Daimler testet sein vollautonomes Auto in China – und nicht in Deutschland.

Vor wenigen Wochen tauchte die Meldung auf, Daimler sei in Peking mit einem autonomen Fahrzeug in der Stadt unterwegs, das schon Level 4 Autonomie beherrscht. In den Medien fand das erstaunlicherweise wenig Beachtung. Dabei gab es zwei Überraschungen bei dieser Nachricht. Zum einen: Daimler besitzt ein Versuchsfahrzeug der Stufe vier, das einsatzfähig ist. Zum anderen: Die chinesische Regierung lässt den deutschen Hersteller damit im chaotischen Stadtverkehr von Peking zwischen Fahrradfahrern, Motorrollern und Autos herumfahren. Offenbar sind sich beide Seiten sicher, dass da nichts passiert.

Geht es ums autonome Fahren, schaut alle Welt ins Silicon Valley – und ein bisschen nach Stuttgart beziehungsweise Ingolstadt, wo Daimler und Audi an ihren autonomen Autos werkeln. Rankings zeigen, dass vor allem Alphabet (Google), GM (Cruise, Lyft) und Tesla die Nase im Rennen um das erste funktionierende Level-5-Auto vorne haben. In einer aktuellen Liste des Wirtschaftsmagazin Bloomberg wird sogar der Fiat-Chrysler Konzern, dessen Engagement in Sachen autonomes Fahren darin besteht, Google die Autos zur Verfügung zu stellen, noch vor dem ersten Hersteller aus China aufgeführt.

Startups treiben das autonome Fahren voran

Die US/EU-zentrische Sicht auf technologische Entwicklungen mag nachvollziehbar sein – aber sie ist falsch. China ist viel weiter, als sich das viele Kommentatoren eingestehen wollen. Das zeigt nicht nur die Meldung zum Daimler-Fahrzeug. In Shenzhen gibt es das Unternehmen Roadstar.ai, das gerade mit 128 Millionen Dollar frischem Kapital versorgt wurde und von der Regionalregierung die Freigabe bekommen hat, seine umgerüsteten Fahrzeuge innerhalb der Stadtgrenzen zu testen.

In Guangzhou hat das mit über 200 Millionen Dollar ausgestattete Startup Pony.ai angekündigt, in ein paar Monaten mit einem vollautonomen Ridehailing Dienst mit 20 Fahrzeugen starten zu wollen. Und das sind nur zwei Beispiele für regionale Fahrdienste. Dazu kommt der chinesische Internetgigant Baidu, dessen Betriebssystem für autonome Fahrzeuge „Apollo“ sogar über eine offene Schnittstelle zur Code-Plattform Github verfügt. Man hofft, mit der Masse der chinesischen Programmierer das autonome Fahren schneller vorantreiben können. Prognosen gehen davon aus, dass in den nächsten sieben Jahren rund 30 Millionen Level 4 bis Level 5 Fahrzeuge auf chinesischen Straßen unterwegs sein werden.

Und in Deutschland und Europa? Audi hat immerhin einen Level 3 Fahrassistenten in der Schublade, den der Autobauer aber mangels passender Gesetzgebung nicht auf die Straße bringen darf. Und im Koalitionsvertrag ist nur verzeichnet, dass die Regierung bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode eine Gesetzgebung zum Level 5 autonomen Fahren auf den Weg bringen will. Das wäre dann 2021. Bis dahin rollen in China Abertausende Fahrzeuge autonom durch die Städte.

Zusammen statt gegeneinander

Die Verzögerungen führen dazu, dass vor allem Europa im Rennen um das autonome Fahren rettungslos abgehangen wird. Und dies, obwohl die hier ansässigen Unternehmen sich massiv für das autonome Fahren einsetzen. Doch nur, wer in der Lage ist, seine Fahrzeuge auch in großen Flächenversuchen in der realen Welt einzusetzen, wird auch die nötigen Erfahrungen machen. Dass Daimler sein Level-4-Auto in Peking statt in Berlin oder Paris einsetzen muss, spricht Bände und zeugt von der Dringlichkeit, mit der man die Gesetzeslage ändern muss.

Es bedeutet aber auch, dass die europäischen Hersteller aufhören müssen, bei der Entwicklung autonomer Fahrzeuge ihre eigenes Süppchen zu kochen. Im Moment sammeln die Hersteller ihre Daten getrennt. Jeder lernt seine Systeme auf einem eigenen Weg an. Es ist aber nicht effektiv, wenn die Industrie getrennte Systeme entwickelt, die im Grunde am Ende alle dasselbe können müssen. Statt die gesammelten Daten wie einen Schatz zu hüten, sollte man sie in einen großen Topf werfen und teilen. Nur so werden die europäischen Hersteller der drohenden technologischen Übermacht aus China etwas entgegensetzen können.

Ein gutes Beispiel für diese Art der Zusammenarbeit gibt es schon. Den für das autonome Fahren wichtigen Kartendienst Here hat die deutsche Industrie schon vor wenigen Jahren zusammen gekauft. Es ist Zeit, dass die europäische Autoindustrie dies auch beim autonomen Fahren macht.

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Don Dahlmann ist seit über 25 Jahren Journalist und seit über zehn Jahren in der Automobilbranche unterwegs. Jeden Montag lest Ihr hier seine Kolumne „Drehmoment“, die einen kritischen Blick auf die Mobility-Branche wirft.

Bild: Daimler