Initiativen fordern ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen.

Der Verkehr würde einen Kollaps erleben, Innenstädte würden verwaisen und überhaupt sei ein Tempolimit ein schwerwiegender Eingriff des Staates in die Freiheit der Bürger. Der könne schon selber und eigenverantwortlich entscheiden, was gut für ihn und seine Mitbürger ist. Das sagte der ADAC 1957, kurz bevor in Deutschland das erste Tempolimit eingeführt wurde. Ab dem 1. September 1957 durfte man innerhalb geschlossener Ortschaften nur noch Tempo 50 fahren. Davor, man mag es heute kaum glauben, durfte jeder so schnell fahren, wie er wollte. Egal ob Auto oder LKW.

Nach der Einführung des Tempolimits gingen die Unfallzahlen zurück. Waren es 1957 noch 14.878 Tote auf Deutschlands Straßen, ging die Zahl trotz steigender Zulassungszahlen ein Jahr später auf 13.891 Unfallopfer zurück. Bereits Ende der 60er Jahre konnte man also einen direkten Zusammenhang zwischen der Anzahl der Unfallopfer und Tempolimits feststellen. Fünfzig Jahre später streitet man absurderweise immer noch über ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen.

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Die Argumente der Gegner eines Tempolimits haben sich in den letzten 50 Jahren nicht geändert. „Freie Fahrt für freie Bürger“ wird weiterhin gerne propagiert. Als ob die Bürger in Italien, der Schweiz oder Frankreich weniger frei sind, obwohl dort seit Ewigkeiten strenge Tempolimits gelten. Ein weiteres Argument, das gerne angeführt wird, lautet, dass ein Tempolimit dem Autostandort Deutschland schaden würde. Immerhin sei der Mythos des deutschen Autos auch eng mit dem Verzicht auf ein Tempolimit verbunden.

Das ist Unsinn. Ist Ferrari pleite, weil es in Italien ein Tempolimit gibt? Baut man in den USA oder Japan keine Sportwagen mehr, weil man dort meist nur mit knapp 90 km/h über die gut ausgebauten Straßen fahren darf? Natürlich nicht. Und auch Porsche wird nicht untergehen, sollte man hier ein Tempolimit von 120 km/h einführen. Von den 246.375 Fahrzeugen, die Porsche 2017 verkaufte, wurden gerade mal 28.300 Stück in Deutschland zugelassen. Der Rest wurde in Länder mit Tempolimits auf den Straßen verkauft.

Auch wirtschaftlich ist der Verzicht auf ein Tempolimit hinderlich

Das nicht vorhandene Tempolimit in Deutschland ist ein Zeichen der Rückständigkeit. Es steht für den alten Glauben, dass immer mehr PS und schnellere Autos ein Synonym für die Freiheit und Wirtschaftsleistung eines Landes sind. Dabei sind, dank eines neuen Klimabewusstseins, ganz andere Dinge gefragt. Und auch wirtschaftlich ist der Verzicht auf ein Tempolimit eher hinderlich.

Ein Beispiel ist das autonome Fahren. Die Entwicklung geht aus verschiedenen Gründen nicht voran. In Deutschland unter anderem deshalb, weil die Geschwindigkeitsunterschiede auf der Autobahn zu groß sind. Ein autonomes Auto, das die Spur wechseln will, muss damit rechnen, dass von hinten ein Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von mehr als 200 km/h kommt. Das führt zu Problemen, wie die Entwickler der Hersteller immer wieder betonen.

Für einen sicheren vollautonomen Spurwechsel müssen die Systeme mindestens 200 bis 300 Meter nach hinten „schauen” können. Bei Tempo 220 legt man rund 61 Meter pro Sekunde zurück. Da bleibt nicht viel Zeit zum Bremsen. Alle Systeme müssen aber redundant auf derartige Manöver ausgelegt sein. Das bedeutet, dass ein vollautonomes System in Deutschland erst eine Zulassung erhalten kann, wenn es in der Lage ist, solche Manöver zu meistern. In anderen Ländern kann man sich diesen Aufwand in der Entwicklung sparen.

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Das nicht vorhandene Tempolimit ist kein Wahrzeichen einer starken Industrie. Es ist ein Zeichen einer Rückständigkeit. Es steht für die Unverantwortlichkeit im Umgang mit Menschenleben und dem Klima. Die Zukunft des Autos entscheidet sich heute nicht mehr durch das Tempo der Fahrzeuge, sondern durch ihren Grad der Digitalisierung. Dafür braucht es in Deutschland zwar Tempo, aber nicht auf der Straße.

Don Dahlmann ist seit über 25 Jahren Journalist und seit über zehn Jahren in der Automobilbranche unterwegs. Jeden Montag lest Ihr hier seine Kolumne „Drehmoment“, die einen kritischen Blick auf die Mobility-Branche wirft.

Bild: Getty Images / Sean Gallup / Staff