CASE_Axel Harries
Axel Harries, Chef von Case, will den Speed von Startups in den Konzern holen.

Nachdem Daimler-Chef Dieter Zetsche verkündete, dass der Konzern vom Autohersteller zum Mobilitätsdienstleister umgebaut werden soll, sind Startups das Vorbild für die neue Unternehmenskultur. Eine wichtiger Bauteil der neuen Strategie ist die neue Konzerneinheit namens Case. Das steht für Connected, Autonom, Sharing und Elektro.

Axel Harries ist seit 2016 der Chef der Einheit. Unter seiner Verantwortung sollen neue Geschäftsmodelle etabliert werden. Dabei schaut man sich vor allem viel von Startups ab und versucht deren Strukturen in den Konzern zu transferieren. Gleichzeitig ist er auch für die neue Baureihe der reinen Elektrofahrzeuge zuständig, die Ende 2018 auf den Markt kommen sollen.

Daimler will sich nun in vielen Bereichen an Startups orientieren. Wie sieht das genau aus?

Wir haben Case als separate Einheit innerhalb des Konzerns eingerichtet. Hier passt der folgende Vergleich: Case ist das Schnellboot, der Konzern ein Flugzeugträger. Wir können jederzeit das Know-how des Konzerns nutzen. Case soll und wird agil sein und dabei auch mal Wege gehen, die der Konzern nicht nehmen würde. Das können Beteiligungen an Startups sein, das kann auch eine neue Technologie sein, in die wir investieren.

Welche Startups haben Sie da im Auge?

Ein Beispiel ist unser Startup Croove. Das ist eine private Carsharing-Plattform für alle, nicht nur für Mercedes-Kunden. Wir hatten vor drei Monaten in München einen Beta-Launch. Das war so erfolgreich, dass wir den Roll-Out in ganz Deutschland vorbereiten. Das ist für einen Konzern ein ungemein schneller Prozess. Ein zweites Beispiel ist unsere Beteiligung bei ChargePoint in den USA. Wir haben dadurch Zugriff auf Ladestationen. Das Startup ist darüber hinaus eine Softwarefirma. Zum Beispiel bietet ChargePoint eine Warteliste für Ladestationen an. Man kann sich also eine Ladestation reservieren, was heute in Europa in der Form noch nicht möglich ist.

Wie ist die Arbeitsstruktur bei Case? Wie in einem Startup?

Wir haben sehr flache Hierarchien. Ich würde es so beschreiben: Wir arbeiten Scrum-artig, aber nicht immer wie ein Startup. Wir sorgen aber für einen Austausch zwischen den unterschiedlichen Welten. So versuchen wir Manager, die nicht so digital affin sind, mit Software-Ingenieuren zusammenzubringen. Ziel ist es, dass beide Seiten von einander lernen und profitieren. Die Dynamik ist sehr wichtig und die Basis für alles. 

Wie umgeht man generell im Konzern die Reibungen zwischen  Startups und der Old Economy?

Ich weiß gar nicht, ob es da immer eine Reibungsfläche gibt. Ein wesentlicher Punkt ist sicherlich die Zeitleiste, nach der Innovationen ausgerollt werden. Die ist bei software-getriebenen Produkten anders als bei der klassischen Hardware von Mercedes-Benz. Aber Case ist auch für die Elektro-Auto Baureihe EQ zuständig, also für die Hardware. Wir machen beides. Wir implementieren neue Arbeitsmethoden, was wiederum dem Konzern bei anderen Fahrzeuggruppen hilft. 

Können Sie das etwas spezifizieren?

Ganz wichtig ist, sich aktiv zu öffnen; beispielsweise, indem man intensiv in Startups hineinschaut. Und das machen wir. Wir lernen jeden Tag, weil wir dadurch Sichtweisen bekommen, die wir vorher nicht hatten.

Hat es dadurch schon Veränderungen in der Management-Struktur im Unternehmen gegeben?

Eine Konsequenz ist, dass die Kollegen aus dem Bereich Business Innovation jetzt nicht nur beim Konzern angesiedelt, sondern mehr oder weniger zu Case gezogen sind. Das gilt nicht nur für die Kollegen in Stuttgart, sondern auch für die in anderen Hubs, wie im Silicon Valley. Eine weitere Folge der Umstellungen ist, dass wir intern eigene Inkubatoren haben. Die entwickeln Ideen und pitchen diese in einem ganz normalen Prozess wie jedes Startup auch – allerdings vor einer internen Jury. Wir wollen so den Kollegen die Möglichkeit  geben, eine eigene Idee über ein Pilot-Projekt hinaus zu verfolgen und zu begleiten. 

Gehört es auch zu den Aufgaben von Case, Talente aus anderen Startups abzuwerben?

Natürlich. Sindelfingen ist schön, aber wir verstehen auch, dass Berlin oder andere Metropolen ganz andere Reize ausüben. Deswegen haben wir ein Netzwerk aus verschiedenen Hubs in unterschiedlichen Städten aufgebaut, in dem Talente für Case arbeiten. Dazu gehören Standorte wie Berlin, Tel Aviv oder unser Research & Development Center im Silicon Valley. 

Bild: Daimler

CASE_Axel HarriesSind Sie daran interessiert andere Startups zu kaufen? Und hat man dafür auch eigene Mittel?

Die haben wir und wir machen beides. Einerseits kaufen wir uns in Startups ein oder übernehmen sie komplett. Andererseits machen wir auch strategische Investments wie jetzt bei ChargePoint. Diese Investments gehen soweit, dass wir auch einen Sitz im Verwaltungsrat des Unternehmens haben und die Strategie der Firma mitbestimmen können. Mit der Partnerschaft legen wir den Grundstein für eine Vielzahl von Services und Produkten für Privat- und Flottenkunden von Pkw bis zu Nutzfahrzeugen.

Bisher scheint sich das Investment nur auf US-Firmen zu beschränken.

Nein, wir haben uns vor kurzem bei The Mobility House beteiligt. Das ist ein deutsches Startup, das 2009 gegründet wurde. Mobility House beschäftigt sich mit Akkuspeichern für Häuser, aber auch eigenen Ladestationen. Hier sehen wir unter anderem große Synergien für unseren Plan, recycelte Akkus, zum Beispiel aus E-Fahrzeugen, in Energiespeicher für private Haushalte umzuwandeln. 

Wie bewerten Sie generell den deutschen Startup-Markt, zum Beispiel im Vergleich zu dem in den USA?

Es ist erkennbar, dass sich länderspezifische Schwerpunkt-Cluster herausbilden. In Israel steht das Thema Sicherheit der Software und Sicherheit generell stark im Vordergrund. Asien hat komplett andere Geschäftsmodelle, auch im Bereich des E-Commerce. Bei den Schwerpunkten in Berlin und dem Silicon Valley gibt es ebenfalls große Unterschiede. 

Was würden Sie einem deutschen Gründer raten, wenn er sich im Bereich Mobility engagieren möchte?

Das erste, was er wissen sollte, ist, dass sich die Art und Weise verändern wird, wie wir ein Auto betrachten. Es wird eine Mischung aus Besitzen, Teilen und Leihen eines Autos sein. Die Frage ist, wird es künftig „ein Auto“ oder „mein Auto“ heißen? Ich gehe davon aus, dass hier irgendwann kein Unterschied mehr besteht. Der entscheidende Faktor wird sein, wer die Wünsche der Kunden antizipieren kann. Das sind die Geschäftsmodelle, die in der Zukunft erfolgreich sein werden. 

Welche B2C und B2B Modelle werden sich in diesem Bereich entwickeln?

Ganz wichtig sind Marktplatzlösungen, die auf Peer2Peer-Basis arbeiten wie zum Beispiel unsere private Carsharing App Croove. Solche Mobilitätsplattformen werden wirtschaftlich hoffentlich sehr erfolgreich werden. Man darf auch die großen Unternehmen nicht vergessen, die eine ganze Flotte von Firmenwagen haben. Allein das Management dieser Flotte ist ein breites Feld für neue Geschäftsideen.

Wenn Sie einen Ausblick wagen – wo steht Case in fünf Jahren?

Ich gehe davon aus, dass Case in fünf Jahren wichtige Produkte und Services für den Konzern aufgebaut hat. Wir werden weiter das Schnellboot des Konzerns sein und immer wieder neue Ideen und Geschäftsfelder aufbauen. Wir werden neue Wertschöpfungsketten sehen und hoffentlich für viele Kunden intuitive Mobilitätslösungen bieten.  

Vielen Dank für das Gespräch!

Bild: Daimler