Markus Hänel (Foto) gründete ZenMate 2013 zusammen mit Simon Specka

„Es ist eine Tragödie“, twitterte Edward Snowden im Sommer dieses Jahres, „das wird Russland weniger sicher und weniger frei machen.“ Gemeint war Russlands Gesetzesinitiative 276-FZ. Eine neue Vorschrift, die digitale Dienste nicht nur verpflichtet, Nutzerdaten von Russen auf russischen, kontrollierbaren Servern zu speichern, sondern sie auch zwingt, die auf einer staatlichen Liste notierten Internet-Seiten zu blockieren. Der Zensurvorwurf von Kritikern ließ nicht allzu lange auf sich warten.

Droht das Aus für VPNs in Russland?

Traditionell umgehen Nutzer in weniger liberalen Ländern Blockierungen durch VPN-Dienste. Diese verschleiern, wo sich die Nutzer befinden, und gaukeln so beispielsweise vor, dass der Website-Besucher aus den Niederlanden oder Singapur angesurft kommt. Der Datenstrom wird dafür über einen ausländischen Server geleitet. Das verspricht Anonymität. Besonders in Ländern wie Thailand, Indonesien, China, Saudi-Arabien oder der Türkei ist der Anteil der VPN-Surfer hoch: Während in Deutschland nur fünf Prozent aller Nutzer auf VPNs zugreifen, verschlüsseln in diesen weniger freiheitlichen Staaten 18 bis 24 Prozent ihre Webbewegungen. Doch damit soll nun nach China auch in Russland Schluss sein. Dienste, die von der Regierung gesperrte Webseiten über das Umleiten auf ausländische Server zugänglich machen wollen, sollen im Zweifel künftig selbst blockiert werden. Für VPN-Dienste könnte es das Aus in Russland sein.

Das Berliner Startup ZenMate will nun aber einen Weg gefunden haben, dies zu umgehen: Ihr VPN-Dienst, der seine Nutzer bisher mit einer falschen digitalen Identität tarnt, tarnt sich zusätzlich selber – im globalen Datenstrom. „Wir nennen das den Resilience-Modus“, sagt Gründer Markus Hänel. Dabei will das Startup die digitale Spur seiner Nutzer dem von großen Traffic-Quellen wie Google oder Amazon angleichen und sie so verstecken. Blockiert der russische Staat auch solche Web-Ströme, würde nicht nur ZenMate ausgeschaltet, sondern auch die Angebote der großen Internet-Giganten. Ein drastischer Schritt, vor dem die Behörden wohl zurückschrecken, hofft man bei dem Berliner Startup.

Machen sich Nutzer strafbar?

Trotzdem macht sich ZenMate ab November in Russland mit seinem Service strafbar. Nach derzeitigem Stand hätten aber zumindest die russischen Nutzer von ZenMate oder Urlauber in Russland nichts zu befürchten, so Hänel. Denn das Gesetz ziele einzig auf die Service-Anbieter, nicht auf die User.

„Es ist derzeit ein Trend, dass das Internet von Nationen eingeschränkt wird“, sagt Hänel, „nicht nur in China und Russland.“ ZenMate fühle sich aber der politischen Neutralität verpflichtet, so Hänel. „Wir halten uns an deutsche Gesetze.“ Den neuen Sperrforderungen aus Russland will man aber nicht nachgeben. „Wir entwickeln seit zwei Jahren an dem Tarn-Modus“, sagt der Berliner Gründer. „Zuvor war es ein technisches Katz-und-Maus-Spiel zwischen Kontrolleuren und VPN-Anbietern.“ Nun hofft man bei ZenMate der staatlichen Überwachung technisch voraus zu sein – zumindest eine Weile. 

Seine meisten Nutzer hat ZenMate in Südkorea, den USA, der Türkei, Deutschland, Russland und Großbritannien. 42 Millionen User haben sich seit der Gründung 2013 registriert. Ihnen bietet das Startup einen kostenlosen und einen Bezahl-Account an. Damit will ZenMate noch dieses Jahr seinen Break Even erreichen. Zuletzt besonders stark gewachsen, ist das Startup laut Hänel in Russland, der Ukraine, den USA und Australien. Viel Erfahrungen mit staatlicher Zensur hat ZenMate hingegen in der Türkei gemacht. „Wir sind in der Türkei Marktführer und extrem populär“, sagt Hänel, „wir sind dort omnipräsent.“

Doch als die Regierung in Ankara Ende vergangenen Jahres soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter blockieren ließ, stand plötzlich auch ZenMate auf der schwarzen Liste. Dort hat ZenMate das erste Mal seinen Resilience-Modus getestet – mit guten Ergebnissen, wie der Gründer heute sagt. „Es ist technisch gar nicht so einfach, das Internet zu zensieren“, so Hänel. „Im Iran hat man das auch versucht. Mit dem Effekt: Für Tage fiel das Internet fast komplett aus.“ Die Behörden ruderten daraufhin zurück. Es fehlte schlicht das Know-How bei den Zensurbehörden. 

Der Streysand-Effekt

In Russland hofft das Startup im November, mit dem Start des Gesetzes, viele neue Nutzer gewinnen zu können. „Dadurch, dass Staaten das Netz zensieren wollen, gibt es einen enormen Streysand-Effekt“, sagt Hänel, „Nutzer setzen sich mit dem Thema stärker auseinander – und lernen überhaupt erst, was VPNs sind.“ Allerdings ist ZenMate auf dem Markt nicht alleine. Wettbewerber gibt es einige, darunter IPVanish und NordVPN. Auch der Opera-Browser wirbt mit einem eingebauten, kostenlosen VPN um Nutzer.

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Hinweis: Axel Springer ist Gesellschafter der Business Insider Deutschland GmbH, dem Medienhaus von Gründerszene. Der Verlag ist Investor von ZenGuard GmbH, dem Unternehmen hinter dem VPN-Dienst ZenMate. Weitere Informationen zu Business Insider findet ihr hier: www.businessinsider.de/informationen/impressum

Bild: ZenMate