Torsten Gollewski ist Geschäftsführer der Zukunft Ventures GmbH des Autozulieferers ZF
Torsten Gollewski ist Geschäftsführer der Zukunft Ventures GmbH, einem Tochterunternehmen des Autozulieferers ZF.

Die Abkürzung ZF steht für Zahnradfabrik. Doch das Unternehmen im idyllischen Friedrichshafen hat mehr auf der Agenda, als Autogetriebe zu bauen. Gemeinsam mit Hightech-Partnern wie Nvidia oder Baidu arbeitet die Firma am autonomen Fahren. Ein Prototyp kurvt bereits durch die Straßen der Kleinstadt. Torsten Gollewski ist Geschäftsführer der Zukunft Ventures GmbH, dem Wagniskapital- und Innovationsarm des Autozulieferers ZF. Er erklärt im Gespräch mit Gründerszene und NGIN Mobility, wohin die autonome Reise geht.

Herr Gollewski, Sie sind vor wenigen Wochen von der Consumer Electronics Show in den USA zurückgekommen. Was war Ihr Eindruck?

Seit Jahren stellen wir fest, wie Consumer- und Automobilelektronik immer enger zusammenwachsen. Dieser Trend wird sich weiter verstärken – sei es im Infotainment, beim autonomen Fahren oder in der Cybersecurity. In diesen Bereichen bietet sich ein enormes Potenzial. Deswegen ist eine Messe wie die CES die richtige Plattform, um die Innovationen von ZF zu präsentieren.

Welche Trends sehen Sie?

Ein Dauerthema ist die lokal emissionsfreie Mobilität, sprich: Elektroantriebe. Hier wird der Schub Richtung CO2-Reduzierung noch zunehmen. Nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen – in wenigen Jahren drohen Strafzahlungen, wenn die CO2-Ziele im Flottenverbrauch verfehlt werden. Hier ist ZF ohnehin im Rahmen seiner Vision Zero aktiv, die eine Zukunft der Mobilität ohne Emissionen und ohne Unfälle anstrebt. Ein weiteres Thema ist die zunehmende Vernetzung des Automobils.

Welche Vorteile bietet das vernetzte Fahrzeug für die Zukunft?

Für den Verkehrsteilnehmer spielt natürlich der Sicherheitsaspekt eine große Rolle: Wenn Autos ihr Umfeld erkennen und miteinander kommunizieren, wird das Unfälle vermeiden können. Carsharing- und Transportdienstleister wie Moia, Uber, Lyft und Google profitieren von den Möglichkeiten, sich besser mit dem Kunden zu verbinden. Auch für den Hersteller eröffnen sich neue Geschäftsfelder. Heute verkauft ein OEM beispielsweise in der Regel ein Fahrerassistenzsystem einmalig beim Erstverkauf des Autos. In Zukunft könnte man diese Systeme in der Funktion ähnlich wie einen App-Store gestalten: Kunden buchen sich digitale Komfortdienstleistungen je nach Situation, und zwar entweder für die einzelne Nutzung oder als Abo für einen bestimmten Zeitraum.

Wie behalten Sie den Zugang zu neuen Technologien?

Die Vorentwicklung der ZF Friedrichshafen AG ist sehr breit aufgestellt und technologiefokussiert. Wir können so frühzeitig Trends erkennen, nutzen und in unser Produktportfolio aufnehmen. Außerdem wird die Vorentwicklung in Personalunion mit unserer Venture-Kapitalgesellschaft Zukunft Ventures GmbH geführt. Somit besitzen wir ein weiteres strategisches Element, um auf Technologietrends und disruptive Änderungen – siehe die bereits erwähnte Vernetzung – reagieren zu können. In dieser Kombination sind wir so nah am Puls der Zeit, dass wir selbst schwache Signale auf dem Markt wahrnehmen, die aber für die Zukunft großes Potenzial versprechen.

ZF ist ja auch in China unterwegs. Muss sich die deutsche Autoindustrie vor den Chinesen fürchten?

Meiner Meinung nach müssen sich weder OEMs noch Zulieferer verstecken. Wenn Sie sich die Patentstatistik beim autonomen Fahren anschauen, dann sehen Sie, dass die deutsche Automobilindustrie in Sachen Technologiekompetenz hervorragend positioniert ist. Aber natürlich gibt es auch in China ein gewaltiges Potenzial, das wir gerne im Rahmen von Kooperationen nutzen. Wir gehen Partnerschaften mit den dortigen Firmen ein und realisieren auf diese Weise eine Entwicklungsgeschwindigkeit, die mit der Marktveränderung mithält oder eben auch schneller sein kann.

Haben Sie ein Beispiel?

Mit unserem Partner Baidu [der größte chinesische Karten- und Suchmaschinenkonzern, das Google von China, Anmerk. d. Red.] haben wir in kürzester Zeit Dinge aufgelegt, die wir aus eigener Kraft in der Geschwindigkeit nicht hätten stemmen können. Baidu hat hervorragendes digitales Kartenmaterial und eine große Expertise bei künstlicher Intelligenz sowie Big Data. Mit Baidu schreiten wir sehr pragmatisch und professionell voran, wie man an der kürzlich vorgestellten autonomen Fahrzeugplattform Apollo 2.0 sieht.

Wie viel ZF-Technik steckt denn in Baidus autonomem Auto Apollo 2.0?

Die Software von Apollo 2.0 läuft auf unserer KI-fähigen Fahrzeugsteuerbox ZF ProAI, die wir zusammen mit Nvidia entwickelten.

Sind solche Kooperationen ein Muster für die Zukunft?

Meiner Meinung ja, wenn man dem Wandel der Branche effektiv begegnen will. Beide Unternehmen bringen ihre Stärken zusammen: ZF liefert die Sensoren und die Rechnereinheit, von Baidu kommen der Software-Stack, Funktionen oder auch Kartendaten. Wir entwickeln beide auf einer Plattform neue Funktionen, was aus meiner Sicht eine hervorragende Ausgangsposition ist. So können wir beispielsweise schon jetzt autonome Fahrfunktionen nach Level 3 ermöglichen.

Hat China die Dimension der Elektromobilität erkannt?

China hat die Herausforderung der Elektromobilität und des autonomen Fahrens früh erkannt und aufgegriffen. Entsprechend werden dort die Weichen gestellt. Bei Baidu spricht man von „Chinese Speed“ und „Chinese Way“. Das ist sehr beeindruckend.

Brauchen wir für Zukunftstechnologien auch in Deutschland eine Art Chinese Way, damit Innovation schneller vorankommt?

Ich bezweifle, dass das geht. Wir haben hier eine andere Ausgangsposition, wenn es um die Zulassungsfähigkeit von autonomen Systemen geht. Dies muss unter anderem berücksichtigt werden.

Von China zurück nach Deutschland: Auf der CES hat ZF ein neues Versuchsfahrzeug vorgestellt. Welches Level des autonomen Fahrens erreicht dieses? Level 3 , also das hoch automatisierte Fahren?

Nein, dieses Auto ist bereits auf in Richtung Level 4 getrimmt. Es könnte vollautomatisch in begrenzten Gebieten fahren. Wir haben aber einen Sicherheitsfahrer aktuell an Board, der im Notfall eingreifen kann.

Wann kommt diese Technologiestufe auf den Massenmarkt?

Wir werden in sogenannten „Geofenced Areas“, also in kleinen oder abgesperrten Bereichen, Level-4-Systeme relativ früh sehen. Erste Anwendungen könnten 2020 kommen. Aber da reden wir noch nicht über den Einsatz im öffentlichen Verkehr, sondern über die erwähnten abgesperrten Gebiete. Und wenn es das im öffentlichen Bereich gibt, dann nur mit einem ganz dezidierten Einsatzbereich. Wir sehen ja schon erste Testfelder – etwa in Bad Birnbach oder auf der Insel Sylt. Dort werden autonome Transportsysteme für Personen im öffentlichen Nahverkehr erprobt, die auf Level 4 autonom fahren.

Wird das autonome Fahren eher über das individuelle Auto oder durch Transportdienste auf den Markt kommen?

Momentan sehe ich zwei Szenarien: Zum einen muss die Industrie dem Privatkunden einen entsprechenden Mehrwert bieten, um ein Fahrzeug auf Level-4-Ebene interessant zu machen. Zum anderen können Flottenbetreiber ein anderes Geschäftsszenario rechnen und viel früher eine Kapitalrendite erzielen, wenn sie fahrerlose Systeme nutzen.

Wie wichtig sind schnelle Mobilfunkverbindungen für das autonome Fahren?

Eine schnelle Mobilfunkverbindung ist entscheidend für das autonome Fahren. Lassen Sie mich zwei Beispiele anführen: Zum einen kann es bei weiten und umfangreichen Strecken der Fall sein, dass man Kartendaten oder weitere Informationen nachladen muss. Zum anderen werden wir in Bereichen, wo wir mit Umfeldsensoren nicht durch Mauern hindurchsehen können, schnelle und zuverlässige Funksysteme brauchen, die eine Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation ermöglichen.

Welche Rolle spielen Startups bei der Entwicklung des autonomen Fahrens?

Unser Leitmotiv bei ZF lautet „See, Think, Act“: Wir wollen Fahrzeuge sehen, denken und handeln lassen, um damit Unfällen vorzubeugen und das autonome Fahren voranzutreiben. Durch unsere ZF Zukunft Ventures GmbH finden wir viele Startups, die „See“ und „Think“ anbieten, aber keine eigenen Mittel für die Trajektorie [die Lösung oder der Entwicklungspfad, Anmerkung d. Red.], also „Act“, besitzen. Dort nutzen sie traditionelle Fahrzeuge, weil es schwer und aufwendig ist, alleine eine Trajektorie umzusetzen. Das ist aber eine Stärke von ZF, weil wir alle drei Stufen dieses Prozesses abdecken: Wir haben die Sensoren, die Rechner sowie unter anderem den elektrischen Antriebsstrang, die Bremse. Lenkung, Achsen und Dämpfer bei uns im Portfolio. Deshalb können wir beim autonomen Fahren als Systemanbieter auftreten.

Herr Gollewski, vielen Dank für das Gespräch.

Bild: ZF