Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zum Berlkönig-Aus: „Wir müssen einfach vieles testen was den ÖPNV in der Koppelung mit anderen Mitteln attraktiver macht.“
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zum Berlkönig-Aus: „Wir müssen einfach vieles testen was den ÖPNV in der Koppelung mit anderen Mitteln attraktiver macht.“ Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zum Berlkönig-Aus: „Wir müssen einfach vieles testen was den ÖPNV in der Koppelung mit anderen Mitteln attraktiver macht.“

Die Leute lieben den Service, die App funktioniert — allein die Finanzierung fehlt. Am drohenden Aus des Berliner Sammeltaxi-Diensts Berlkönig zeigt sich dieser Tage das ganze Dilemma der Verkehrswende in deutschen Städten. Angesichts schlechter Luftwerte, langer Staus und ambitionierter Klimaziele stehen die Kommunen eigentlich enorm unter Druck, den Umstieg vom Privatauto auf alternative Verkehrsmittel zu forcieren. Gleichzeitig gibt es Streit darüber, wer die neuen Mobilitätsangebote bezahlen soll. Im Fall von Berlkönig war das bis zuletzt die Privatwirtschaft.

Landesregierung und Anbieter streiten über 43 Millionen Euro

Die Firma Viavan, ein Joint Venture von Mercedes Benz Vans und der amerikanischen Firma Via, hatte im September 2018 zusammen mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) im Rahmen eines Pilotprojekts das Ridesharing-Angebot Berlkönig auf die Straße gebracht: Ein Sammeltaxi unter der Flagge der BVG, welches man sich schon für unter fünf Euro per App vor die Tür bestellen kann. Die Kosten für Personal, Fahrzeuge und Software übernahm Viavan. 

Das Experiment gilt als eines der größten Leuchtturmprojekte in Deutschland für eine vielversprechende Public-Private-Partnerschaft — und droht nun doch zu scheitern. Denn die zweijährige Pilotphase läuft Ende April aus, nun soll eigentlich das Land Berlin für die Anschlussfinanzierung einspringen.

43 Millionen Euro pro Jahr wären laut BVG dafür nötig, also rund ein Zehntel des Haushaltsbudgets für die Leistungen des innerstädtischen ÖPNV von 399 Millionen Euro. Die rot-rot-grüne Koalition will diese Summe nicht aufbringen. Dazu haben sich die Fraktionen von SPD und Linken in ihren Sitzungen am Dienstag entschieden. Die Grünen seien zwar gleicher Meinung, stellten einen Beschluss aber zurück, hieß es.

Kritik vom Bund: Der lange Atem habe gefehlt

Auf Bundesebene stößt die Entscheidung des Berliner Senats auf Unverständnis. „Große Städte wie Berlin brauchen Ridesharing-Lösungen wie Berlkönig als Mobilitätsalternative zum Auto“, sagt Thomas Jarzombek (CDU), Startup-Beauftragter des Bundeswirtschaftsministeriums, zu Business Insider. Aus seiner Sicht sei es ein Fehler gewesen, das Projekt an die US-Firma Via zu vergeben. „Es wäre besser gewesen, wenn man das Projekt Berliner Startups anvertraut — und die BVG nicht alles selbst gemacht hätte. Dadurch hat der Berlkönig eine monopolartige Stellung erlangt, Wettbewerber können daneben kaum gedeihen.“

Auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) äußerte sich auf einer Veranstaltung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kritisch dazu. „Ich würde nicht vorschnell über eine neue Situation des Berlkönigs eine Entscheidung treffen. Ich würde den langen Atem als erste Priorität haben. (…) Denn: Wir müssen einfach vieles testen was den ÖPNV in der Koppelung mit anderen Mitteln attraktiver macht.“

Berlkönig war defizitär — im Schnitt nur 1,5 Gäste pro Fahrt

Zu Beginn des Pilotprojekts vor zwei Jahren war die Euphorie in Berlin noch groß. Verkehrssenatorin Regine Günther (Die Grünen) hatte damals von der bequemen und umweltfreundlicheren Alternative geschwärmt. „Mit dem geplanten Pilotprojekt geht Berlin neue Wege“, sagte sie damals. Auch die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Die Grünen) hatte sich optimistisch gezeigt. 

Lest auch

Warum der Berlkönig ihr Wohlwollen verloren hat, ist nicht ganz klar. Ein Blick in die Zahlen offenbart jedoch, dass der Dienst womöglich nicht ganz so erfolgreich angelaufen ist, wie sich viele erhofft haben. Sprich: Er ist der Regierung einfach zu teuer. Denn laut einer Antwort der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Kristian Ronneburg ist der Dienst defizitär. Die Einnahmen würden verwendet, um die laufenden Kosten zu decken.

Das liegt offenbar auch an der geringen Auslastung. Berlkönig war demnach im Durchschnitt der Monate November 2018 bis September 2019 mit 1,5 Fahrgästen besetzt — die Vans haben insgesamt sechs Plätze für Fahrgäste. Dabei wurden 71 Prozent der Fahrten geteilt, das heißt, es waren mehrere Fahrgäste im Fahrzeug. Nur 40 Prozent der Fahrten wurden gebündelt, ergaben sich also aus mehreren Aufträgen. Hinzu kommen zahlreiche Leerfahrten, zum Beispiel bei An- und Rückfahrten zwischen dem Betriebshof sowie drei Ladegängen pro Schicht. Die BVG betont unterdessen, dass es sich um ein Forschungsprojekt handelt. Wirtschaftlichkeit stehe dabei nicht im Vordergrund. 

Weiterbetrieb ohne staatliche Förderung unwahrscheinlich

Noch ist das Schicksal des Berlkönigs nicht endgültig entschieden. Der Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses will am 26. Februar erneut über die Causa Berlkönig beraten. Der Sender RBB berichtet zudem, dass die Viavan-Mutterunternehmen Mercedes Benz Cars und Via in den nächsten Wochen über eine Fortsetzung des Berlkönigs ohne staatliche Unterstützung beraten werden. Die beiden Unternehmen wollten dies auf Anfrage von Business Insider nicht kommentieren.

Der Mobilitätsexperte Friedemann Brockmeyer von der Hamburger Strategieberatung Civity hält einen Alleingang von Viavan jedoch für sehr unwahrscheinlich. „Das Transportgeschäft ist generell margenschwach. Im Ridesharing-Bereich gibt es einen Kostendeckungsgrad von 20 bis 30 Prozent, wenn es gut läuft. Das lohnt sich einfach nicht“, sagte er zu Business Insider.

Hinzu kommt, dass der Berlkönig nach dem Wunsch der BVG nicht nur im profitablen Innenstadtbereich fahren soll, sondern auch in den Außenbezirken. Damit würde er nach Ansicht von Alexander Jung, Mobilitätsexperte bei der ökologisch orientierten Denkfabrik Agora Verkehrswende, den Auftrag eines öffentlichen Verkehrsmittels im Sinne der Daseinsvorsorge übernehmen — und das wird Viavan wahrscheinlich nicht kostenlos machen.

„Auch der ÖPNV ist meilenweit von einer Kostendeckung entfernt. Daher können wir nicht dieselben Eigenschaften von neuen Mobilitätskonzepten fordern, ohne sie zu fördern“, sagte Jung zu Business Insider. Wenn der Berlkönig verschwinde, sei dies ein schlechtes Signal für die Mobilitätswende in Deutschland.

Der Berlkönig-Betreiber Viavan selbst hat die Hoffnung auf eine Lösung noch nicht ganz aufgegeben. „Wir setzen uns weiterhin für seine Zukunft ein“, hieß es in einer Pressemitteilung.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Business Insider Deutschland.
Mehr von Business Insider Deutschland:

Bild: getty images / tobias schwarz