Der neue Koalitionsvertrag stoppt die von Industrie und Startups angeschobene Mobilitätswende, meint unser Autor.

Der Koalitionsvertrag der neuen, alten großen Koalition liest sich wie ein Dokument aus dem Jahr 2005. Zu diesem Zeitpunkt war die Elektromobilität ungefähr so beliebt wie damals Helmut Kohl und die Autoindustrie glaubte, mit einem Diesel seien alle Klimaziele der nächsten 30 Jahre problemlos zu halten. Schon der Sondierungsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD ließ in Sachen Mobilitätswende nichts Gutes erahnen. Aber dass es so schlimm werden würde, hatte man dann doch nicht erwartet. 

Ein Treppenwitz der Geschichte ist dabei, dass ausgerechnet die globalisierte Autoindustrie mittlerweile verstanden hat, dass sie sich dringend auf eine Mobilitätswende einlassen muss. Weltweit investieren die Konzerne Milliardensummen. Sie werden von dieser mutlosen Koalition nun alleine gelassen. Audi, BMW, Daimler und VW planen, bis 2025 mehr als 50 reine E-Autos auf den Markt zu bringen. Doch wo sollen die ganzen neuen E-Autos verkauft werden, wenn es keine Kaufanreize und keine passende Infrastruktur gibt? In China, natürlich. Und damit treibt die Regierung ihre eigene Industrie noch tiefer in die Abhängigkeit vom chinesischen Markt. Da genügt dann bald eine leichte Delle in der Wirtschaftsentwicklung und schon stehen die deutschen Autobauer vor Problemen.

Zwar plant die neue Regierung 100.000 zusätzliche Ladepunkte bundesweit aufzubauen, davon sollen aber nur 30 Prozent die so dringend benötigten Schnelllader sein. Gleichzeitig will man bei Dienstwagen, aber vor allem bei Taxi sowieso Liefer- und Kurierdiensten mehr E-Autos sehen. Die Anschaffung und der Betrieb sollen vereinfacht werden. Das ist halbherzig gedacht. Selbst wenn man nur in Berlin alle 8.000 Taxi elektrifizieren würde – die Stadt und der Stromversorger ständen vor einem Problem.

Überhaupt: die Personenbeförderung. Man hatte damit gerechnet, dass die neue Regierung den zu Tode regulierten Markt endlich öffnet. Aber hier gibt es keine klaren Aussagen. Einerseits möchte die Koalition das Personenbeförderungsrecht modernisieren, „neue Bedienformen im Bereich geteilte Nutzungen (Ride Pooling) an die sich ändernden Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und neue technische Entwicklungen anpassen“. Immerhin möchte man, dass sowohl Taxi- wie auch Mietwagenbetriebe regulatorisch entlastet werden. Was genau das bedeuten soll? Man weiß es nicht. Aber das wird bestimmt eine Kommission prüfen.

CDU/CSU und SPD ist mit diesem Vertrag etwas ganz Erstaunliches gelungen. Er ist industrie- und innovationsfeindlich und lässt gleichzeitig die gerade am Beginn eines Booms stehende Startup-Szene im Bereich der Mobilität am gelangweilt ausgestreckten Arm verhungern. Glückwunsch, das muss man erst mal hinbekommen.

Don Dahlmann ist seit über 25 Jahren Journalist und seit über zehn Jahren in der Automobil-Branche unterwegs. Jeden Montag lest Ihr hier seine Kolumne „Drehmoment“, die einen kritischen Blick auf die Mobility-Branche wirft.

Bild: Getty Images / Rafael Elias