Eine nicht ganz ungefährliche Fahrt durch Berlin

Eine falsche Bewegung und es wird teuer. Im Berufsverkehr preschen Autos im Zentimeterabstand an mir vorbei, einige Rennradfahrer drängeln sich auf dem schmalen Fahrradweg vor, um mich genervt zu mustern. Mit 20 Kilometern pro Stunde werde ich offenbar als rollendes Hindernis wahrgenommen.

Weder bin ich versichert, noch bewege ich mich mit meinem elektrischen Tretroller derzeit in einem legalen Rahmen. „Ich zuerst und der Rest: Verpisst euch!“, kommentiert der Passant Sven B. das Gedrängel auf Berlins Straßen. Von meinem elektrischen Tretroller hält er nichts. Oder besser gesagt, es interessiert ihn nicht, solange das Teil ihm auf dem Gehweg nicht in die Quere kommt. Was in Paris, Wien und Zürich schon zum alltäglichen Stadtbild gehört, ist hierzulande noch ein No-Go – allerdings ein sehr gefragtes.

In diesem Sommer soll die neue Fahrzeugklasse der Elektrokleinstfahrzeuge aus der rechtlichen Grauzone herausgeholt und landesweit zugelassen werden (siehe Infokasten). Milliardenschwere Investitionen in die Branche sind Zeugen eines Trends, der hierzulande noch nicht ankommen durfte. Laut einer aktuellen McKinsey-Studie sind bereits 5,7 Milliarden Dollar in Tretroller-Unternehmen gepumpt worden. Sogar die Daimler-Tochter Mytaxi wird künftig E-Tretroller verleihen. Während in den USA und vielen europäischen Städten die beiden führenden Leihservice-Anbieter Bird und Lime schon hunderttausende Kunden bedienen, warten hiesige Anbieter wie Tier Mobility, Wind.co oder Flash auf den Startschuss der deutschen Politik. Und der lässt auf sich warten.

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Ein Mann mit einem Einkaufstrolley im Schlepptau kommt hinter einem parkenden Auto hervor und kreuzt meinen Weg. Ich komme kurz vor ihm zum Stehen. Zum Dank erhalte ich eine abfällige Bemerkung. Die mechanische Bremse an meinem E-Tretroller der chinesischen Marke Xiaomi hat zumindest gehalten, was sie verspricht. Einige Lime-Nutzer hatten weniger Glück und berichten, dass die dort verbauten Elektro-Bremsen plötzlich ausfielen und es zu Unfällen gekommen ist. Daraufhin wurden 500 E-Tretroller in Zürich und Basel aus dem Verkehr gezogen.

Das Unternehmen spricht von einem Software-Problem. „Updates für die Firmware“ sollen dafür sorgen, dass die „Flotte“ bald wieder genutzt werden könne, heißt vom Anbieter. Das Problem sei in „sehr seltenen Fällen“ aufgetreten, wenn der Fahrer mit hoher Geschwindigkeit bergab oder über ein Schlagloch gefahren sei, schreibt das US-Unternehmen in einer Mitteilung. Lime plant, diesen Sommer auch hierzulande seinen Leihservice auszurollen.

Ich bin mit einem E-Tretroller auf dem Weg zum EUREF-Campus in Berlin, um dort ein weiteres Roller-Modell zu testen. Etwas mulmig ist mir schon zumute. Werde ich von der Polizei mit meinem Roller auf der Straße erwischt, bekomme ich das Gerät abgenommen und ein Bußgeld aufgebrummt. Doch ich habe Glück. Auf dem Technologiepark-Gelände kann jeder die elektrischen Fahrzeuge schon jetzt über die App von Tier Mobility ausprobieren, ganz legal. Den ersten Tritt muss man selbst machen, danach schaltet sich der Motor ein und man kann Gas geben. Das Leihverfahren funktioniert problemlos. Nur die Bremse ist mir nicht ganz geheuer. Sie wird über einen Kippschalter bedient. Mir fällt gleich auf: Der Bremsweg ist länger als beim Xiaomi.

Das deutsche Startup Tier Mobility, das bereits in zehn Ländern und 19 Städten mit jeweils 200 bis 1.500 Fahrzeugen unterwegs ist, setzt derzeit überwiegend auf das Modell Ninebot-Segway. Das Modell ähnelt dem, das offenbar auch in der Schweiz für Ärger sorgte und das vom Berliner Startup hier in Berlin zum Testen bereit gestellt wurde. „Weil die deutsche Verordnung andere Bremsen vorsieht, werden wir nicht mit dem Ninebot-Segway starten“, sagt Gründer Julian Blessin. Man befinde sich gerade in der Entwicklung eines neuen Fahrzeugs für den deutschen Markt. Und zwar in enger Abstimmung mit dem TÜV und anderen Prüfgesellschaften, so Blessin. Das Schweizer Problem sei ihm bekannt. Ähnliche Vorfälle habe es mit dem Service von Tier Mobility jedoch nicht gegeben, da man ein anderes Fahrzeug verwende, beteuert der Gründer.

Die Verantwortlichen bei Lime haben sich bis Redaktionsschluss nicht dazu geäußert, welcher genaue Fahrzeugtyp in der Schweiz die Probleme verursacht hat. Nur so viel wollte man verraten: In Deutschland werde Lime mit einem neuen Modell an den Start gehen, das den hiesigen Auflagen entspricht.

Bild: Chris Marxen, Headshots-berlin.de


Bei den Bremsen scheiden sich die Geister

Auch der „Xiaomi M365“, den ich mir für eine Woche über einen Abo-Service geliehen habe, wird in dieser Version wohl nicht in Deutschland zugelassen werden. Es fehlt die Vorderrad-Bremse. Hinter dem Leihdienst steckt das Berliner Startup GetHenry. Die Macher wetten darauf, dass die Nutzer ihr persönliches Fahrzeug haben wollen – und es nach der ersten Miete gleich abzüglich der halben Mietkosten abkaufen. Die beiden Einstiegsfahrzeuge von Ninebot-Segway und Xiaomi kosten jeweils um die 400 Euro.

Bei allen großen Sharing-Anbietern wird ein Euro Startgebühr und 15 Cent pro Minute verlangt. Das läppert sich. Bei einer halben Stunde macht das 5,50 Euro. Laut der McKinsey-Studie liegt die durchschnittliche Fahrtdauer bei 18 Minuten. Eine Strecke zur Arbeit und wieder zurück, das fünf Mal die Woche macht etwa 30 Euro – genauso viel, wie GetHenry für den Roller im Abo pro Woche verlangt. Zwei 16-jährige Schülerinnen, die ich auf der Straße anspreche und den Roller zeige, bestätigten mir, dass sie dazu bereit wären, so viel Geld pro Woche für einen persönlichen Roller auszugeben.

Nachdem es in den USA wiederholt zu Beschwerden kam wegen herumliegender Roller auf den Gehwegen und es auch hierzulande schon Chaos mit Leihrädern gab, sind die Kommunen hellhörig geworden. Das Startup Byke, das im Sommer unter der Marke Wind.co E-Tretroller aufstellen will, befindet sich nach eigenen Angaben in enger Absprache mit den Stadtverwaltungen. „Wir verpflichten uns bei Beschwerden, in der Stadt in wenigen Stunden wieder für Ordnung zu sorgen und jemanden vorbeizuschicken, der die Roller aufstellt oder einsammelt“, verspricht Tier-Mobility-Gründer Blessin. Die Leihroller müssen jeden Abend eingesammelt und aufgeladen werden. Ein immenser logistischer Aufwand, der sich aber den Startups zufolge lohnen soll.

Auf dem Rückweg kommt mir eine ältere Frau mit Rollator entgegen. Da es keinen Fahrradweg gibt und mir auf der Straße zu viel los ist, hatte ich beschlossen, langsam auf dem Gehweg zu fahren. Ihr Blick ist vernichtend. Ich frage sie eingeschüchtert nach ihrer Meinung: „Find‘ ich gut, würde ich auch mit fahren, wenn das meine Beine noch mitmachen würden.“ Plötzlich lächelt sie und beginnt den Roller zu inspizieren. Fußgänger-Lobbyisten und die Grünen sprechen sich gegen die Nutzung von Gehwegen aus, die Fahrradlobby sieht hingegen Probleme bei der Nutzung von Radwegen. „Das wird zu mehr Unfällen führen, wenn wir uns den Radweg auch noch mit den Rollern teilen müssen“, sagt Lars L., Fahrradmechaniker aus Berlin-Schöneberg. Die E-Tretroller würden schneller anfahren, was zu einem Ungleichgewicht auf den ohnehin zu schmalen Fahrradwegen führen werde.

Viele der deutschen E-Tretroller-Anbieter sind mit dem Versprechen angetreten, die sogenannte letzte Meile zwischen Wohnung und öffentlichen Verkehrsmitteln beziehungsweise Bahn und Büro abzudecken. Bisweilen scheint die Rechnung aber noch nicht mit den Verkehrsverbünden gemacht worden zu sein. Einige ÖPNV-Betreiber ziehen in Erwägung, für die Roller in Bussen und Bahnen gesonderte Beförderungsgebühren zu erheben. Wie der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) haben sich die meisten Verbünde aber noch nicht auf eine Lösung geeinigt. Man werde zeitnah eine Lösung präsentieren, an Insellösungen bestehe kein Interesse, so eine Sprecherin des VBB. Die Verbände haben zwar die Tarifhoheit, aber die jeweilige Kommunalpolitik muss erst zustimmen.

Ohnehin sei die Versicherungsfrage noch nicht endgültig geklärt, erklärt der Pressesprecher des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Er zeigt sich zuversichtlich, bis zur Zulassung der Fahrzeuge, eine gemeinsame Lösung auf Bundesebene zu finden: „Wir sind eben nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch der Behörden und Verordnungen.“

Bild: Chris Marxen, Headshots-berlin.de