Rubin Ritter, Co-Chef von Zalando, schien fast ein wenig irritiert über die Frage, ob der Online-Modehändler nicht allmählich eine Dividende für die Anteilseigner ins Auge fasse. Schließlich steht der Shooting-Star unter Deutschlands digitalen Handelsneugründungen kurz vor dem zehnten Geburtstag, da könnte ein Bonbon für die Anteilseigner deren Laune durchaus heben. Doch Ritters Antwort bei der Präsentation der Geschäftsergebnisse 2017 ließ keinerlei Raum für Renditeträume made by Zalando: „Wir haben derzeit keine Absicht, eine Dividende zu zahlen.“

Das Management des E-Commerce-Unternehmens kennt bis auf Weiteres nur eine Richtung: Größenwachstum. Mit hohen Investitionen werden die Kunden bei der Stange gehalten und weitere hinzugewonnen, Verteilzentren gebaut, Firmen und Marken übernommen, Märkte erobert. Die Investitionen schraubte das Unternehmen 2017 um gut 60 Millionen auf 244 Millionen Euro hoch, im laufenden Jahr will der Konzern sogar 350 Millionen in den Geschäftsausbau stecken.

Viele Anteilseigner hatten gehofft, dass Ritter und seine Kollegen allmählich dazu übergehen würden, die Früchte früherer Investitionen einzufahren. Immerhin fährt der Konzern inzwischen fast 4,5 Milliarden Euro Umsatz jährlich ein. Wie groß die Enttäuschung über die ungebremste Vorwärtsstrategie ist, ließ sich nach Veröffentlichung der Zahlen am Börsenkurs ablesen: Mit zeitweise mehr als fünf Prozent im Minus war Zalando einer der schwächsten Werte des Tages.

Investoren reagierten vor allem aufgeschreckt darüber, dass die Gewinnmarge 2017 gegenüber dem Vorjahr um mehr als einen Prozentpunkt abgesackt ist und mit 4,8 Prozent zudem knapp unter den eigenen Prognosen blieb. Da Ritter für die nächste Zeit keine Hoffnung auf eine Kursänderung macht, sprangen viele ab.

Zalando braucht noch mehr Schwergewicht

Das Berliner Führungsteam des Unternehmens hat eine andere Sicht der Dinge. Der gesamte Modemarkt in Europa sei mit 420 Milliarden Euro riesengroß, und allein der Online-Bereich komme auf 56 Milliarden, rechnet Zalando vor. Die Schlussfolgerung liegt nahe: Wer diesen Markt als wesentlicher Spieler mitbestimmen will, braucht Schwergewicht. Es bestehe noch reichlich Wachstumsspielraum, sagt Ritter: „Wir räumen dem Wachstum weiterhin Vorrang vor der Gewinnmarge ein.“ Zalando folgt damit einer ähnlichen Logik wie der ungleich größere (und mehr als doppelt so alte) US-Konzern Amazon.

Das wird Zalandos neuer Campus

Auch im kommenden Jahr will Zalando der Konkurrenz Marktanteile abknöpfen und das Geschäft wie schon 2017 und im Vorjahr um mehr als ein Fünftel steigern. Das wäre ein Mehrfaches des durchschnittlichen Marktwachstums und würde das Zalando-Geschäft um eine weitere Milliarde nach oben schieben. Der Versender profitiert nicht nur von einer steigenden Kundenzahl – sie wuchs innerhalb des vergangenen Jahres um gut drei Millionen auf 23 Millionen –, sondern auch davon, dass die einzelnen Käufer mehr bestellen.

Neue Verteilzentren sind unter anderem in Lodz und Stettin, Verona und Stockholm im Bau oder gerade fertig und fahren ihren Betrieb hoch. Sie sollen dazu beitragen, besseren Komfort etwa durch taggleiche Lieferungen oder neue Rücksendungsvarianten zu bieten. Viel Geld steckt das Unternehmen nach eigenen Angaben derzeit in Software, die die Personalisierung des Online-Einkaufs vorantreibt, etwa durch auf den Kunden zugeschnittene Shops.

Weitere Expansion in neue Märkte

Eines der größten Projekte ist der bevorstehende Einstieg in den Beauty-Bereich. Gestartet als Schuhspezialist, will sich das Unternehmen nun offensichtlich als Lifestyle-Anbieter profilieren, der alle Themen rund um Mode und Stil abdeckt.

Angeboten werden demnächst Kosmetik-, Haut- und Haarpflegeprodukte, Parfums und Accessoires in allen Preiskategorien. Gleichzeitig plant das Unternehmen – erstmals seit Jahren – wieder den Einstieg in zwei neue Märkte. Es werde sich um europäische Länder handeln, so Ritter. Welche genau, ließ er noch offen.

Das forcierte Wachstum ist offenbar nur mit deutlich mehr Personal zu bewältigen. Schon im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Mitarbeiter von 12.000 auf 15.000, in diesem Jahr sollen weitere 2000 hinzukommen, „der Großteil davon in Berlin“, wie das Unternehmen mitteilte.

Mögen viele Aktionäre die Geduld mit der ihrer Meinung nach zu einseitigen Ausrichtung aufs Größenwachstum verlieren, für die Beschäftigten ist der Kurs des Managements eine gute Nachricht.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Aurelien Morissard/IP3/Getty Images