Der elektrische Moia-Shuttle bietet Platz für sechs Personen. Der Taxi-Branche gefällt das neue Angebot nicht.

Am vergangenen Mittwoch in Hamburg-Eppendorf. Es ist kurz vor 23 Uhr. Moia-Fahrzeug Nummer 37 tastet sich vorsichtig durch die zu diesem Zeitpunkt hoffnungslos zugeparkte Löwenstraße. Der 2,50 Meter breite Elektrobus passt an manchen Stellen nur so gerade eben zwischen den quer stehenden Autos durch. 

Da rauscht ein beigefarbener Mercedes mit gelbem Schild auf dem Dach aus der Gegenrichtung durch den Engpass und hält Zentimeter vor dem goldgelackten Bus. Der Taxifahrer beginnt wüst zu hupen und wettert durch das halb herunter gekurbelte Fenster. Der Moia-Fahrer gestikuliert stumm zurück und versucht irgendwie vorbei zu kommen, während die Abstandswarner nur so piepen. „Das hat er absichtlich gemacht“, ärgert er sich. „Die mögen uns nicht.“ 

Moia ist neue Marke von VW, die der Autokonzern als Mobilitätsform der Zukunft etablieren will. Das Unternehmen hat hierfür eigens Kleinbusse mit Elektroantrieb und diversem Schnickschnack entwickelt. Ähnlich dem Sammeltaxi-Prinzip, gabeln diese auf einer computerberechneten Route bis zu sechs Fahrgäste auf und transportieren sie zu ihren jeweiligen Fahrtzielen.

Pooling nennt sich dieses Verfahren, das den Verkehr in überlasteten Metropolen effizienter gestalten und für Fahrgäste Kosten sparen soll. Preis und Prinzip liegen irgendwo zwischen Taxi und ÖPNV. Moia soll zu einem globalen Gattungsbegriff für eine Alternative im Personennahverkehr werden, die Busse rollen bereits durch diverse Großstädte in Europa und den USA.

VW hat einen dreistelligen Millionenbetrag in das Projekt investiert. Vor zwei Wochen begann mit viel Marketinggetrommel eine erste Erprobungsphase in Hamburg. Doch die ist inzwischen beinahe schon wieder gestorben.

Ende 2017 haben sich NGIN Mobility und Gründerszene im ersten Moia-Fahrzeuge umgesehen und mit Moia-COO Robert Henrich gesprochen:

Taxifahrer hatten gegen die drohende Konkurrenz protestiert

Schon im Vorfeld hatten Taxifahrer gegen die drohende Konkurrenz protestiert. Am Mittwoch erzielte der Taxiunternehmer Ivica Krijan, Chef eines Betriebes mit drei Autos und sechs Mitarbeitern, vor Gericht einen Teilerfolg im Bemühen, den Rivalen vom Markt fern zu halten. 

Das Verwaltungsgericht stoppte den Probebetrieb von Moia zwar nicht komplett, beschränkte ihn aber auf maximal 200 Busse. Bei Moia reagiert man verärgert. „Mit 200 Fahrzeugen ist kein stadtweiter Service möglich“, kommentiert ein Sprecher knapp. Damit das Pooling-Prinzip funktioniere, brauche es eine gewisse Anzahl von Fahrzeugen und Fahrgästen.

Geplant und von der Stadt genehmigt war der Aufbau einer Flotte von 500 Kleinbussen mit 1.000 Fahrern innerhalb des ersten Jahres. Das Interesse der Hamburger, das zeigten 15.000 Buchungen in den ersten zehn Tagen, sei vorhanden. Nun müsse man sehen, wie es weiter gehe.

Gegenwind gibt es in vielen Städten

Moia ist nicht das einzige Unternehmen, das sich derzeit bemüht, neue Lösungen für den kollabierenden Großstadtverkehr anzubieten – und das dabei auf heftige Gegenwehr stößt.

Der elektrische Moia-Shuttle bietet Platz für sechs Personen. Der Taxi-Branche gefällt das neue Angebot nicht.

Die Bahntochter Clever Shuttle zum Beispiel baut derzeit in mehreren Städten ebenfalls ein Ride-Sharing-Angebot mit Elektro- und Wasserstoffautos auf. Doch der Ausbau der Flotte verzögert sich, nachdem auch vor Gericht ein Aufschub erwirkt wurde. Oder Berlin. Hier haben die Verkehrsbetriebe gemeinsam mit dem Daimler-Joint-Venture Viavan ein Sammeltaxi-Angebot namens „Berlkönig“ gestartet, seit September rollen 100 Fahrzeuge im Probebetrieb. 

Die Mobilitätsprobleme der Hauptstadt sind legendär. Der Autoverkehr dümpelt in Stoßzeiten langsamer als mit Schrittgeschwindigkeit durch die City, das S-Bahn-System ist zuverlässig überlastet. Dennoch wird auch der Berlkönig keinesfalls mit offenen Armen willkommen geheißen.

„Kannibalisierung des ÖPNV und des Taxigewerbes“

Obwohl es sich um ein teilweise städtisches Angebot handelt, steht das Angebot schon in der Testphase unter Feuer aus den eigenen Reihen. Der Berlkönig, so beklagt Tino Schopf, verkehrspolitischer Sprecher der SPD, die in Berlin den Bürgermeister stellt, sei eine „Kannibalisierung des öffentlichen Personen-Nahverkehrs und Berliner Taxigewerbes“.

Anderes Beispiel: die Elektroscooter. Während Metropolbewohner in Paris, Wien, Madrid und vieler anderer Städte, Länder und Kontinente seit einiger Zeit lärm- und emissionsfrei auf den elektrisch angetriebenen Kickrollern am Stau vorbei gleiten können, stecken die Flitzer hierzulande seit vielen Monaten im Dickicht der deutschen Verwaltungsbürokratie fest.

Diverse Scooter-Verleiher warten mit fertigen Konzepten für den deutschen Markt darauf, dass es endlich losgeht, auch einige deutsche Startups haben bereits Millionen investiert. Viele Städte und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wollen die Scooter ebenfalls. Aber es scheint furchtbar kompliziert zu sein, den gesetzlichen Rahmen für ein Fahrzeug zu schaffen, dass es so früher nicht gab.

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Zugleich wächst auf den Straßen der Widerstand. Obwohl die Angebote noch nicht mal den Probebetrieb aufgenommen haben, sagen Gegner apokalyptische Verhältnisse auf Rad- und Gehwegen voraus. Statt sich über zusätzliche Möglichkeiten zu freuen, ist alles Unbekannte erst einmal suspekt. Das Land, das so große Stücke auf seine Innovationskraft hält, steht allem Neuen im Zweifel erst mal ausgesprochen zögerlich gegenüber.

Ob der Plan einer – unternehmensfinanzierten – Seilbahn über die Elbe oder einer Bewerbung der Stadt um die Olympischen Spiele – auch die Bewohner der auf seine Weltoffenheit stolzen Stadt Hamburg sind im Ablehnen schnell bei der Hand.

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Vor ein paar Tagen votierten die Bewohner des Szene-Viertels Schanze mehrheitlich gegen den Bau eines Kulturhauses für gefährdete Musikclubs auf einer Grünbrache am S-Bahn-Damm. Begründen muss die Ablehnung niemand. In Erklärungsnot ist der, der etwas aufbauen will. Es gilt Störerhaftung.

Moia ist ein extrem ambitioniertes Projekt

Nach dem selben Prinzip wurde nun per Gerichtsbeschluss eines der ambitioniertesten Mobilitätsprojekte der letzten Jahre ausgebremst, ehe es richtig in Fahrt gekommen ist. Dabei sind die goldenen Elektrobusse tatsächlich mal eine Innovation, mit der ein deutsches Unternehmen an der globalen Aufbruchstimmung auf dem Mobilitätssektor teilhaben könnte.

Nachdem der VW-Konzern den Carsharing-Trend komplett verschlafen und an die Konkurrenz von Daimler und BMW verloren hat, bietet er mit Moia jetzt ein extrem ambitioniertes Projekt, das vielleicht auch eher zögerliche Zielgruppen zum Umsteigen motivieren könnte. 

Die geräumigen Busse bieten mit ihren sechs Ledersesseln auch für den latent soziophoben Großstädter genug Abstand. Getönte Scheiben und indirektes Licht, schnelles WLAN, USB-Anschluss und dimmbare Leselampe an jedem Platz – das alles schafft ein fast schon luxuriöses Fahrerlebnis. Learjet-Feeling. Hinzu kommen charmante Details wie das an den ÖPNV erinnernde Display, das die kommenden Haltepunkte anzeigt, dahinter die Initialen des Fahrgastes, welcher dort aussteigt.

In der Testphase ist der Preis bei fünf Euro pro Fahrt gedeckelt. Damit ist Moia natürlich ein Zuschussgeschäft. Die Taxiunternehmer sehen darin ein wettbewerbsverzerrendes Dumpingangebot, ihre Argumente sind aus individuell unternehmerischer Sicht absolut nachvollziehbar. Aber sind sie deshalb auch ein gesellschaftliches Anliegen? Mit Moias, E-Scootern und anderen cleveren Lösungen wird der Großstadtverkehr intelligenter, leiser und emissionsärmer und macht wieder Spaß. Für sie sollte das Prinzip gelten: Im Zweifel für den Antragsteller.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Moia