Martin Vrsavsky hat zahlreiche Unternehmen gegründet, darunter den Wlan-Dienst Fon, den in den 90er-Jahren erfolgreichen Callback-Dienst Viatel und den Glasfaser-Netzbetreiber Jazztel.

Um die Aids-Forschung hat er sich verdient gemacht, um Fortschritte bei Fruchtbarkeitsbehandlungen und die Verbreitung schneller WLAN-Hotspots: Martin Varsavsky, in Argentinien und den USA aufgewachsen, ist Mehrfach-Gründer. Aktuell kümmert er sich mit seinem Startup Goggo Network um die Zukunft der Mobilität – und die der Autoindustrie.

Herr Varsavsky, braucht Europa sein eigenes Wagniskapital, und sollen Regierungen, falls nötig, Geld dafür bereitstellen?

Ich habe je die Hälfte meines Lebens in den USA und Europa verbracht, daher kenne ich beide Systeme gut. Man muss sich fragen: Worin sind wir in Europa gut, und wofür steht Amerika?

Und wie lautet Ihre Antwort?

Europa ist gut darin, zu kooperieren. Schauen Sie sich zum Beispiel Airbus an. Dieses europäische Joint-Venture macht mittlerweile mehr als 60 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Amerika auf der anderen Seite steht für Wettbewerb, für den einsamen Entrepreneur, der riesige Unternehmen wie Google schafft.

Wettbewerb versus Kooperation – darum geht es also?

Wenn du in Amerika geboren wirst, lernst du das Konkurrieren vom ersten Tag an. In Europa saugst du die Zusammenarbeit mit der Muttermilch auf. Es lässt sich deshalb auch leicht erklären, warum Linux in Europa geschaffen wurde, aber Microsoft in den USA. Deshalb würde ich auch ziemlich klar sagen, dass Europa bei der Versorgung mit Kapital selbstständig sein sollte.

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In welchem System leben Sie lieber?

Eindeutig in Europa.

Und welches System ist besser geeignet für das digitale Zeitalter?

Im Moment sieht es so aus, als sei das amerikanische System dem europäischen überlegen. Aber inzwischen gibt es Unternehmen, die selbst den Amerikanern zu groß und zu mächtig sind. Und das Unwohlsein der Öffentlichkeit ist so groß, dass linke Präsidentschaftskandidaten wie Elizabeth Warren viel Unterstützung bekommen.

Kann Europa denn noch aufholen?

Es ist noch nicht zu spät. Aber die Zeit läuft rasch ab.

In welchen Branchen?

Deutschland hat eine beneidenswerte Position im Transportsektor. Es ist eine Welt mit individuell besessenen Autos, eine Welt der Verbrennungsmotoren. Die neue Welt dagegen ist elektrisch, mit autonomem Fahren und gemeinsamen Vermögenswerten. Und in dieser neuen Welt ist Deutschland überhaupt nicht gut positioniert. Die deutsche Autoindustrie – und die europäische Autoindustrie insgesamt – ist noch immer selbstgefällig. Sie hat jetzt vielleicht noch zwei Jahre, sich anzupassen an diese neue Welt. Wenn sie sich nicht schnell genug bewegt, wird sie womöglich dasselbe Schicksal erleiden wie jene Teile der Zeitungsbranche, die ihre Geschäftsmodelle nicht rechtzeitig digitalisiert haben.

Die Autohersteller sagen nicht, welcher Teil ihres Geschäfts künftig darin bestehen wird, Mobilitätsdienstleistungen zu verkaufen statt Autos.

Ja – denn das ist schwer vorherzusagen. Aber was sich quantifizieren lässt, ist dies: Wie hoch ist der Anteil der Investitionen eines Unternehmens, die wirklich in die Zukunft fließen? In diesem Sinne nehmen weder Daimler noch BMW, VW, Renault, PSA Peugeot oder FiatChrysler genug Geld in die Hand.

Wie lässt sich das Problem lösen?

Mein Startup Goggo Network schlägt vor, ein Lizenzierungsmodell für Flotten von Roboterautos zu etablieren. Das wäre vergleichbar mit dem, was Europa vor 30 Jahren tat in der Telekommunikation: Damals schuf es den Mobilfunkstandard GSM. Ein Lizenzierungsmodell würde Vermögenswerte schaffen, die wiederum die Fähigkeit der Unternehmen zu investieren vergrößern würde. Aber wir sollten auch erwägen, bestimmte kartellrechtliche Regulierungen in Europa zu lockern.

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Das klingt protektionistisch.

Europa setzt seine wettbewerbsrechtlichen Prinzipien extrem gut durch – allerdings manchmal um den Preis, dass Unternehmen zu atomisiert sind, um die enormen Investitionen anzugehen, die benötigt werden. Dann kommt es am Ende dazu, dass die deutsche oder die französische Regierung Batteriefabriken für Elektroautos subventionieren. Aber vielleicht könnte dasselbe erreicht werden durch engere Zusammenarbeit zwischen Unternehmen. Man muss sich fragen: Wollen wir Wettbewerb in Europa? Oder wollen wir, dass Europa wettbewerbsfähig ist?

Und?

Letztlich wollen wir doch, dass Europa wettbewerbsfähig ist. Denn sonst ist Europa ein Museum.

Hinweis: Martin Varsavsky gehört dem Aufsichtsrat von Axel Springer an. Axel Springer ist Gesellschafter der Business Insider Deutschland GmbH, dem Medienhaus von Gründerszene. Weitere Informationen zu Business Insider findet ihr hier: www.businessinsider.de/informationen/impressum.
Bild: Getty Images/ Sean Gallup / Staff