Govecs-Gründer Thomas Grübel bei der Präsentation der E-Schwalbe.

Die Großstädte Europas haben sie bereits erobert – an fast jeder Straßenecke sind E-Roller zu sehen. Sharing-Anbieter wie Emmy oder Coup haben hierzulande über 2.500 Fahrzeuge im Einsatz. Im kommenden Jahr sollen Hunderte weitere Roller ausgeliefert werden. Viele davon kommen von dem Rollerhersteller Govecs, der unter anderem Emmy mit der E-Schwalbe ausstattet und auch Foodora mit Lieferfahrzeugen versorgt. Die meisten Kunden haben die Münchner allerdings im europäischen Ausland. 

Mit einem vernetzten Roller will das Unternehmen nun auch den B2C-Markt aufmischen, wo derzeit das Berliner Startup Unu Platzhirsch ist. Im Interview erklärt Gründer Thomas Grübel unter anderem, was sein Unternehmen anders macht als die Wettbewerber und was Sharing und Lieferdienste dazu beitragen.

Mit Ihrem ersten Roller sind sie 2010 direkt ins B2B-Geschäft eingestiegen, statt an den Endverbraucher heranzutreten. Wie sind Sie heute damit aufgestellt?

Unser erstes Produkt war der Govecs Standardroller, wie es ihn heute auch noch gibt. Tausende GO! S Roller sind mittlerweile in Sharing-Diensten im Einsatz – etwa in Paris, Barcelona, Madrid, Rom und Lissabon. Der Roller hat sich über die acht Jahre technisch weiterentwickelt, ist aber als Basisprodukt immer noch der gleiche.

Wie viele Roller sind genau bei den Sharing-Diensten unterwegs und wie vertreiben Sie die?

Etwa 6.000 Roller in Frankreich, Spanien, Holland, Italien und Portugal. In Deutschland sind wir erst im Herbst gestartet. Bisher haben wir 150 Fahrzeuge an Emmy ausgeliefert. Im Frühjahr werden weitere 1.000 folgen. Allein in Berlin werden es 750 E-Schwalben sein, in München kommen Hunderte hinzu. Die Scooter werden von den Leasing-Anbietern der Sharing-Unternehmen gekauft.

Neben dem Sharing-Markt versuchen Sie sich gerade noch mit Lieferdiensten ein Standbein aufzubauen. Wie funktioniert der Service?

Dafür haben wir eine Unternehmenstochter gegründet, die Govecs Business Solutions heißt. Viele Lieferdienste von Restaurants können schlecht abschätzen, wie groß ihre Flotte wirklich sein muss. Die neue Pizzeria in Berlin hat weder ein Gefühl dafür, wie viele Roller sie braucht, noch das Geld für die Anschaffung der Fahrzeuge übrig. Hierfür bieten wir die Mobilitätslösung. Das Restaurant kauft bei uns die Kilometer, wir geben ihm das Fahrzeug dafür.

Warum lohnt sich das für Restaurants?

Wir rechnen auf Tagesbasis über eine Pauschale ab. Versicherung, Wartung und Defekte – darum kümmern wir uns. Alle Fahrzeuge sind mit GPS ausgestattet. Dadurch sehen wir, wie viele Kilometer das Fahrzeug fährt, und können planen, wann es zum nächsten Service muss. Wenn der Restaurantbetreiber merkt, dass seine 10.000 gebuchten Kilometer nicht reichen, kann er mehr Fahrzeuge anfordern oder die Pauschale neu mit uns verhandeln. Die Anzahl der Fahrzeuge oder Kilometer können flexibel verändert werden. Auch wenn wir merken, dass die gebuchten Kilometer nicht genutzt werden, gehen wir auf den Kunden zu und mache ihm ein anderes Angebot.

Wie viele Fahrzeuge sind schon für Lieferdienste im Umlauf?

Insgesamt sind es knapp 300 Fahrzeuge, darunter auch für Foodora und Dominos. Wir liefern derzeit rund 50 neue Fahrzeuge monatlich ins Feld. Wir gehen davon aus, dass wir Ende nächsten Jahres allein in Deutschland 1.000 Fahrzeuge haben. Es gibt schon erste Anfragen aus Holland und Belgien und wir überlegen zu expandieren.

Wie sieht’s eigentlich auf dem B2C-Markt aus? Roller des Berliner Startups Unus sieht man bereits viel durch die Straßen fahren, Govecs eher seltener.

Bild: Govecs

Govecs-Gründer Thomas Grübel setzt auf einen vernetzten Roller

Wie sieht’s eigentlich auf dem B2C-Markt aus? Roller des Berliner Startups Unu sieht man bereits viel durch die Straßen fahren, Govecs eher seltener.

In jeder Stadt, in der wir Sharing-Roller anbieten, wird auch die Nachfrage vom Kunden größer. Das sehen wir vor allem im Ausland. Mit der Schwalbe sind wir noch nicht lang genug im deutschen Markt dabei. Als bisheriger B2B-Hersteller haben wir Govecs nicht als Marke gepusht. Das werden wir auch nie im großen Stil machen. Ein Branding ist im B2C-Bereich einfach zu teuer. Die Millionen habe ich nicht. Aber es hilft massiv, wenn beispielsweise in Paris mit unseren 1.500 Rollern pro Tag 70.000 Kilometer zurückgelegt werden – und die Flotte wird noch erweitert. So viele Messe-Veranstaltungen kann ich gar nicht besuchen, um so viele Leute auf den Roller zu bringen, wie es bei einem Sharing-Projekt geschieht. Das ist auch für den Kunden wichtig, weil er so mit dem Produkt in Berührung kommt, es testen kann, bevor er tief in die Tasche greift.

Inwieweit hebt sich ein Govecs von einem Gogoro oder auch einem Unu ab?

Gogoro ist eine Ausnahme. Den Roller werden B2C-Kunden hier wahrscheinlich nie angeboten bekommen. Man kann den Roller nur ohne Batterie kaufen. Das funktioniert ohne eine flächendeckende Infrastruktur mit Ladeautomaten nur im Sharing. Sie sind in Taipeh sehr erfolgreich – aber auch nur, weil die Stadt sehr viel Geld in das Projekt investiert und überall die Lade-Hubs aufgestellt wurden. Darum kann man auch die Roller verkaufen und die Batterien zu einer monatlichen Gebühr vermieten. So eine Struktur für Europa aufzubauen, halte ich für unmöglich – zumindest für einen Hersteller. Das geht nur mit politischen Druck, dass man sich auf einen Standard festlegt …

Der Unu-Roller ist mit dem herausnehmbaren Akku vom Konzept her Ihrem Govecs sehr ähnlich.

Ganz klar. Ich finde es toll, was Unu gemacht hat. Grundsätzlich freue ich mich über jeden Wettbewerber, der dabei hilft, den Markt aufzubauen. Das Marketing, was Unu bisher betreibt, hat massiv dazu beigetragen, das Produkt Elektroroller bekannter zu machen. Produktseitig ist aber ganz klar: Wir versuchen mehr im Premium-Segment unterwegs zu sein, leistungsstärker und mit grundsätzlich längerer Lebensdauer. Für Sharing-Dienste ist ein extrem stabiles Fahrzeug gefragt, sonst funktioniert es nicht. Und das ist schließlich unser Hintergrund. . Wir sind oben gestartet und werden erst mit der kürzlich vorgestellten Elly, die im Frühjahr kommt, uns Unu im Einstiegsegment etwas annähern. Aber auch bei dem Produkt werden wir uns qualitativ noch abheben. Es gibt eben für jedes Segment einen Markt.

Unu arbeitet gerade an der nächsten Generation und will ein vernetztes Fahrzeug anbieten. Wie weit ist Govecs?

Jeder Sharing-Roller, den wir anbieten, ist letztlich vernetzt, sonst würde die Abrechnung über die App nicht funktionieren. Jedoch hat jeder Anbieter eine andere Technologie. Wir integrieren die Vernetzung so, wie der Sharing-Dienstleister es braucht. Das sieht bei B2C natürlich anders aus, weil die Vernetzung für jeden funktionieren muss.

Elly wird der erste Roller sein, der vernetzt ist – also auch mit einer Sim-Karte ausgestattet ist und eine App hat, mit der sich der Roller starten, schließen und der Ladestand überprüfen lässt. Hierüber ist auch ein Schnellcheck möglich, um den Zustand des Fahrzeugs zu überprüfen. Die Diagnose kann uns gesendet werden, so dass wir entscheiden können, ob wir ihm auf der Straße helfen oder ob das Fahrzeug zum Servicepartner muss. Damit wollen wir auch die Lebensdauer des Fahrzeugs erhöhen.

Später sollen auch Lautsprecher am Roller dazu kommen, um seine Playlist über die App abspielen zu können. Das wird den Kunden keinen Cent extra kosten. 2019 sind dann alle Roller von Govecs vernetzt, für B2C- und B2B-Kunden.

Apropos Kosten – wie sind Sie finanziell aufgestellt?

Es gibt nur zwei Gesellschafter: Ein Stuttgarter Family Office und ich. Erstere sind zwar operativ nicht tätig, unterstützen uns finanziell aber sehr stark. 2014 gab es einen Management-Buy-Out, um schneller wachsen zu können. Von 2015 auf 2016 sind wir um knapp 400 Prozent gewachsen, 2017 erwarten wir um die 300 Prozent. Wachstum kostet natürlich Geld. Wir sind immer noch defizitär, weil wir viel in die beiden neuen Roller investieren. Ziel ist es gerade nicht, einen positiven Cash-Flow zu haben, sondern weiter zu wachsen. Das muss finanziert werden. Darum sehen wir uns in den nächsten Monaten nach einem zusätzlichen Partner um.

Mich wundert, dass bisher kein Zulieferer einsteigen wollte.

Wir haben erst kürzlich Gespräche mit einem großen Player im Bereich Automotive abgebrochen. Ich kann mir eine Partnerschaft mit einem Zulieferer vorstellen, solange man die gleiche Vision teilt. Ich will mich nicht komplett umkrempeln lassen. Aber grundsätzlich sind wir offen, mit großen Strategen zu sprechen.

Sie entwickeln schon seit Jahrzehnten E-Roller. Wie sind Sie damals dazu gekommen?

Ich bin zufällig in den 90ern ins Thema reingerutscht. Damals habe ich in China Produktionsberatung für Spielzeugunternehmen gemacht. Eines der Produkte, das damals an mich herangetragen wurde, war ein Elektroroller. Vor genau 20 Jahren habe ich diesen Roller dann entwickelt. Das war ein klappbarer Roller, der als erster EU-weit zugelassen war. Weil die Vermarktung dann sehr erfolgreich war, habe ich mich in dem Bereich stärker engagiert. Deshalb habe ich emax in Hongkong gegründet, mit Entwicklung in München und Produktion in Shanghai. Die Firma habe ich insgesamt acht Jahre geleitet – und es lief gut.

Warum sind Sie ausgestiegen, wenn der Laden offenbar lief?

Aus kulturellen Gründen stießen da unterschiedliche Meinungen aufeinander, was die Vision des Unternehmen angeht. Fünf der Gesellschafter stammten aus China. Mit meinem deutschen Hintergrund war ich auf Qualität aus, damit sich der Roller auch im europäischen Markt verkaufen lässt. Doch von diesem Ziel ist man leider mehr und mehr abgerückt, sodass ich mich mit dem Produktnicht mehr identifizieren konnte. Im Dezember 2008 habe ich dann das Unternehmen verlassen. Aber ich freue mich darüber, dass es emax heute noch gibt und es mittlerweile einer der erfolgreichsten chinesischen Roller-Hersteller ist.

Ein Jahr später haben Sie Govecs gegründet. Was war die Idee dahinter?

Ich wurde davor schon einige Male von deutschen Unternehmen kontaktiert, ob ich nicht Interesse hätte, für sie E-Roller zu entwickeln. Das waren hauptsächlich Energieversorger. Die hatten auf den ersten Boom der Elektromobilität gehofft – der allerdings nicht eingetroffen ist – und da gab es große Budgets. Ich habe dann einen dieser Aufträge angenommen, um einen neuen Roller zu entwickeln. Mir war aber schon damals klar, dass ich das nicht aus China heraus machen kann. Mir war klar, Wenn ich hochwertige Fahrzeuge bauen möchte, dann muss ich eine europäische Lieferkette aufbauen. Mir geht es nicht nur darum, in Europa zusammenzubauen, sondern vor allem europäische Komponenten zu vereinen …

Die E-Schwalbe ist also komplett in Europa gefertigt?

Sie kommt zu 95 Prozent aus Europa. Die Value-Chain soll möglichst hier bleiben. Das war auch der Grund, warum ich 2009 Govecs in München gegründet habe. Bei der Produktion wurde es dann allerdings schwierig. Ich habe mir hier viele mögliche Produktionsstätten angeschaut. Doch trotz vieler Fördermöglichkeiten ließ sich hierzulande kein vernünftiger Business-Case errechnen. Das mag heute vielleicht anders sein, aber vor neun Jahren war das noch so. Nachdem ich mich lange im europäischen Ausland umgeschaut habe, entschied ich mich für den Standort Breslau, Polen. Seit Jahren zählt Breslau zu den Städten mit der dynamischsten wirtschaftlichen Entwicklung in ganz Polen, mit über 2.000 internationalen Unternehmen aus der Automobil- und Zuliefererindustrie. Für uns war außerdem die Nähe zu Berlin und die gute Fluganbindung zu München wichtig.

Vielen Dank für das Interview!

Bild: Govecs