Unsere Redakteurin hat das ein Shuttle in Hamburg getestet.

Für Holger Spitzner ist es die große Chance. Vor rund einem Jahr, als die Johanniter Unfallhilfe in Hamburg ihren Fahrdienst einstellte, verlor er seinen Job. Jetzt hat er einen neuen: Spitzner, grauer Bart und im Besitz eines Personenbeförderungsscheins, sitzt wieder hinterm Steuer. Er fährt einen der kleinen elektrischen Shuttle-Busse, die Ioki, die Mobilitätsmarke der Deutschen Bahn, gemeinsam mit den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein testweise auf die Straße geschickt hat.

Anders als die Fahrer am Steuer eines Linienbusses fährt Spitzner nicht nach festem Fahrplan. Er kommt, wenn er gerufen wird. Fahrgäste können die Kleinbusse zum Preis eines ÖPNV-Einzeltickets per App bestellen. Spitzner oder einer seiner Kollegen holen sie an einem der Haltepunkte ab, von denen keiner mehr als 200 Meter vom nächsten entfernt liegt. Das Angebot soll in Hamburg eine kleine Verkehrswende einläuten. Das Pilotprojekt in den Hamburger Ortsteilen dient der Deutschen Bahn als Feldversuch für den großen Aufschlag: 2019 sollen weitere Stadtteile eingebunden werden, mehr Autos auf die Straße kommen. Die Shuttlebusse bieten einen komfortablen Anschluss an den bestehenden ÖPNV, wirbt Berthold Huber, Vorstand Personenverkehr bei der Bahn: „So wird die Fahrt mit dem eigenen Auto überflüssig.“

Gut für die Umwelt?

Doch auch die Autobauer rüsten sich im Kampf um die Kunden, die immer häufiger nach individualisierten und flexiblen Angeboten verlangen. Daimler entwickelt mit seiner Tochter Moovel eine Software für digitale Shuttlebusse, die beim Mitfahrdienst „Flex Pilot“ in Stuttgart zum Einsatz kommt. Volkswagen bringt sich mit Moia in Stellung. Etwas später als die Bahn will die Volkswagentochter mit bis zu 200 Fahrzeugen an den Start gehen – ebenfalls in Hamburg. Auch hier werden die extra für den Service entwickelten elektrischen VW-Busse per App bestellt und Fahrgäste mit einer ähnlichen Route „gepoolt”. So nennt die Branche das Zusammenführen von Fahrgästen, die eine ähnliche Strecke fahren wollen. Die Betreiber der Services werben damit, dass ihre Angebote gut für die Umwelt seien, weil sie langfristig die Anzahl der privaten Pkw auf den Straßen verringern würden.

Diesen Artikel lest ihr auch in unserem neuen Magazin, das am 25. September 2018 erschienen ist. Das Heft steht euch hier zum Download bereit.

Kritiker sehen das skeptisch und verweisen auf Studien aus New York und San Francisco. Dort sind Fahrten mit Uber und Lyft Alltag. Die Studien zeigen, dass die Zahl der Fahrzeuge auf der Straße durch die neuen Fahrdienste sogar gestiegen ist. Außerdem kannibalisieren sie die Angebote des öffentlichen Nahverkehrs. Der regionale Zugbetreiber in San Francisco hat nach eigenen Angaben eine Vielzahl an Fahrgästen verloren. Hierzulande sind den kommerziellen Betreibern mit dem geltenden Personenbeförderungsgesetz starre Grenzen gesetzt.

Gesetzliche Auflagen

Bisher dürfen Ridesharing-Anbieter aber nur zeitlich begrenzt und mit Auflagen ihre Dienste in den Städten testen. Oder aber sie nutzen eine rechtliche Lücke und beantragen die Zulassung als Mietwagen oder Linienverkehr – das ist allerdings wieder mit Sonderauflagen wie der Einrichtung virtueller Haltepunkte (Linienverkehr) oder der Rückkehrpflicht verbunden. Zwar wird seit geraumer Zeit eine Lockerung der Auflagen diskutiert. Doch eine Gesetzesänderung lässt weiter auf sich warten. Zu groß ist die Sorge, dass die digitalen Fahrdienste die bestehenden Mobilitätsangebote aus dem Markt drängen.

Matthias Kempf beobachtet die Entwicklung seit einiger Zeit im In- und Ausland. Der Mitgründer und Partner bei Berylls Strategy Advisors berät große deutsche Automobilhersteller und Zulieferer bei der Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte. „Für Verkehrsbetreiber wie die Deutsche Bahn rechnen sich smarte Mobilitätsdienstleistungen zu einem früheren Zeitpunkt als bei anderen“, meint der Experte. Individualisierte Angebote könnten tatsächlich mehr Menschen dazu bringen, statt des eigenen Autos neue Mobilitätsdienste der Öffentlichen zu nutzen. Außerdem ließe sich der Verkehr in Randgebieten mit den digitalen Shuttles effizienter gestalten, ergänzt der Berater. Bisher werden oft zu wenig Menschen in zu großen Bussen umhergefahren. Für die meisten Städte und Kommunen ist der Betrieb des öffentlichen Nahverkehrs in abgeschiedenen Gebieten deshalb ein riesiges Verlustgeschäft. Zuletzt, so Kempf, können mit flexiblen Kleinbussen Randgebiete, in denen bisher kaum Busse oder Bahnen fahren, schnell und kostengünstig eingebunden werden. So wie die Hamburger Stadtteilen Lurup und Osdorf, dem Pilotgebiet der Deutschen Bahn.

Die Wette auf das autonome Zeitalter

Private Anbieter wie Moia indes werden einige Zeit brauchen, bis ihre Dienste wirtschaftlich sind, so Kempf. Damit sich solche Angebote rechnen, „ist eine hohe Nachfrage und Pooling-Quote nötig, oder die Regulierungsbehörden erlauben den Anbietern eine flexible Preisgestaltung”. In dieser Hinsicht haben Anbieter Vorteile, die bereits eine Geschäftsbasis etabliert haben, wie zum Beispiel der zu Daimler gehörende Taxi-Vermittler Mytaxi. Seit einiger Zeit testet der Dienst unter dem Namen „match” eine Pooling-Funktion in Hamburg und Berlin. Rund 5.000 Fahrer sind auf der Plattform registriert – allein in Berlin. Der Vorteil gegenüber Moia, so Kempf: „Mytaxi verfügt über eine große Flotte und kann auf Basis eines bereits funktionierenden Geschäftsmodells das Pooling-Angebot langsam ausbauen.” Ähnlich habe Uber sein Pooling-Produkt Uberpool auf dem US-Markt eingeführt, mit durchschlagendem Erfolg. „Allerdings ist Mytaxi nicht so konsequent für das Pooling konzipiert wie Moia.“ Dass die Verkehrswende in Deutschland nicht über Nacht kommt, weiß auch Moia-Chef Ole Harms. Zuerst einmal müsse Moia mit den neuen Pooling-Angeboten überzeugen. Bisher scheint es an beidem noch zu hapern. Profitabel wolle man erst in einem zweiten Schritt werden, angepeilt sei das Jahr 2025, meint Harms weiter.

Wer hat den längeren Atem?

Um kein Geld zu verbrennen, gehen Moia und Co. zwei Wetten ein: dass sie mit ihrer Lobbyarbeit zur Lockerung des Personenbeförderungsgesetzes Erfolg haben und dass autonome Fahrzeuge in nicht allzu ferner Zukunft auf deutschen Straßen fahren dürfen. Denn in einem Punkt sind sich die meisten Experten einig: Richtig Geld abwerfen werden die Dienste erst, wenn die Fahrzeuge autonom fahren. Keine guten Nachrichten für Ioki-Fahrer Spitzner, er wird dann nicht mehr gebraucht. Allerdings dürfte es Prognosen zufolge noch Jahre dauern, bis in Deutschland Robo-Autos fahren. Optimisten gehen von 2025 aus, andere – wie der Präsident der Fraunhofer Gesellschaft Reimund Neugebauer – sehen für die Technologie vor 2030 keinen Durchbruch. Spitzner kann aufatmen, bis dahin ist er im Ruhestand. Seine jüngeren Kollegen allerdings müssen sich wohl später etwas Neues suchen.

Bild: Chris Marxen / headshots-berlin.de