 80ern einmal ein Edel-Restaurant zur Schließung gezwungen wurde. Autonome hatten literweise Gülle durch die Eingangstür gekübelt. Koppitsch lacht: „Das waren noch Zeiten.“

Dass die Zeiten sich geändert haben, merkt man auch daran, dass die Demonstranten draußen vor der Tür nun einem PowerPoint-Vortrag lauschen. Es geht darum, wie sehr die Mieten in San Francisco gestiegen sind, seit Google und andere Tech-Firmen ihre Mitarbeiter mit kostenlosen Shuttlebussen aus der Stadt ins Silicon Valley karren.

Die Protestkultur in Kreuzberg hat sich professionalisiert. Gegen den mächtigen Tech-Konzern tritt nicht nur eine Handvoll verschiedener Nachbarschaftsinitiativen wie die von Gentrifizierungsgegner Klein an. Sie haben auch eine Gruppe von Google-Hassern dazugeholt, die sonst andere Methoden als den Straßenkampf bevorzugt: Internetaktivisten und Hacker.

Unter anderen Umständen wäre er Teil des Problems

Einer von ihnen nennt sich Sergey Schmidt, ein Mittdreißiger mit Vollbart und einer Brille, die einen schwarzen Balken über seine Augen legt – auf Fotos ist er nicht erkennbar. Für den Kampf gegen die „Datenkrake Google“ hat er sich den besonderen Namen gegeben. Er ist zusammengesetzt aus dem Vornamen des Google-Gründers Sergey Brin und des langjährigen Konzernchefs Eric Schmidt – und für den Aktivisten ein „ironisches Symbol dafür, dass Google ohnehin viel zu viel über die Menschen und ihr Privatleben weiß“. Unter anderen Umständen wäre Sergey wahrscheinlich aus Sicht der Gentrifizierungsgegner Teil des Problems: ein weiterer Hipster, der wegen der kreativen Energie nach Kreuzberg gezogen ist und wie selbstverständlich mit jedem Englisch redet.

Schmidt ist in der Welt der Internetaktivisten kein Unbekannter. Jahrelang hat er sich in Brüssel für Bürgerrechte und Datenschutz im Internet eingesetzt. Seit er vor zwei Jahren nach Berlin zog, befindet er sich in einer Art Sabbatical, das er nun außerplanmäßig unterbrochen hat.

Lest auch

Zu der Kreuzberger Bewegung ist er erst vor wenigen Wochen hinzugestoßen, als er ein Poster sah: Das Plakat warb für ein Anti-Google-Meeting, das jeden zweiten Sonntag in einer anarchistischen Bibliothek stattfindet. Seit Schmidt zu diesen Lagebesprechungen geht, wird dort Englisch geredet. Neben Gentrifizierungs- und Mieterschutzaktivisten kommen auch Autonome und seit Neuestem Hacker. Jeder ist erwünscht, der für die gemeinsame Sache kämpft: Google loszuwerden. Während die einen überlegen, ob Protestmärsche reichen oder man nicht doch zur Farbbombe greifen sollte, ist Schmidt für den digitalen Kreuzzug zuständig.

Die Zahl der Gegner steigt ständig

Ende November hat er eine Protest-Website mit dem vielsagenden Namen fuckoffgoogle.de ins Internet gestellt. Bei der Seite wird klar, dass es Schmidt nicht nur um steigende Mieten geht. Die Internetaktivisten haben ein viel grundsätzlicheres Problem mit dem Konzern. Sie halten Google für einen asozialen Steuerflüchtling und für ein gefährliches Unternehmen, das ungezügelt private Daten aufsaugt und damit zu einer Bedrohung für Demokratie und Bürgerrechte geworden ist. So jemanden, ruft Schmidt den Demonstranten zu, wolle man nicht als Nachbarn haben. „Wenn jemand bei euch einzieht, der eure Post durchwühlt und durchs Schlüsselloch guckt, würdet ihr den doch auch rauswerfen wollen.“

Die meisten Menschen auf der Demo geben zu, Google bislang gedankenlos genutzt zu haben. Aber Schmidts Website hat nicht nur dazu geführt, dass sich der Protest wie ein virales Lauffeuer in sozialen Netzwerken verbreitet und die Zahl der Google-Campus-Gegner ständig ansteigt. Sondern auch, dass die Leute beginnen, die Dienste des Konzerns zu hinterfragen.

Google ist solchen Widerstand nicht gewöhnt. Das Start-up-Zentrum in Kreuzberg soll der weltweit siebte Standort werden – in allen anderen Städten wurde der Konzern freundlich empfangen. Es scheint fast so, als hätten die Amerikaner bei der Standortwahl nicht alle Faktoren bedacht. Kreuzberg ist zwar kreativ, aber auch nie darum verlegen, einem Konzern einen PR-GAU zu verpassen.

Es wäre nicht als erste Mal, dass ein Unternehmen an Kreuzbergs Revolutionsgeist scheitert. 2012 wollte der Autokonzern BMW hier ein zweimonatiges Denklabor eröffnen – und musste es nach massivem Widerstand absagen. Das Labor fand schließlich weitgehend ungestört statt: ein paar Kilometer weiter, im schon nicht mehr alternativen Stadtviertel Prenzlauer Berg.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Namensnennung Bestimmte Rechte vorbehalten von Flo.Cr